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# taz.de -- Debatte Energiewende: Attacke von rechts
> Wirtschaftsminister Rösler fordert den Rückbau einer erfolgreichen
> Branche. Dabei helfen ihm falsche Kostenkalkulationen und falsche
> Argumente.
Man stelle sich vor, der deutsche Wirtschaftsminister fordere, wegen der
sprudelnden Gewinne der Automobilkonzerne staatliche Hilfen einzustellen:
etwa die steuerlichen Abschreibemöglichkeiten großer Dienstwagen oder die
staatlichen Hilfen beim Aufbau der Elektromobilität. Zur Begründung bemüht
er ein soziales Argument: Der Bezieher mittlerer Einkommen in Gelsenkirchen
solle doch nicht über seine Steuern den Porsche Cayenne des schwäbischen
Zahnarztes mitfinanzieren.
Natürlich würden niemals Arbeitsplätze in der Autoindustrie durch eine
solche Wirtschaftspolitik gefährdet. Anders sieht es bei der Photovoltaik
(PV) aus. [1][Ingo Arzt hat viel Richtiges gesagt] zu den falschen
Argumenten des Solarbashings. Doch er hat die politische Bedeutung der
Anfeindungen gegen Photovoltaik und EEG verharmlost. Denn selbst im Jahr
2012 geistern noch falsche Argumente und falsche Kostenkalkulationen durch
die Republik, die eine beschleunigte Energiewende immer noch gefährden
können.
Ein Indiz: Niemand darf sich so richtig öffentlich über den gewaltigen
Zubau 2012 freuen. Diese Bundesregierung vermeidet es, auch nur zu
kommunizieren, dass das kleine Deutschland den Durchbruch der
Energietechnologie des 21. Jahrhunderts auf den Weg gebracht hat. Und
ebenso erstaunlich: Niemand fordert offen einen jährlichen
Photovoltaik-Zubau auf dem jetzigen hohen Niveau, obwohl die sonstigen
Erfolge in Sachen Energiewende bislang bescheiden ausfallen (Effizienz,
Offshore, Leitungen, Speicher).
## Angst vor der Kostenkommunikation
Der Grund für diese Zurückhaltung liegt auf der Hand: Selbst PV-Freunde
fürchten die Kostenkommunikation. Genau diese zelebrieren in diesen Tagen
Spiegel und FAZ: "Viel Geld für wenig Strom!", mahnen sie.
Genauso begründet auch Rösler seinen Vorschlag: Er möchte die
Solarenergiebranche von 7 Gigawatt Zubau durch die Deckelung der
EEG-Vergütung auf jährlich 1 Gigawatt begrenzen. Sprich: siebenmal weniger
Wertschöpfung, die trotz chinesischer Module vor allem in Deutschland
stattfindet.
Natürlich gab es heftigen Widerspruch. Auch aus seiner eigenen Partei und
vom zuständigen Umweltminister Röttgen, der sich letzte Woche mit der
Solarbranche traf und eine monatliche - und nicht wie bisher halbjährliche
- Absenkung der Vergütung einführen möchte. Dies soll helfen, schneller auf
den Zubau und günstigere Module reagieren zu können.
##
Röttgen und Rösler, der sogar das EEG abschaffen möchte, liegen also
Lichtjahre auseinander: So hat der Umweltminister auch keine weiteren
Kostensenkungen gefordert, weil diese bereits nach geltendem Gesetz bis zu
28 Prozent im Jahr 2012 ausmachen werden. In der Fachzeitschrift Photon hat
Jochen Siemer für verschiedene Anlagengrößen gezeigt, dass es damit möglich
ist, eine Rendite von 7 Prozent und mehr zu erzielen.
## Zu billige Solarenergie
Das von Gegnern gepflegte Abzockerbild der Solarbranche hat viel damit zu
tun, wie über die Kosten gesprochen wird. Auch Ingo Arzt hat in der taz
behauptet, ein Vierpersonenhaushalt mit 4.500 Kilowattstunden
Jahresverbrauch bezahle momentan im Jahr rund 85 Euro an die Betreiber von
Solarkraftwerken in Deutschland. Das ist schon deshalb schief, weil wir ja
auch nicht genau auf die Stromrechnung schreiben, was uns Steinkohlestrom
im Einzelnen kostet.
Die EEG-Umlage-Hochrechnungen sind aber auch fachlich falsch. Die
angeblichen Mehrkosten pro Haushalt sind nämlich plump die EEG-Umlage
multipliziert mit den verbrauchten Kilowattstunden. Dabei ist diese Umlage
lediglich eine technische Berechnungsgrundlage für Netzbetreiber, aber kein
präziser Indikator für damit verbundene Strompreiserhöhungen für
Privathaushalte, geschweige denn für die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten
der Erneuerbaren.
## Noch ein Rechenfehler
Bekanntlich verstecken sich die wahren Kosten von Kohle und Atom immer noch
in Subventionen, die nicht auf der Stromrechnung auftauchen. Und noch ein
Rechenfehler: Natürlich wäre unser Strompreis zu Hause im Jahr 2012 nicht
3,5 Cent billiger, wenn es die Förderung der Erneuerbaren nicht gebe. Die
Preisbildung auf dem deutschen Strommarkt ist etwas komplexer.
Dabei ist die Umlage heute sogar weit weniger Indikator als vor Jahren:
weil Solarstrom etwa auch den Strompreis an der Börse drückt, was
allerdings die EEG-Umlage aus Berechnungsgründen sogar erhöht. Und weil die
EEG-Umlage durch Sonderkosten künstlich aufgebläht wurde, die nichts mit
dem Ausbau der erneuerbaren Energie zu tun haben.
Dazu gehören nach einer von den Grünen in Auftrag gegebenen Studie (IZES
2012) die Einführung der Liquiditätsreserve, die sogenannte Marktprämie
sowie die Ausweitung der Industrieprivilegien. Der Treppenwitz: Gerade die
stromintensive Industrie profitiert sogar von den preissenkenden Effekten
der Erneuerbaren, ohne den Aufbau wirklich mitzufinanzieren.
## Kostendebatte zu defensiv
Wer heute also die Kostenkommunikation im Sinne der Erneuerbaren verbessern
will, muss sich entweder für die Änderung der Berechnung der EEG-Umlage
einsetzen oder deutlich machen, dass deren Aussagekraft beschränkt ist.
Doch noch führen selbst die politischen Freunde der Energiewende die
Kostendebatte zu defensiv. Röttgen beispielsweise hält an seinem Credo
fest, den Aufbau der Photovoltaik auf 3,5 GW im Jahr begrenzen zu wollen.
Das wäre immer noch eine Halbierung des derzeitigen Umsatzes.
Dahinter steckt die Furcht, ein weiteres Steigen der EEG-Umlage wäre nicht
mehr kommunizierbar und gefährde das Einspeisegesetz als Ganzes. Und die
Unterstellung, ein gestreckter Aufbau der PV käme günstiger wegen fallender
Modulpreise in der Zukunft. Wenn damit allerdings auch global die Branche
verunsichert und gebremst wird, wäre wohl kein Euro gespart.
Der Berliner Professor Volker Quaschning ist bisher einer der wenigen
Experten, die genau diese Bescheidenheit infrage stellen: seiner Meinung
nach wären 8 Gigawatt Zubau jährlich nötig und möglich, um den Anteil der
PV beschleunigt voranzubringen. Spannend ist die Frage, wer davon wirklich
profitieren würde.
24 Jan 2012
## LINKS
[1] /Debatte-Solarenergie/!86023/
## AUTOREN
Martin Unfried
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