Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Recht auf Stadt: Städte in Bewegung
> Der Kampf gegen Mietsteigerungen und Großprojekte vereint in den Städten
> unterschiedlichste Interessengruppen. Ihr Protest schwankt zwischen
> Utopie und konkreten Forderungen.
Bild: Eigentlich ist das Kind dort schon in den Brunnen gefallen: Doch selbst i…
Das Zauberwort Stadt hat in den letzten Jahren von Kiel bis Freiburg und
von Berlin bis Wuppertal einen erstaunlichen Mobilisierungsschub bewirkt
und zu lokalen Bündnissen geführt, die es seit der längst eingeschlafenen
Sozialforumbewegung nicht mehr gegeben hat. Derzeit treffen sich Hunderte
AktivistInnen aus Stadtteilgruppen, Mieterinitiativen und stadtpolitischen
Netzwerken zum bundesweiten "Recht auf Stadt"-Kongress in Hamburg, um sich
über ihre Ziele und Strategien auszutauschen.
Steigende Mieten und umstrittene Investitionsprojekte in den Innenstädten,
die fortgesetzte Privatisierung von vormals öffentlichen Wohnungsbeständen
und die Kürzungsorgien in den kommunalen Einrichtungen gehören heute in
vielen Städten zum Alltag. Längst bleiben die Folgen der neoliberalen
Stadtentwicklung nicht auf die traditionell ausgegrenzten Milieus der
MigrantInnen, Arbeitslosen und prekär Beschäftigten beschränkt. Auch
Lehrerehepaare, JournalistInnen oder Beschäftigte in den Kreativbranchen
haben es in München, Frankfurt am Main oder Düsseldorf inzwischen schwer,
eine bezahlbare Wohnung zu finden. Und selbst in Stadtteilen wie
Hamburg-St. Pauli, Berlin-Neukölln oder Köln-Ehrenfeld, die lange Zeit als
unattraktiv galten, sind die AnwohnerInnen mit dramatisch steigenden Mieten
konfrontiert.
All das hat eine Protestbewegung ausgelöst, die nicht mehr nur einzelne
Aspekte, sondern die Stadtpolitik als Ganzes in den Blick nimmt. Das
Schlagwort Gentrifizierung hat es aus den Nischen der akademischen Debatten
und linksradikalen Flugblätter in die Schlagzeilen der überregionalen
Zeitungen geschafft und ist zum Smalltalkthema auf Partys geworden. Auch
wenn diese Popularisierung mit einer zunehmenden Unschärfe des Begriffs
verbunden ist, zeigt sie doch: Stadtentwicklungspolitik ist in der Mitte
der Gesellschaft angekommen.
## Keine Ikea-Filiale in Altona?
Die Anlässe und Protestformen sind vielfältig. Demonstrationen gegen das
Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, Bürgerbegehren gegen eine Ikea-Filiale in
Hamburg-Altona und das geplante Großprojekt Mediaspree in Berlin, aber auch
Mobilisierungen von MieterInnen in ehemaligen Sozialbauwohnungen stehen
ebenso wie die Brandstiftungen an Luxusfahrzeugen in Kreuzberg für das
Aufbrechen stadtpolitischer Konflikte. Doch um zur Bewegung zu werden,
brauchen diese Aktivitäten eine Richtung. Das Konzept "Recht auf Stadt"
könnte da eine Orientierung bieten.
Dieser ursprünglich philosophische Ansatz des französischen Urbanisten und
Soziologen Henri Lefebvre wird mittlerweile von sozialen Bewegungen und
kritischen AkademikerInnen weltweit aufgegriffen, um Forderungen nach einer
anderen als der vorherrschenden Stadtentwicklung miteinander in Beziehung
setzen zu können. Inhaltlich geht es um den Zugang zu wesentlichen
Ressourcen der urbanen Gesellschaft, um die Anerkennung von Differenz sowie
die Möglichkeit, künftige Stadtentwicklung mitzugestalten.
## Kiezromantik und Aktivismus
Intellektuelle und Initiativen, die sich auf das Konzept beziehen, bieten
ein buntes Potpourri aus philosophischer Lefebvre-Exegese,
Kiezverteidigungsstrategien, Sozialromantik und Aktivismus. Diese Vielfalt,
diese Unterschiedlichkeit und diese Differenzen innerhalb der
stadtpolitischen Netzwerke anzuerkennen gehört unbestritten zu den
Grundsätzen des "Recht auf Stadt"-Gedankens - eben weil die Stadt oder
besser die verstädterte Gesellschaft gar nicht anders zu denken ist als in
Unterschieden und Ungleichzeitigkeiten. Gerade internationale Bewegungen,
die sich am Recht auf die Stadt orientieren, stehen für solche
milieuübergreifende Organisierungsformen.
Grundsätzliche Utopien und reformpolitische Forderungen halten dabei die
Balance. So verstehen brasilianische Obdachlosenbewegungen unter ihrem
"Recht auf Stadt", dass sie sich leer stehende Häuser aneignen. Unter dem
gleichen Label streiten städtische Initiativen in Buenos Aires und Istanbul
dafür, den Wohnraum in den informellen Siedlungen der Metropolen zu
legalisieren, während "Right to the City"-AktivistInnen in den USA eine
bessere Kommunalpolitik, mehr Transparenz der öffentlichen Finanzen und die
Mitsprache bei stadtpolitischen Entscheidungen einfordern.
Dahinter stehen Utopien einer anderen Stadt und einer befreiten
Gesellschaft. Aber konkret geht es um Forderungen von MigrantInnen und
Illegalisierten, prekär Beschäftigten und ausgeschlossenen Jugendlichen,
von Sexarbeiterinnen und Obdachlosen.
In Deutschland sind diese Bevölkerungsgruppen in den "Recht auf
Stadt"-Netzwerken eher selten anzutreffen. Ein Grund, warum gerade jene
Initiativen und Stadtteilgruppen, die auf eine Basisorganisierung von
Marginalisierten setzen, dem Hype um den neuen Modebegriff eher kritisch
gegenüberstehen. Manche befürchten sogar, dass die Unbestimmtheit des
Begriffs "Recht auf Stadt" die Konturen sozialer Konflikte und
Demarkationslinien in umkämpften Räumen verdeckt.
## Utopien und reale Reformen
Das Spannungsverhältnis von utopischen Visionen und reformpolitischen
Ansätzen auszuloten bleibt dabei sicherlich die größte Herausforderung.
Denn utopische Entwürfe einer befreiten Gesellschaft halten für die akuten
Problemlagen nur selten konkrete Antworten bereit.
In linken Debatten wird immer wieder gerne mit der grundsätzlichen Haltung
gegen das System kokettiert. Die Zeit der Forderungen sei vorbei, heißt es
dann. Gemeint ist, dass Probleme jenseits der staatlich-administrativen
Regulationsversuche auf eigene Faust gelöst werden sollen. Das klingt toll,
nützt aber den MieterInnen von Gammelhäusern im Konflikt mit ihrer
Wohnungsverwaltung, den von Abschiebung bedrohten Romafamilien oder den
Hartz-IV-Betroffenen mit Kostensenkungsaufforderung erst einmal recht
wenig. Die "Recht auf Stadt"-Initiativen werden sich auch daran messen
lassen müssen, ob es ihnen gelingt, für all diese Probleme eine Strategie
zu finden - und ihre Forderungen auch durchzusetzen.
2 Jun 2011
## AUTOREN
Andrej Holm
## TAGS
Recht auf Stadt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Stadtsoziologie von Henri Lefebvre: Die beschädigte urbane Gesellschaft
Der Soziologe Henri Lefebvre kritisierte die autogerechte Stadt und den
Verlust öffentlicher Räume. Neue Konzepte schließen an seine Ideen an.
Finanzkrise treibt Immobilienpreise: Hilfe, die Spekulanten kommen!
Die Finanzkrise hat nun auch die deutschen Großstädte erreicht – und zwar
in Form von rasant steigenden Immobilienpreisen. Vor allem Berlin ist
betroffen.
Stadt-Kongress in Hamburg: Orientierungshilfe für die Kuhherde
600 internationale AktivistInnen diskutierten über Stadtpolitik. Und
versuchten, das „Recht auf Stadt“ auch praktisch zu definieren. Die Polizei
fand's nicht lustig.
Stadtumbau in Hamburg: Plötzlich wieder Aufstand
Künstler besetzen ein Altbauquartier, Anwohner kämpfen gegen eine
Ikea-Ansiedlung. Städtischer Protest hat in Hamburg seit zwei Jahren an
Fahrt gewonnen. Ein Rückblick.
Fabelhaftes St. Pauli: Die Maschine der Zukunft
Die Initiative Fabulous St. Pauli bemüht sich um die Gründung einer
Werkstatt, die High-Tech für alle ermöglichen soll. Beim Recht-auf-Stadt
Kongress, der am 2. Juni in Hamburg beginnt, stellt sie sich vor.
Kommentar Mietspiegel: Blind auf dem Mietmarkt
Der Mietspiegel belegt deutlich die Probleme auf dem Berliner
Wohnungsmarkt. Nur die Stadtentwicklungssenatorin hält sich weiter die
Augen zu.
Neuer Berliner Mietspiegel: Berlin bald Weltklasse
Höhere Mieten, teure Neubauten, Wohnungsknappheit, Verdrängung: Der neue
Mietspiegel 2011 hat eine enorme Teuerung in Berlin um acht Prozent
ermittelt.
Strategien gegen Mieterhöhungen: Gekaufte Freiheit
Am Montag erscheint der neue Mietspiegel für Berlin. Wie Bewohner sich
erfolgreich gegen steigende Wohnkosten wehren können, zeigt ein Haus im
Stadtteil Friedrichshain.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.