| # taz.de -- Stadt-Kongress in Hamburg: Orientierungshilfe für die Kuhherde | |
| > 600 internationale AktivistInnen diskutierten über Stadtpolitik. Und | |
| > versuchten, das „Recht auf Stadt“ auch praktisch zu definieren. Die | |
| > Polizei fand's nicht lustig. | |
| Bild: Rinder als Kongresssymbol für die Besetzung freier Stadträume. | |
| In Hamburg tut sich was. Neidvoll blicken Aktivisten und politisch | |
| Interessierte andernorts auf eine stadtpolitische Bewegung, der es seit | |
| nunmehr zwei Jahren sogar gelingt, Autonome mit Kleingärtnern zu vernetzen. | |
| Dem Hamburger Vorbild folgend, haben sich jüngst auch in Freiburg und | |
| München „Recht auf Stadt“-Netzwerke gegründet. | |
| Was aber steckt hinter diesem vagen Slogan? Was lässt sich über die | |
| strategische Vernetzung hinaus zu den politischen Zielen dieser Bündnisse | |
| sagen? Eine Frage, die die Co-Initiatoren des Hamburger „Recht auf | |
| Stadt“-Netzwerks auf einem Kongress klären wollten. | |
| Zur Orientierungshilfe wird immer wieder auf den französischen | |
| Stadttheoretiker Henri Lefebvre verwiesen, auf den die Formel „Recht auf | |
| Stadt“ zurückgeht. Er verband damit eine nicht näher bestimmte „höhere F… | |
| von Rechten“. Weder ein einklagbares Individual- oder Besuchsrecht noch der | |
| Anspruch auf eine Rückkehr zur traditionellen Stadt sollte daraus | |
| abgeleitet werden. „Man kann es nur als Recht auf ein städtisches, | |
| transformiertes, erneuertes Leben formulieren“, wies Lefebvre an. So weit, | |
| so nebulös. | |
| ## New Yorker Movement for Justice | |
| Gleich am ersten Kongresstag kam die Frage dann auch auf den Tisch: Was ist | |
| das eigentlich, dieses „Recht auf Stadt“? „Wir benutzen den Begriff nicht. | |
| Wenn du jemanden aus meiner Gruppe fragst, was der Begriff bedeutet, er | |
| würde sagen, ich weiß es nicht“, machte Juan Haro vom New Yorker Movement | |
| for Justice in El Barrio klar. | |
| Die Bewegung entstand 2006, um die Verdrängung von lateinamerikanischen | |
| MigrantInnen aus ihrer Nachbarschaft in East Harlem zu verhindern. Zwar | |
| gebe es in New York andere Gruppen, die mit dem „Recht auf Stadt“ | |
| operieren, so Haro. Im Gegensatz zur basisdemokratischen Organisation und | |
| antikapitalistischen Ausrichtung des Movement würden diese auch auf | |
| Repräsentanz durch „professionelle Organisatoren“ setzen. | |
| Eine Diskussion am Abend versprach mehr Licht ins Dunkel zu bringen und mit | |
| der Frage „Was bedeutet Recht auf Stadt für die städtischen Kämpfe“ | |
| Potentiale und Grenzen des Slogans auszuloten. Doch statt zu debattieren, | |
| wurden die an einer Klärung interessierten Kongressteilnehmer zunächst in | |
| eine Inszenierung involviert. | |
| Bei der als „künstlerische Intervention im öffentlichen Raum“ angelegten | |
| Aktion machte sich eine als Kühe verkleidete Herde von Aktivisten und | |
| Kongressteilnehmern auf den Weg zur alten Rindermarkthalle auf St. Pauli | |
| und traf dort auf die Polizei. Diese ging mit Knüppeln und Pfefferspray | |
| gegen die Begehung des sich im städtischen Besitz befindenden und teilweise | |
| leerstehenden Gebäudes vor. | |
| Wo es galt, in Konfrontation mit der Polizei zu gehen, wurde gemeinsames | |
| Nachdenken über die Tragfähigkeit des Recht auf Stadt-Begriffs allerdings | |
| erst einmal zweitrangig. | |
| ## Kairo und St. Pauli | |
| „Tahrir Platz, Plaza de Catalunya oder jetzt die alte Rindermarkthalle – es | |
| ist eigentlich alles das selbe, dafür steht Recht auf Stadt auch“, sagte | |
| einer der Sprecher des Hamburger Netzwerks als sich die Lage wieder | |
| beruhigt hatte. Ohne ein Wort über den unterschiedlichen Grad der | |
| Repression in Kairo, Barcelona und Hamburg zu verlieren, übergab er den | |
| internationalen Gästen das Wort. | |
| Der Delegierte von Abahlali baseMjondolo, einer südafrikanischen Bewegung | |
| von BewohnerInnen informeller Siedlungen verstand das „Recht auf Stadt“ als | |
| das Recht der Entrechteten, all derer, die nicht zur privilegierten Schicht | |
| der Reichen gehören. | |
| Deutlich wurde nun immerhin, dass sich das „Recht auf Stadt“ erst dann zu | |
| präzisieren beginnt, wenn es für eine bestimmte soziale Gruppe geltend | |
| gemacht wird. Das „Recht auf Stadt“ für Obdachlose, Arme, Kreative und | |
| Migranten? Oder handelt es sich schlicht um eine „urbane Ideologie“, wie | |
| ein Lefebvre-Kritiker zu bedenken gab. Die von ihm implizit aufgeworfene | |
| Frage, ob die Konzentration von Bildung, Kapital und Ressourcen in einigen | |
| wenigen Städten überhaupt wünschenswert ist, wurde leider nicht weiter | |
| diskutiert. | |
| Insgesamt erweckten die Wortbeiträge auf dem Kongress den Eindruck, dass | |
| gerade seine Offenheit für alle möglichen Inhalte als eigentliche Qualität | |
| des „Rechts auf Stadt“ wahrgenommen wird und es vor allem um die Vernetzung | |
| geht. So führte Andrés Antillano vom Movimiento de Pobladores, der Bewegung | |
| der städtischen Armen in Venezuelas Metropole Caracas, aus, dass sie der | |
| neoliberalen Stadtentwicklung eine Politik der Ausgeschlossenen | |
| entgegensetzen wollen. | |
| Während die „Recht auf Stadt“-Bewegung in Hamburg vor allem durch steigende | |
| Mieten (auch für die Nicht-Ausgeschlossenen) angestoßen worden ist. Und | |
| trotz eines merklichen Interesses, den Slogan greifbar zu machen, blieb | |
| seine Vagheit dann auch weiter beständig. Liegt vielleicht in der | |
| Anschlussfähigkeit das politische Ziel oder welchem Zweck dient die | |
| Unbestimmtheit des „Rechts auf Stadt“? | |
| ## Netzwerken droht „Starsystem“ | |
| Gegen linke Debatten gibt es immer wieder den Vorbehalt, dass diese sich in | |
| Grabenkämpfen und Auseinandersetzungen um Inhaltliches erschöpfen. Dies zu | |
| umgehen, indem man sich nicht näher über die politischen Ambitionen und | |
| Unterschiede verständigt und verschiedene Interpretationen nebeneinander | |
| bestehen lässt, scheint dem „Recht auf Stadt“- Netzwerk ein Anliegen zu | |
| sein. So hielten es auch die Initiatoren des Kongresses, denen es | |
| augenscheinlich vor allem um eine Konsolidierung und Selbstvergewisserung | |
| ihrer noch jungen Bewegung ging. | |
| Andererseits wurden auch die Gefahren antizipiert, die drohen, wenn die | |
| Verständigung über Ziele und Grundsätze allzu sehr vermieden wird. Und | |
| stattdessen die Suche nach „Sprechweisen, die über die standardisierten | |
| Formen des Plenums und der Demonstration hinausgehen“, wie es die | |
| Veranstalter ausdrücken, im Vordergrund stehen. | |
| So lautete eine lebhaft diskutierte These, dass Strukturlosigkeit in | |
| Tyrannei münden könne. Teilnehmer verwiesen auf die Anfälligkeit | |
| informeller Organisationsformen für Machtinteressen von außen und innen. | |
| Gerade lockere Netzwerke begünstigten ein „Starsystem“ von versierten | |
| Sprechern, die der Repräsentationsanforderung herkömmlicher politischer | |
| Praxis und der Massenmedien doch wieder entgegen käme. | |
| Wie die Hamburger Bewegung zeigt, können medienwirksame Kampagnen und | |
| spektakuläre Aktionen mit Hilfe der lokalen Kulturprominenz aus dem Umfeld | |
| des Golden Pudel Clubs auf Sympathie, die bis in Springers Abendblatt | |
| reicht, stoßen. Und sogar, wie etwa im Fall des Gängeviertels mit seinem | |
| Schirmherrn, dem international gefeierten Maler Daniel Richter, schnellen | |
| Erfolg zeitigen. Sie ersetzen aber nicht die Potentiale basisdemokratischen | |
| Prozesse, die jenseits von taktischen Allianzen die gerechtere Verteilung | |
| ökonomischer Ressourcen und die Multiplikation von | |
| Artikulationsmöglichkeiten nicht nur anvisieren, sondern auch praktizieren. | |
| Solange das „Recht auf Stadt“-Netzwerk seine Politik nicht weiter fundiert | |
| und konkretisiert, läuft es Gefahr, vereinnahmt oder instrumentalisiert zu | |
| werden. Entscheidend ist, ob man das „Recht auf Stadt“ als etwas versteht, | |
| was über die Durchsetzung von Einzelinteressen hinausgeht. Denn gerade die | |
| Hamburger Erfahrung zeigt auch, dass es ein Leichtes ist, partikulare | |
| Raumforderungen zu befriedigen – ohne das sich im Großen und Ganzen etwas | |
| ändert. | |
| 8 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
| Rahel Puffert | |
| ## TAGS | |
| Öffentlicher Raum | |
| Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
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