| # taz.de -- Stadtumbau in Hamburg: Plötzlich wieder Aufstand | |
| > Künstler besetzen ein Altbauquartier, Anwohner kämpfen gegen eine | |
| > Ikea-Ansiedlung. Städtischer Protest hat in Hamburg seit zwei Jahren an | |
| > Fahrt gewonnen. Ein Rückblick. | |
| Bild: Auf einer Anti-Gentrifizierungs-Demo in Hamburg im Juni 2009. | |
| HAMBURG taz | Dass "Recht auf Stadt" so ein zündendes Schlagwort werden | |
| würde, hat vor zwei Jahren wohl keiner geahnt. Im Juni 2009 organisierte | |
| eine Handvoll von Initiativen in Hamburg einen Kongress zum Thema | |
| Gentrifizierung. Einer Stadt, die sich als Glitzermetropole verkauft, | |
| setzten sie das "Recht auf Stadt" entgegen: das Recht auf Sichtbarkeit, auf | |
| Beteiligung, das auf faire Produktionsbedingungen und vor allem das Recht, | |
| angemessen zu wohnen - auch dort wo die Stadt urban ist. | |
| An diesem Himmelfahrtswochenende findet wieder so ein Kongress statt, | |
| jedoch in einem deutlich größeren Rahmen. Mobilisiert wurde bundesweit. Die | |
| Debatten docken an den internationalen Diskurs an und an eine im ganzen | |
| Land verbreitete Renitenz, die weit ins Bürgertum hinein reicht. | |
| In Hamburg haben fast alle Debatten, die im Zusammenhang mit dem "Recht auf | |
| Stadt" eine Rolle spielen, in den vergangenen zwei Jahren ihren Ausdruck | |
| gefunden. Entsprechend breit ist das Spektrum der Initiativen, die sich an | |
| der Elbe unter dem Dach der Bewegung versammelt haben: von Kleingärtnern | |
| über Klimaschützer bis hin zu Mieteraktivisten und Künstlern. Den richtigen | |
| Drive und die bundesweite Aufmerksamkeit freilich brachten letztere. | |
| ## Furcht vor Schicki-Micki | |
| Das begann mit der Besetzung des Gängeviertels, dem Rest eines ehemaligen | |
| Arbeiter- und Armenquartiers in der Innenstadt. Im August 2009 riss sich | |
| eine Gruppe von KünstlerInnen das Häuserensemble unter den Nagel, um es vor | |
| Abriss und Entkernung zu bewahren: Statt Schicki-Micki-Wohnungen sollte | |
| nach ihrem Willen hier eine Künstlerkolonie mit Wohnungen, Werkstätten und | |
| Ausstellungsräumen entstehen. Der schwarz-grüne Senat sollte das bereits an | |
| einen Investor veräußerte Ensemble zurückkaufen und die Sanierung | |
| ermöglichen. | |
| Das Anliegen fiel auf fruchtbaren Boden. Einerseits vermieden es die | |
| Künstler sorgfältig, von einer "Besetzung" zu sprechen und ersparten sich | |
| so einen ideologischen Konflikt. Andererseits war in das Bewusstsein der | |
| Öffentlichkeit und der Politik seit Jahren eingesickert, wie wichtig | |
| ungebändigte Kulturschaffende für die Attraktivität von Metropolen sind. | |
| Die Soziologin Saskia Sassen hatte darauf schon vor zehn Jahren auf | |
| Einladung des damaligen SPD-Bürgermeisters Ortwin Runde hingewiesen. Und | |
| selbst der CDU-Senat unter Ole von Beust nahm die Thesen des Ökonomen | |
| Richard Florida zur Kenntnis, dass diejenigen Metropolen Talente anziehen, | |
| die neben einer guten Infrastruktur und interessanten Unternehmen über eine | |
| lebendige Offszene verfügen: Räume für Subkulturen, für sexuelle | |
| Minderheiten, für Leute, die sich oder etwas ausprobieren wollen. | |
| Sassen spricht von der "amorphen anarchischen Welt des Talents", auf die | |
| prosperierende Metropolen angewiesen seien: wenig regulierte Milieus, die | |
| Entwicklungsmöglichkeiten und Anregungen bieten, die cool sind und von | |
| deren Kreativität sich diejenigen inspirieren lassen, die das Geld machen. | |
| ## Kultur und Kiez gegen den Ikea-Klotz | |
| Nicht nur dass die Gängeviertel-Künstler offene Türen einrannten. Der Senat | |
| hatte sich dieses Konzepts bereits an anderer Stelle mit mehr Erfolg | |
| bedient, als ihm lieb war. Unweit des Altonaer Bahnhofs lockte er im Rahmen | |
| einer Quartierssanierung einen Haufen Künstler in ein verfallendes | |
| Hochhaus-Monstrum samt Einkaufscenter aus den 70er Jahren. Der | |
| Gebäudekomplex "Frappant", an einer Fußgängerzone gelegen, stand Jahrzehnte | |
| halb leer. Mehrere Wiederbelebungsversuche erwiesen sich als erfolglos. In | |
| die Geschäfte der Umgebung zogen Ein-Euro-Läden und Dönerbuden. | |
| Doch mit den Künstlern, mit einem Musikclub, der hier vorübergehend Asyl | |
| fand, und der Nähe zum Szenestadtteil Ottensen belebte sich die Gegend auf | |
| erstaunliche Weise. Und als die Politik die ersehnte Lösung für ihr | |
| städtebauliches Problem präsentieren konnte, stieß sie plötzlich auf | |
| Widerstand: Die Künstler wollten nicht mehr raus, und ein Teil der Anwohner | |
| wollte sich nicht einen Ikea-Klotz vor die Nase knallen lassen, der in | |
| Altona Nord die Gentrifizierung starten würde. | |
| Es formierte sich ein farbenfroher Protest. Im September 2009 wandte sich | |
| eine Riege prominenter Kulturschaffender in einem offenen Brief an den | |
| Ikea-Gründer Ingvar Kamprad. "Ikea passt hier nicht hin - man sollte da | |
| sozialen Wohnungsbau machen", schrieben der Regisseur Fatih Akin, der | |
| Schauspieler Peter Lohmeyer, Rocko Schamoni (Studio Braun) und 80 andere. | |
| ## Künstler-Spagat zwischen Förderung und Widerstand | |
| Die vertrackte Lage der Künstler wurde einen Monat später offenbar, als | |
| wiederum eine Gruppe von Kulturschaffenden das Manifest "Not in our name, | |
| Marke Hamburg", veröffentlichte. Die Konkurrenz der Standorte habe "dazu | |
| geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer "Image City" | |
| unterordnet", kritisiert der von Ted Gaier, Musiker der Goldenen Zitronen, | |
| initiierte Aufruf. Für ein solches Stadtmarketing stünden die Unterzeichner | |
| aber nicht zur Verfügung, heißt es weiter. Und dann folgt die Kritik an | |
| einer Politik, die sich einseitig an den Verwertungsinteressen des Kapitals | |
| ausrichte und gerade den Künstlern und dem gemeinen Volk das Leben schwer | |
| mache. | |
| Die Künstler üben den Spagat zwischen "Sich nicht vereinnahmen lassen" und | |
| "Vom Staat Freiräume finanziert bekommen wollen". Wie die Studenten, | |
| Politikaktivisten und Intellektuellen, von denen sie unterstützt werden, | |
| befinden sie sich in dem Dilemma, eine Entwicklung voran zu treiben, die | |
| sie kritisieren: Sie machen die Stadtteile, in die sie ziehen, erst | |
| interessant und damit ökonomisch wertvoll. Sich dieser Logik zu entziehen | |
| ist schwierig, weil sie vom Widerständigen lebt. Das gilt sogar für das | |
| selbstverwaltete Kulturzentrum "Rote Flora" im Schanzenviertel, das auf | |
| seinen Besetzerstatus und damit einen Status jenseits der staatlichen | |
| Normen pocht. | |
| ## Gängeviertel bleibt, Möbelhaus kommt | |
| Im Gängeviertel war der Protest erfolgreich, weil das alte Ensemble | |
| malerisch ist und die Hamburger daran erinnert, dass sie in der | |
| Vergangenheit eher zuviel als zu wenig abgerissen haben. Dabei ist die | |
| Gentrifizierungsgefahr klein, da das Viertel ohnehin von Geschäftshäusern | |
| beherrscht wird. | |
| Ein Bürgerbegehren gegen den Ikea-Neubau in Altona konnte sich dagegen mit | |
| Abstand nicht gegen ein Bürgerbegehren Pro Ikea durchsetzen. Zu lange | |
| hatten die Leute wohl den Niedergang der zentralen Einkaufsstraße ansehen | |
| müssen, als dass sie diese Chance ausgeschlagen hätten. Gegen eine Allianz | |
| von Bezirksversammlungsmehrheit und örtlicher Geschäftswelt war es für die | |
| Anti-Ikea-Initiative schwer anzukommen. Inzwischen beklagen sich bereits | |
| die ersten Geschäftsleute in der künftigen Ikea-Nachbarschaft über | |
| steigende Mieten. | |
| ## Bürger stehen nicht auf Leitung | |
| Neben dem Kampf um Freiräume, dem Denkmal- und dem Milieuschutz spielt der | |
| Umweltschutz bei den städtischen Konflikten eine große Rolle. In Hamburg | |
| verdichtete er sich in dem Konflikt um eine Fernwärmeleitung für das in Bau | |
| befindliche Kohlekraftwerk Moorburg. Anwohner und Umweltverbände probten | |
| den Aufstand als ruchbar wurde, die Leitungstrasse sollte durch einen Park | |
| aus der Wiederaufbauphase in den 50er Jahren führen. | |
| Die Anwohner demonstrierten, veranstalteten Pressekonferenzen und besetzten | |
| Bäume. Der Unwille, eine Baustelle vor dem eigenen Haus zu tolerieren und | |
| Bäume zu verlieren, verband sich mit dem großen Kampf gegen den | |
| Klimawandel, verkörpert in dem Großkraftwerk der Firma Vattenfall. Jetzt | |
| wird über eine andere Trassenvariante nachgedacht. | |
| Weil an allen Ecken und Enden mit gut organisiertem Protest zu rechnen ist, | |
| hat die Politik reagiert. In einem sehr mobilisierungsfähigen Viertel wie | |
| Altona kommt die verfasste Politik nicht um eine frühzeitige | |
| Bürgerbeteiligung herum. Stadtteilkonferenzen und Planungswerkstätten | |
| sollen dem verbreiteten Misstrauen der Bürger begegnen. Die in den | |
| vergangenen Jahren sukzessive eingeführte Volksgesetzgebung zwingt sie | |
| nachgerade dazu. Die Gesellschaft lernt dazu - nicht nur technologisch | |
| sondern auch politisch. | |
| 1 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
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