# taz.de -- Debatte Neonazistische Straftäter: Bloß keine rechte Spur! | |
> Hinweise auf rechtsextreme Hintergründe bei Straftaten werden immer | |
> wieder systematisch ausgegrenzt. Das war nicht nur im Fall des Zwickauer | |
> Mordtrios so. | |
Bild: Ungesühnt: 10 Menschen starben beim Brandanschlag auf diese Lübecker Fl… | |
Neun Monate Ermittlungen über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) | |
haben deutlich gemacht: Die Strafverfolger waren über die Jahre in erster | |
Linie bemüht, Spuren zu verwischen, die auf einen rechten Hintergrund der | |
Morde schließen lassen. | |
Da wurden Akten zerschreddert, Beweismaterialien ignoriert und Erkenntnisse | |
zurückgehalten, um zu verhindern, dass neonazistische Täter verfolgt und | |
die Rolle von Verfassungsschützern offengelegt wird. Zugleich entwickelten | |
die Ermittler unglaubliche Fantasie, als es galt, die Schuldigen im | |
vermeintlich kriminellen Umfeld der migrantischen Opfer zu suchen. Man | |
bastelte falsche Dönerbuden und entdeckte Verbindung zu ominösen Netzwerken | |
des organisierten Verbrechens in der Türkei. | |
Das alles mag erschrecken, hat aber schon lange System. Bereits bevor Beate | |
Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt abtauchten, zählten einseitige | |
Ermittlungen bei mutmaßlich rassistischen Attentaten zum Standardrepertoire | |
von Kriminalisten und Strafverfolgern. Zwei Fälle setzten hier Maßstäbe: | |
der Angriff auf ein von der türkischen Migrantenfamilie Ünver bewohntes | |
Haus in Hattingen 1993 sowie der Brandanschlag auf eine | |
Flüchtlingsunterkunft in Lübeck 1996, bei dem zehn Menschen starben. | |
Nach beiden Angriffen waren die Brandstifter schnell gefunden. Für das | |
Hattinger Feuer musste sich die Familienmutter Yasar Ünver vor Gericht | |
verantworten, in der Hansestadt wurde gegen den Hausbewohner Safwan Eid | |
verhandelt. Gegen beide lagen praktisch keine Beweise vor, beide saßen | |
monatelang im Gefängnis, beide wurden freigesprochen. | |
Ein einziges Indiz konnten die Ermittler gegen den Libanesen Eid | |
vorbringen. Er sollte einem Sanitäter auf der Fahrt ins Krankenhaus die Tat | |
gestanden haben. Diese Aussage beflügelte die Fantasie der Strafverfolger. | |
Von kriminellen Machenschaften im Haus war die Rede. Und von Streitigkeiten | |
unter den Flüchtlingen, obwohl fast alle Bewohnerinnen und Bewohner von | |
guten Verhältnissen untereinander sprachen. Zudem streuten die | |
Staatsanwälte offensichtlich falsche Informationen. So behaupteten sie, Eid | |
habe dem Sanitäter den genauen Ort des Brandausbruchs geschildert. Davon | |
war aber in der Aussage nicht die Rede – ganz abgesehen davon, dass man bis | |
heute nicht weiß, wo das Feuer genau seinen Ausgang nahm. | |
Wer tatsächlich für den Anschlag vom 18. Januar 1996 verantwortlich war, | |
ist ungeklärt. Viel spricht dafür, dass rechte Gewalttäter gezündelt haben. | |
Wenige Stunden nach der Tat hatte die Polizei vier junge Deutsche aus dem | |
mecklenburgischen Grevesmühlen festgenommen, die nachts in der Nähe des | |
Gebäudes gesehen worden waren. | |
Bei drei der Männer stellten Gerichtsmediziner versengte Wimpern, | |
Augenbrauen und Haare fest. Maik W., der sich auch gern „Klein-Adolf“ | |
nennen ließ, war den Behörden bekannt, weil er Hakenkreuze gesprüht hatte, | |
Dirk T. hatte an den Rostocker Pogromen von 1992 teilgenommen. Für ihre | |
Verbrennungen lieferten sie skurrile Erklärungen: Maik W. will einen Hund | |
mit Haarspray eingesprüht und angezündet haben. René B. schilderte, er habe | |
im Dunkeln Benzin aus seinem Mofa abgezapft. Um etwas zu sehen, habe er ein | |
Feuerzeug angezündet, und so sei eine Stichflamme entstanden. Diese | |
Aussagen wurden in der Folge nicht mehr infrage gestellt, obwohl | |
Untersuchungen ergaben, dass sich die Männer ihre Verbrennungen in den 24 | |
Stunden vor ihrer Festnahme zugezogen haben müssen. | |
## Staatsanwälte ohne Interesse | |
Doch merkwürdige Einlassungen und rechtsradikale Vorgeschichten konnten die | |
Ermittler ohnehin nicht beirren. Nachdem Polizisten bestätigten, drei der | |
Männer zum Tatzeitpunkt an einer von der Hafenstraße weit entfernten | |
Tankstelle gesehen zu haben, wurde das Mecklenburger Quartett wieder | |
freigelassen. Das Alibi erwies sich als fragwürdig, zudem wusste zu diesem | |
Moment niemand, wann das Feuer genau ausgebrochen war. Doch die | |
Bundesanwälte ließen keine Zweifel: „Die zunächst als tatverdächtig | |
angesehenen Jugendlichen scheiden bereits am 19. Januar wieder aus.“ | |
Bis heute weigern sich die Strafverfolger, das Verfahren wieder | |
aufzunehmen. Dabei haben sich die Männer geradezu bemüht, ihre Täterschaft | |
zu beweisen. Vor dem Brand erläuterte Maik W. einem Freund, er werde in | |
Lübeck etwas anzünden oder habe es schon getan, später prahlte er damit, an | |
dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein. So gegenüber Mithäftlingen des | |
Gefängnisses Neustrelitz, wo er 1998 wegen Autodiebstahls einsaß. | |
Die Lübecker Staatsanwälte zeigten jedoch wenig Interesse an den Aussagen, | |
wie Haftleiter Peter Danneberg irritiert feststellen musste. Auch eine | |
weitere Spur wurde nie verfolgt: Dirk T. hatte offenbar vor seiner | |
Festnahme einen Draht zu den Staatsschützern des LKA. Manches spricht | |
dafür, dass er für die Behörde als V-Mann tätig war. | |
## Straflose Verbrechen | |
Wollen die Strafverfolger also verhindern, dass Verbindungen zwischen | |
Behörden und militanten Neonazis bekannt werden? Oder haben die Geheimen | |
sogar mitgezündelt? Spätestens seit den NSU-Enthüllungen ist selbst dieser | |
Verdacht nicht auszuschließen. Oder was könnte sonst dahinterstecken, wenn | |
Verdächtige nicht verfolgt werden, die ihren Anschlag ankündigen, vor Ort | |
gesehen werden und später mit ihrer Täterschaft prahlen? | |
Fragen, die geklärt werden müssen. Die Ermittlungen gegen die | |
Grevesmühlener müssen wieder aufgenommen werden. Die Lübecker | |
Straflosigkeit hat das Bild aufrechterhalten, nachdem Migranten und | |
Flüchtlinge selbst für das ihnen zugefügte Leid verantwortlich sind – und | |
es damit auch den Fahndern der NSU-Morde leicht gemacht, nach diesem Schema | |
zu ermitteln. Zudem haben die Staatsanwälte Neonazis wie dem Zwickauer Trio | |
signalisiert: Wer Migranten angreift, muss nicht mit Verfolgung rechnen. | |
Straflosigkeit, das weiß man aus Ländern mit großen | |
Menschenrechtsproblemen, schafft den Freiraum für die nächste Tat. Deshalb | |
gilt auch nach 16 Jahren: Bleibt der Lübecker Anschlag ohne strafrechtliche | |
Konsequenzen, schafft er den Boden für weiteres Morden. Wer die | |
Strafverfolgung verhindert, macht sich mitschuldig. | |
6 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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