# taz.de -- Hilfe für das NSU-Terrortrio: Vielfältige Kontakte aus Niedersach… | |
> Im Jahr 1998 reiste Holger G. nach Niedersachsen um Hilfe für die | |
> untergetauchten späteren NSU-Terroristen zu suchen. Auch später konnten | |
> die drei auf Hilfe aus dem Norden setzen. | |
Bild: Die Spur führt - auch - nach Niedersachsen: Mahnwache für die Opfer der… | |
HAMBURG taz | Das Brautpaar küsst sich auf dem Treppenportal vor dem | |
historischen Standesamt. Über den Köpfen kreuzen zwei Burschenschafter in | |
vollem Wichs die Säbel. Die Gäste bei dieser Hochzeit sind speziell: Männer | |
mit Glatze und Springerstiefeln, Frauen mit der Feathercut-Frisur der | |
Skinheadgirls. Nicht nur für die Braut im weißen Minikleid und den | |
Bräutigam im dunklen Anzug war dieser Tag im Juni 1999 etwas ganz | |
Besonderes. | |
Tags darauf lud die frisch vermählte rechtsextreme Szenegröße Thorsten | |
Heise 250 Gäste nach Northeim. Mit dabei: Holger G., der Uwe Mundlos, Uwe | |
Böhnhardt und Beate Zschäpe vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) | |
wiederholt half – bis das Terrortrio im November 2011 aufflog. | |
Vermutlich konnten sich die drei, auf deren Konto zehn Morde, zwei | |
Bombenanschläge und vierzehn Banküberfälle gehen sollen, in Niedersachsen | |
wie auch in Thüringen und Sachsen auf hilfreiche Strukturen verlassen: die | |
höchst konspirativen Strukturen des 2000 verbotenen Netzwerks „Blood & | |
Honour“ (B & H). | |
Laut internen Ermittlungsakten, die der taz vorliegen, hatte das NSU-Trio | |
bereits vor seinem Abtauchen im Jahr 1998 Kontakte zu B & H. Bei der | |
Hochzeitsfeier ein Jahr darauf waren neben B & H-Anführern auch Angehörige | |
des „Thüringer Heimatschutzes“ vertreten, zu dem Mundlos, Böhnhardt und | |
Zschäpe zählten. Glaubt man den Ermittlungsakten, war Holger G. nicht bloß | |
als Gast da. | |
## Hilfe für die Flüchtigen | |
Demnach war der mutmaßliche Terrorhelfer mit der Order zur Hochzeit | |
gereist, den international vernetzten Rechtsrock-Produzenten Heise um Hilfe | |
zu bitten für die Flucht der bereits untergetauchten Kameraden ins Ausland. | |
Die Pläne platzten. G. kam nicht alleine zur Szene-Hochzeit, sondern | |
zusammen mit dem Hildesheimer Hannes F., damals wichtigster | |
niedersächsischer B & H-Kader. | |
1999 besuchten F. und sein B & H-Kamerad Hannes K. ein Solidaritäts-Konzert | |
mit dem thüringischen Liedermacherduo „Eichenlaub“, das wiederum den auf | |
der Flucht befindlichen Jenaer Bombenbastlern ein Lied widmete. Gast war | |
dort auch G., der dem Trio später eine Pistole übergab sowie Böhnhardt | |
einen Führerschein und zwei Reisepässe verschaffte. | |
Galt G. als eifriger Mitläufer, waren K. und F. echte Szenegrößen, gegen | |
die später auch wegen der verbotenen Fortführung von „Blood & Honour“ | |
ermittelt wurde. Nahe dem Truppenübungsplatz Munster (Landkreis Heidekreis) | |
betrieben der ehemalige Söldner und der Tätowierer zusammen eine „Close | |
Combat School“, eine Nahkampfschule, mit Messerkampf und | |
„Survivaltrainings“ im Angebot. | |
Kontakt zu K. und F. hatte auch André E. aus Zwickau. Er soll im August | |
2011, wenige Monate vor Aufdeckung des NSU, K. in einem Hildesheimer | |
Tattoo-Laden freundschaftlich begrüßt haben. Die Zwillingsbrüder E. sollen | |
früh Kontakte zur sächsischen B & -Sektion gehabt haben. André E. war | |
vermutlich der erste, den Beate Zschäpe auf ihrer Flucht im November 2011 | |
zu kontaktieren suchte. Über Wochen hat seine Frau die Flüchtige in einer | |
konspirativen Wohnung besucht, berichteten Anwohner. Auf ihrer tagelangen | |
Irrfahrt nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos steuerte Zschäpe bald | |
Niedersachsen an. | |
Vor etwa acht Jahren besuchten die Brüder E. mehrmals zusammen mit Hannes | |
F. geheime Lager der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ | |
in Thüringen. Die „Artgemeinschaft“ leitete bis zu seinem Tod der Hamburger | |
Neonazi-Promi Jürgen Rieger. Den traf Beate Zschäpe 1997 im damaligen | |
„Schulungszentrum Hetendorf“ in der Lüneburger Heide. Zwei Jahre vorher war | |
Mundlos bei einem Aufmarsch in Schneverdingen dabei. | |
## In alten Akten gefunden | |
Man kannte sich, blieb sich treu: Bis ins vergangene Jahr half G. dem | |
NSU-Trio immer wieder, besorgte unter anderem für Zschäpe eine | |
Krankenkassenkarte. Zwischen November 2011 und Mai 2012 kam G. in | |
Untersuchungshaft – und sagte umfassend aus. Niedersachsens | |
Verfassungsschutz-Chef Hans-Werner Wargel musste einräumen, keine | |
„personenbezogenen Akten“ zu G. geführt zu haben: „Wir haben seinen Namen | |
aber im Keller in alten Papierakten über die rechtsextreme Szene gefunden.“ | |
G., den das Trio mehrfach zu Hause besuchte, hatte auch Kontakte zu | |
Kameradschaft 77 und den Freien Nationalisten in Celle. Achtzehn Tage nach | |
seiner Verhaftung stellten die Grünen im Hannoverschen Landtag eine Anfrage | |
zur „Close Combat School“ bei Munster, die nur vage beantwortet wurde. G. | |
war wohl nicht im Wahrnehmungsradar. | |
Inzwischen behauptet er, sich seit 2004 aktiv von der Neonazi-Szene | |
entfernt zu haben. Gleichwohl pflegte er bis zu seiner Verhaftung | |
Freundschaften ins niedersächsische Milieu. So nahm er 2005 an Aufmärschen | |
unter anderem in Braunschweig teil, und noch im vergangenen Jahr | |
registrierte die Polizei das Auto von G.s Freundin bei einem | |
Neonazi-Konzert in Sachsen-Anhalt. | |
„Wir sagen nicht, dass Herr G. kein Rechter ist“, sagt eine Sprecher des | |
Generalbundesanwalts. Das Umfeld des Mannes sei durchaus überprüft worden, | |
neue Erkenntnisse über Unterstützer hätten sich dabei aber nicht ergeben – | |
„bisher“. | |
Thüringische Kameraden belastete er mit seinen Aussagen, zu seinen | |
Niedersachsen-Kontakten soll er weniger auskunftsfreudig gewesen sein. Doch | |
G. half den dreien auch, indem er über Jahre hinweg das befreundete Paar R. | |
aus Hannover zur Unterstützung anzapfte: Für eine Tarnidentitat bediente | |
sich Zschäpe der Krankenkassenkarte von Silvia R., deren Ehemann wiederum | |
hat Kontakte zu B & H und dem Rockermilieu. | |
Gegenüber der Polizei gab G. an, die Krankenkassenkarte und weitere Papiere | |
ohne Wissen R.s weitergegeben zu haben. Andererseits war das flüchtige Trio | |
ständig über den jeweiligen Wohnort der R.s informiert: Das belegen | |
handschriftliche Notizen aus der Ruine des Hauses, in dem die Zwickauer | |
zuletzt wohnten. Im Gegenzug soll G. Geld aus Zwickau nach Hannover | |
weitergereicht haben. | |
## Anschlag geplant? | |
In dem Haus, das Zschäpe nach dem Tod ihrer Kameraden in Brand gesteckt | |
haben soll, fanden Beamte außerdem den Personalausweis einer | |
Braunschweigerin, die angab, ihn beim Einkaufen verloren zu haben. Die | |
Polizei entdeckte aber auch noch etwas anderes: Den detaillierten Abriss | |
eines Braunschweiger Stadtplans mit handschriftlichen Markierungen und | |
Zahlen. Dahinter verbargen sich möglicherweise eine überwiegend von | |
Migranten bewohnte Straße, eine ehemalige Moschee, der Verein Mili Görus | |
und türkische Imbisse. | |
„Wenn sich das bestätigt, zeigen sich erneut massive Erkenntnisdefizite | |
beim niedersächsischen Verfassungsschutz“, sagt der Grünen-Abgeordnete | |
Helge Limburg. Es sei übersehen worden, sagt er, dass das verbotene B & | |
H-Netzwerk „eine gewichtige Rolle bei der Vernetzung gewaltbereiter Nazis | |
spielt und die Grundstruktur für Rechtsterrorismus in Deutschland und | |
international bietet“. | |
20 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
A. Röpke | |
A. Speit | |
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