| # taz.de -- Debatte Libyen: Waffen nur für Gaddafi? | |
| > Jahrelang haben Deutschland und die Europäische Union das Regime in | |
| > Libyen mit Waffen aller Art versorgt. Ein Embargo nutzt jetzt nur noch | |
| > dem Diktator. | |
| Bild: Kennt keinen Waffenmangel: Soldat der regulären libyschen Armee. | |
| Misurata, Ende April: Nach acht Wochen Dauerbeschuss spitzt sich die Lage | |
| in der von den Rebellen verteidigten libyschen Stadt immer mehr zu, | |
| Bombardements des Hafens drohen die wichtigste Fluchtroute und Schleuse für | |
| humanitäre Hilfslieferungen zu blockieren. | |
| Hier wie auch in anderen Landesteilen haben die Aufständischen der | |
| militärischen Übermacht des Gaddafi-Regimes kaum noch etwas | |
| entgegenzusetzen. Der Übergangsrat in Bengasi ruft deshalb immer lauter | |
| nach Waffenlieferungen aus dem Ausland. | |
| Der Westen aber streitet seit Wochen darüber, wie er auf den Hilferuf | |
| reagieren soll. Die USA und – verhaltener – auch Großbritannien, Frankreich | |
| und Italien erwägen eine Bewaffnung der Aufständischen; andere Partner wie | |
| Deutschland, Belgien oder die Türkei lehnen direkte Militärhilfe strikt ab | |
| und pochen auf eine enge Interpretation der UN-Resolution 1970, die ein | |
| Waffenembargo für das ganze libysche Staatsgebiet, also auch gegen die | |
| Rebellen, verhänge. | |
| ## Waffen für Extremisten? | |
| Die Skepsis der deutschen Regierung und anderer europäischer Regierungen | |
| ist verständlich. Eine Aufrüstung der Rebellen birgt erhebliche Risiken: | |
| Steht nicht zu befürchten, dass Teile der Waffenlieferungen in die Hände | |
| antiwestlicher Extremisten gelangen? Werden die Rebellen ihrerseits | |
| „feindliche“ Zivilisten schonen? Werden sie sich nach einem Sturz Gaddafis | |
| als die bessere Regierung Libyens herausstellen? | |
| Diese berechtigten Fragen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die | |
| konsequente Durchsetzung eines neutralen Waffenembargos zum jetzigen | |
| Zeitpunkt fatale Folgen haben kann. | |
| Auf den ersten Blick ist die Logik dieser Maßnahme bestechend: Will man | |
| einen Konflikt eindämmen, muss man die Zufuhr von Waffen unterbrechen, die | |
| ihn befeuert – ebenso wie man ein Buschfeuer bekämpft, indem man eine | |
| Schneise in den Wald schlägt. Leider ist diese schöne Analogie falsch. Ein | |
| Bürgerkrieg ist kein Waldbrand. | |
| Studien zur Wirksamkeit von Waffenembargos zeigen erstens, dass diese | |
| allenfalls langfristig wirken. Ein Krieg hört nicht einfach auf, wenn man | |
| die Rüstungsexporte stoppt, denn bei seinem Ausbruch ist mindestens eine | |
| Seite schon bis an die Zähne bewaffnet – im Fall Libyen die Armee Gaddafis. | |
| Zweitens können formal unparteiische Embargos in Bürgerkriegen gravierende | |
| unbeabsichtigte Folgen haben, da es für Regierungen viel leichter ist als | |
| für abtrünnige Rebellen, Blockaden auf dem Schwarzmarkt oder mit Hilfe | |
| verbündeter Regierungen zu unterlaufen. | |
| Unter diesen Umständen dürfte ein Festhalten am „neutralen“ Embargo dem | |
| Diktator in die Hände spielen und die Lage der Rebellen weiter | |
| verschlechtern. Dies aber passt nicht zu einer westlichen Politik, die sich | |
| mit einer parteiischen Militärintervention gegen Gaddafi klar auf die Seite | |
| der Aufständischen geschlagen hat. | |
| Was also kann Deutschland, kann die EU in diesem Dilemma tun? Es bleibt nur | |
| das kleinere von zwei Übeln: Die westliche Staatengemeinschaft muss das | |
| UN-Embargo nur noch gegen die libysche Regierung, nicht aber gegen die | |
| Rebellen durchsetzen. | |
| ## Deutschland muss nicht liefern | |
| Das bedeutet nicht, dass Deutschland selbst Waffen nach Misurata oder | |
| Bengasi schaffen soll, aber doch, dass man andere Staaten wie die USA und | |
| Katar, die dazu bereit sind, gewähren lässt – wenn sich die Hilfe auf die | |
| für die Selbstverteidigung wichtigsten Waffensysteme („defensive“ Waffen) | |
| und Logistik konzentriert und wenn sie an die enge Kooperation mit | |
| westlichen Beratern geknüpft ist. | |
| Es ist eine heikle Frage, ob man Waffen an eine Bürgerkriegspartei | |
| weitergeben will. Eine andere ist es, ob man mit einer Militärintervention | |
| – denn nichts anderes ist die Durchsetzung des Embargos – andere aktiv | |
| daran hindern will. Die deutsche Politik muss hier eine moralisch | |
| vertretbare Antwort finden. | |
| Gerade weil alle aktuellen Optionen hochriskant sind, ist die | |
| Ursachenforschung genauso wichtig wie das Krisenmanagement. Wie konnte ein | |
| Regime wie das libysche überhaupt so weit aufgerüstet werden? Dazu haben | |
| die Europäer selbst beigetragen, indem sie 2004 das bis dahin geltende | |
| EU-Waffenembargo gegen das Land aufhoben und Libyen seitdem kräftig mit | |
| Waffen belieferten. | |
| ## Die Sünden der EU | |
| Allein im Jahr 2009 exportierten EU-Staaten Rüstungsgüter im Wert von 343 | |
| Millionen Euro nach Libyen, darunter italienische und belgische | |
| Kleinwaffen, gepanzerte Fahrzeuge aus Deutschland sowie Bomben und Raketen | |
| aus Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien. | |
| Diese Lieferungen verstoßen klar gegen den EU-Verhaltenskodex zum | |
| Rüstungsexport von 1998, der Waffentransfers verbietet, wenn „eindeutig das | |
| Risiko besteht“, dass diese zu „Repressionen“ benutzt werden. Erst 1996 | |
| hatte Gaddafi bei einem Aufstand im Abu-Salim-Gefängnis mindestens 1.200 | |
| Gefangene kaltblütig erschießen lassen – welche Belege braucht es noch für | |
| ein eindeutiges Risiko von Repressionen? | |
| ## Ein Papiertiger | |
| Der europäischen Politik war anderes wichtiger als der Schutz der | |
| Menschenrechte: Gaddafis Verzicht auf Massenvernichtungswaffen, seine | |
| Abkehr vom Terrorismus, seine brutale Blockade der Flüchtlinge nach Europa | |
| sowie lukrative Öl- und Rüstungsverträge für europäische Firmen. | |
| Auf der Strecke blieben die Menschen in Libyen und die Glaubwürdigkeit der | |
| EU. Der Verhaltenskodex ist, obwohl seit 2008 rechtsverbindlich, ein | |
| Papiertiger geblieben. Seine Einhaltung sollte künftig von einer | |
| unabhängigen Behörde überwacht werden, die auch Sanktionen gegen die | |
| Mitgliedstaaten verhängen kann. | |
| In das libysche Dilemma haben sich die Europäer mit ihrer kurzsichtigen und | |
| egoistischen Politik also selbst hineinmanövriert. Es ist menschlich, dass | |
| viele jetzt den Schandfleck der europäischen Rüstungsexporte nach Libyen | |
| möglichst schnell tilgen wollen. Ein kurzfristiges Waffenembargo taugt | |
| hierfür allerdings nicht. | |
| Wenn sie wirklich aus ihren Fehlern lernen wollen, müssen die Europäer | |
| jetzt schnellstens dem EU-Verhaltenskodex echte Geltung verschaffen. | |
| 2 May 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Caroline Fehl | |
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