| # taz.de -- „Cumhuriyet“-Prozess in der Türkei: Lange Haftstrafen für Mit… | |
| > Im Prozess gegen die regierungskritische türkische Zeitung „Cumhuriyet“ | |
| > sind am Mittwoch mehrere Mitarbeiter zu langen Haftstrafen verurteilt | |
| > worden. | |
| Bild: Der Herausgeber Akın Atalay erhielt acht Jahre, einen Monat und 15 Tage … | |
| Silivri dpa | Trotz internationaler Kritik hat ein türkisches Gericht | |
| mehrjährige Haftstrafen gegen führende Mitarbeiter der regierungskritischen | |
| Zeitung Cumhuriyet wegen Unterstützung von Terrororganisationen verhängt. | |
| Angereiste Unterstützer und Kollegen der Journalisten applaudierten | |
| spontan, um den Verurteilten Mut zu spenden. Journalistenverbände werteten | |
| das Urteil als Schande. | |
| Das Gericht in Silivri bei Istanbul verurteilte den Chefredakteur Murat | |
| Sabuncu und den Investigativjournalisten Ahmet Şık am Mittwochabend zu je | |
| siebeneinhalb Jahren. Der Herausgeber Akın Atalay erhielt acht Jahre, einen | |
| Monat und 15 Tage Gefängnis. Trotzdem verfügte das Gericht Atalays | |
| Entlassung aus der Untersuchungshaft. Er war der letzte | |
| Cumhuriyet-Mitarbeiter, der noch inhaftiert war. | |
| Atalay wurde am späten Mittwochabend aus dem Gefängnis entlassen und zu | |
| einer Raststätte gebracht, wo Freunde und Kollegen auf ihn warteten und | |
| applaudierten. Er sagte: „Wie wir es schon immer gesagt haben, sage ich | |
| auch jetzt: Sie können die Cumhuriyet nicht einschüchtern.“ | |
| Das Urteil nach neunmonatigem Verfahren ist noch nicht rechtskräftig. Die | |
| Anwälte hatten schon davor angekündigt, Einspruch einzulegen. Insgesamt | |
| waren 18 aktuelle und frühere Cumhuriyet-Mitarbeiter angeklagt. Gegen | |
| mehrere andere Mitarbeiter wurden kürzere Haftstrafen verhängt, drei wurden | |
| freigesprochen. | |
| ## Internationale Kritik | |
| Das Verfahren von zwei abwesenden Angeklagten – darunter Ex-Chefredakteur | |
| Can Dündar, der im Exil in Deutschland lebt – wurde abgetrennt und wird | |
| fortgesetzt. | |
| Die Angeklagten hörten der Urteilsverkündung schweigend und gefasst zu. | |
| Trotz der harten Strafe applaudierten ihre Unterstützer spontan. Şık | |
| schrieb [1][nach seiner Verurteilung auf Twitter]: „Den Krieg gegen die, | |
| die Recht haben, mit dem Ziel, sie zum Schweigen zu bringen, hat noch keine | |
| Diktatur gewonnen. Wir werden gewinnen.“ | |
| Mit den Terrororganisationen, für deren Unterstützung die Journalisten | |
| verurteilt wurden, sind die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die | |
| linksextremistischen DHKP-C und die Gülen-Bewegung gemeint. Der türkische | |
| Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan macht die Bewegung um den in den USA | |
| lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom | |
| Juli 2016 verantwortlich. Die Staatsanwaltschaft hatte langjährige | |
| Haftstrafen gefordert. | |
| Der Prozess war international kritisiert worden. Cumhuriyet-Anwalt Duygun | |
| Yarsuvat sagte bei seinem Schlussplädoyer am Mittwoch: „Das ist ein | |
| politisch motivierter Prozess.“ Er habe das Ziel, die Cumhuriyet zum | |
| Schweigen zu bringen. | |
| Sabuncu sagte: „Journalismus ist kein Verbrechen, wir haben nur | |
| Journalismus betrieben.“ In dem Prozess waren als Indizien Artikel und | |
| Twitter-Nachrichten der Angeklagten aufgeführt worden. | |
| ## Die Forderungen von DJV und ROG | |
| Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach von „Willkürurteilen“ eine | |
| Justiz, die „nur noch den Allmachtsphantasien des türkischen Despoten | |
| Erdoğan verpflichtet“ sei. Die europäischen Demokratien müssten sich | |
| vehement für die Freilassung der Journalisten einsetzen, erklärte der | |
| DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. | |
| Reporter ohne Grenzen (ROG) erklärte, Cumhuriyet stehe „symbolisch für den | |
| mutigen Kampf der wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien gegen die | |
| beispiellose Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei“. Die | |
| Anklageschrift sei „von sachlichen Fehlern durchzogen“ und das Urteil „ei… | |
| Schande für die türkische Regierung“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian | |
| Mihr. Auf der neuen ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf | |
| Platz 157 von 180 Staaten. | |
| Ein Großteil der Cumhuriyet-Mitarbeiter war bei Razzien Ende 2016 | |
| festgenommen und anschließend in U-Haft genommen worden. Bei Prozessbeginn | |
| am 24. Juli 2017 saßen zwölf Cumhuriyet-Mitarbeiter in Untersuchungshaft. | |
| Zuletzt wurden Sabuncu und Şık im vergangenen Monat nach 490 Tagen | |
| beziehungsweise 430 Tagen U-Haft entlassen. Atalay saß 18 Monate in | |
| Untersuchungshaft. Der Kolumnist Kadri Gürsel, der nun zu zwei Jahren und | |
| sechs Monaten Haft verurteilt wurde, warf dem Gericht daher am Mittwoch | |
| vor, die U-Haft schon als Strafe missbraucht zu haben. | |
| Der Vorwurf, dass die Zeitung die Gülen-Bewegung unterstützt habe, ist vor | |
| allem für Ahmet Şık absurd. Der Investigativjournalist hatte schon vor | |
| Jahren vor der Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Bewegung gewarnt. | |
| 2011 wurde er in einer von Gülen-nahen Staatsanwälten geleiteten Ermittlung | |
| verhaftet und saß 13 Monate in U-Haft. Das Buch „Die Armee des Imams“, in | |
| dem er die Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Bewegung beschreibt, | |
| wurde verboten. | |
| ## Der Fall Dündar | |
| In seiner Verteidigungsrede im Juli 2017, die er selbst eine Anklage | |
| nannte, erinnerte Şık daran, dass die islamisch-konservative AKP-Regierung | |
| von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan lange gemeinsame Sache mit der | |
| Gülen-Bewegung gemacht hatte. Die AKP habe den Anhängern der Bewegung sogar | |
| den Aufstieg im Staatsdienst ermöglicht. Şık beschuldigte die Regierung, | |
| nun keine Verantwortung dafür zu übernehmen und diesen Umstand stattdessen | |
| totzuschweigen. | |
| Cumhuriyet-Anwalt Tora Pekin legte in seinem Plädoyer dar, dass Prozesse | |
| gegen die Journalisten nicht von Inhalten abhängig gemacht würden, sondern | |
| davon, in welchem Wind das Regierungsfähnchen gerade wehe. Im Jahr 2013 sei | |
| Cumhuriyet wegen Beleidigung Gülens verklagt worden – damals waren Erdoğan | |
| und Gülen noch Verbündete. Fünf Jahre später – inzwischen ist Gülen | |
| Staatsfeind Nr. 1 – werde der Zeitung Unterstützung Gülens vorgeworfen, | |
| obwohl sich die Berichterstattung nicht geändert habe. Unter anderem | |
| deswegen nannte Pekin die Anklageschrift „10.000 Wörter Müll“ und fügte | |
| hinzu, dass das noch freundlich ausgedrückt sei. | |
| Der in Deutschland lebende Dündar, dessen Fall nun abgetrennt wurde, wurde | |
| unter anderem beschuldigt, die Blattlinie geändert und damit in der Zeitung | |
| die genannten Terrororganisationen verteidigt zu haben. | |
| ## 150 Journalisten im Gefängnis | |
| Die Medien in der Türkei stehen seit langem unter Druck. Nach Angaben der | |
| Nichtregierungsorganisation P24 sitzen mehr als 150 Journalisten in der | |
| Türkei im Gefängnis. | |
| In der Türkei angeklagt ist auch die deutsche Journalistin Meşale Tolu, | |
| [2][deren Prozess an diesem Donnerstag weitergeht]. Tolus | |
| deutsch-türkischer Kollege Adil Demirci [3][war vergangene Woche verhaftet | |
| worden] und sitzt nun im Hochsicherheitsgefängnis in Silivri, in dem | |
| [4][bis zu seiner Freilassung] im Februar auch der Welt-Korrespondent Deniz | |
| Yücel inhaftiert war. | |
| In dem Verfahren war außerdem ein weiterer Beschuldigte angeklagt, der | |
| nicht für Cumhuriyet arbeitete. Er bleibt in U-Haft und bekam eine | |
| mehrjährige Haftstrafe. | |
| 26 Apr 2018 | |
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