# taz.de -- Colonia-Dignidad-Opfer fordern Gerechtigkeit: Deutschland ist mit v… | |
> In der Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile wurden auch | |
> Oppositionelle der Militärdiktatur gefoltert. Sie greifen die deutsche | |
> Regierung an. | |
Bild: Imagepflege: die chilenische Sektensiedlung Colonia Dignidad nennt sich h… | |
BERLIN taz Es ist erst wenige Tage her, dass in Chile mehrere deutsche | |
Mitglieder der berüchtigten Sektensiedlung Colonia Dignidad nach | |
jahrelangen Prozessen unter anderem wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch | |
verurteilt wurden. Jetzt nutzen Folteropfer die Aufmerksamkeit, um den | |
chilenischen und den deutschen Staat unter Druck zu setzten. | |
Am Montag überreichten mehrere Personen in Chiles Hauptstadt Santiago einen | |
offenen Brief an die dortige Regierung und zogen danach mit dem gleichen | |
Schreiben zur deutschen Botschaft weiter. „Für die Opfer von Folter, Mord | |
und Verschwindenlassen und ihre Angehörigen ist die Tatsache, dass bis zum | |
heutigen Tage kein einziges letztinstanzliches Urteil zu den brutalen in | |
der Siedlung begangenen Menschenrechtsverbrechen vorliegt, eine andauernde | |
offene Wunde. Wir fordern Gerechtigkeit“, heißt es in dem Brief, der sich | |
an Chiles Präsident Sebastián Piñera sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
(CDU) richtet. | |
Hintergrund ist, dass sich die am 25. Januar ergangenen Urteile | |
ausschließlich auf Delikte beziehen, die der Sektengründer Paul Schäfer und | |
seine Mithelfer auf dem Gelände der Colonia Dignidad an deutschen Kindern | |
der Siedlung oder chilenischen Kindern aus der Umgebung der rund 350 km | |
südlich von Santiago gelegenen Kolonie begingen. Für diese Taten hatte der | |
Oberste Gerichtshof Chiles Ende Januar insgesamt 21 Personen | |
letztinstanzlich verurteilt, sechs von ihnen zu effektiven Haftstrafen | |
zwischen elf und fünf Jahren. | |
## Deutsche Kooperation mit dem chilenischen Geheimdienst | |
Doch die Sektenenklave Colonia Dignidad, die der Deutsche Baptistenprediger | |
Paul Schäfer 1961 mit seinen Anhängern nach seiner Auswanderung aus | |
Deutschland in dem südamerikanischen Land gründete, hat noch eine ganz | |
andere Geschichte. So wurden auf ihrem Gelände zur Zeit der chilenischen | |
Militärdiktatur (1973-1990) dutzende Oppositionelle gefoltert und ermordet, | |
nachdem sie dorthin verschleppt worden waren. Dazu kooperierten | |
Koloniebewohner mit dem chilenischen Geheimdienst DINA. | |
Adriana Bórquez ist eine der Überlebenden. Die Lehrerin, die 1975 mehrere | |
Wochen in der Kolonie festgehalten und gefoltert wurde, erschien am Montag | |
im Rollstuhl zur Protestaktion. „Wir warten seit fast 40 Jahren auf | |
Gerechtigkeit. Wir wollen, dass die chilenische Justiz reagiert. Und wir | |
wenden uns an die deutsche Regierung, denn sie hat nicht verhindert, was | |
dort passierte, obwohl sie Bescheid wusste“, wird Bórquez in chilenischen | |
Medien zitiert. | |
Bórquez berichtete mit drei weiteren Unterzeichner des aktuellen | |
Protestschreibens schon 1977 vor dem Bonner Landgericht über Folterungen. | |
Amnesty International und der Stern veröffentlichten im gleichen Jahr einen | |
Bericht über die Machenschaften der Siedlung. Gegen die Berichte | |
prozessierte die Kolonie bis 1997. Es waren nicht die einzigen | |
Zeugenaussagen. Bereits 1966 hatte der erste Koloniebewohner die deutsche | |
Botschaft in Chile über Missbrauch, Schläge und das religiös aufgeladene | |
Zwangsregime Schäfers informiert. Doch Erich Strätling, deutscher | |
Botschafter in Santiago, gab bis zum Ende seiner Amtszeit 1979 | |
Ehrenerklärungen für die Kolonie ab. | |
Die Überlebenden der Folter sowie verschiedene Menschenrechtsgruppen | |
erwarten deswegen auch eine Aufarbeitung auf deutscher Seite. „Von der | |
Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Justiz fordern | |
wir ein Eingeständnis, dass ihnen weitreichende Kenntnisse über diese | |
Verbrechen seit vielen Jahren vorlagen. Wir fordern nun ernsthafte und | |
schnelle Ermittlungen gegen die von der chilenischen Justiz geflüchteten | |
Führungsmitglieder und eine Verurteilung der Schuldigen.“ | |
## Sektenarzt Hartmut Hopp floh nach Deutschland | |
Sie beziehen sich damit unter anderem auf Hartmut Hopp, den Sektenarzt der | |
Kolonie und rechte Hand Paul Schäfers. Hopp war 2011 nach Deutschland | |
geflohen, um sich, ausgestattet mit einem deutschen Pass, der Auslieferung | |
an die chilenischen Behörden und damit einer Haftstrafe in Chile zu | |
entziehen. | |
Seit Ende Januar ist nun klar, dass Hopp wegen Beihilfe zum Missbrauch in | |
Chile fünf Jahre und einen Tag im Gefängnis sitzen müsste. Stattdessen | |
verbringt er einen ruhigen Lebensabend in Krefeld. Die dortige | |
Staatsanwaltschaft hat gegen ihn ein eigenes Ermittlungsverfahren eröffnet, | |
nachdem Anwälte aus Deutschland unter anderem im Namen von ehemaligen | |
Koloniebewohnern Klage gegen Hopp einreichten. Sie beschuldigen ihn der | |
Körperverletzung durch die Zwangsverabreichung von Psychopharmaka. Doch ob | |
gegen Hopp in Deutschland Anklage erhoben wird, steht immer noch nicht | |
fest. | |
Auch das nun in letzter Instanz in Chile ergangene Urteil hat laut Klaus | |
Schreiber, ermittelnder Oberstaatsanwalt in Krefeld, „keinerlei | |
Auswirkung“. Man bereite jedoch ein Rechtshilfeersuchen an die chilenische | |
Justiz vor, so Schreiber zur taz. | |
## In Chile säße Hopp im Gefängnis, hier ist er frei | |
Doch auch damit wird Hopp nicht schneller hinter Gitter kommen. Denn auch | |
wenn die chilenische Justiz dem Rechtshilfeersuchen nachkomme, müsste der | |
Prozess in Sachen Kindesmissbrauch in Deutschland ganz neu geführt werden, | |
so Schreiber. „Eine Übernahme des chilenischen Urteils ist nicht möglich.“ | |
Für Chile wie für Deutschland bleibt also die Forderung von Borquéz und der | |
anderen Folteropfer aktuell, die Verfahren zumindest zu beschleunigen. In | |
Chile sollten dafür Sonderrichter abgestellt werden, fordern die | |
Unterzeichner des offenen Briefes, darunter die wichtigsten | |
Menschenrechtsorganisationen des Landes. | |
Sie verlangen zudem ein respektvolles Gedenken an die Opfer. Die | |
Regierungen beider Länder sollten „Erinnerungsmassnahmen unterstützen, die | |
sichtbar machen, was in der Colonia Dignidad geschah“, heißt es im | |
Schreiben. Erwähnt wird beispielsweise das Anbringen von Gedenktafeln am | |
Eingang zur Kolonie. Die hat sich seit einigen Jahren in Villa Baviera | |
(„Bayerisches Dorf“) umbenannt und wirbt mit Outdooraktivitäten, deutschem | |
Bier, deutscher Küche und nicht zuletzt makabren Veranstaltungen um | |
Touristen. | |
## Koloniebewohner versteigern Rasierer des alten Sektenchefs | |
So versteigerten die Koloniebewohner vergangenes Wochenende unter den Augen | |
von rund 2.000 Interessierten diverse Gegenstände, darunter Rasierer des | |
2010 verstorbenen Sektengründers Schäfer, einen Mercedes, der Hartmut Hopp | |
gehört haben soll, sowie einen Krankenwagen. In diesem Krankenwagen seien | |
sie auf das Gelände der Kolonie transportiert worden, wo sie fürchterliche | |
Folterungen erlitten hätte, sagte Bórquez am vergangenen Samstag gegenüber | |
dem chilenischen Radio La Cooperativa. Für sie ist die Aktion absolut | |
untragbar: „Man muss schon besonders dreist sein, um sich zu trauen, auf | |
diese Art den Schmerz von hunderten Chilenen heraus zu fordern.“ | |
5 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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