| # taz.de -- Britische Monarchie: Vom „Empire“ zur Kleinfamilie | |
| > In dem Maße, wie Kolonien verloren gingen, kamen Kinder dazu. Die Queen | |
| > hat die Royal Familiy zum Zentrum der britischen Monarchie gemacht | |
| Bild: Die Wachsfigur von Königin Elizabeth II. bei Madame Tussauds in London w… | |
| Was macht die Queen zur Queen? Elizabeth II. [1][feiert dieser Tage ihr 70. | |
| Thronjubiläum], das sogenannte Platin-Jubiläum, und Großbritannien | |
| zelebriert damit eine tausendjährige fast ungebrochene royale Geschichte. | |
| Aber zwischen 1952 und 2022 liegen Welten. 1952 war die Queen das Oberhaupt | |
| eines Empire. Heute ist sie das Oberhaupt einer Familie. | |
| In dem Maße, wie Kolonien verloren gingen, kamen Kinder dazu. Seit ihrer | |
| Krönung trägt sie den Titel „Elisabeth die Zweite, von Gottes Gnaden | |
| Königin des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland und | |
| ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth, | |
| Verteidigerin des Glaubens“. 1953 umspannten all diese Territorien den | |
| halben Erdball – ein Weltreich, aber nach den Mühen des Zweiten Weltkrieges | |
| und dem Verlust der größten Kolonie Indien ein bereits im Niedergang | |
| begriffenes. Die britische Öffentlichkeit erhoffte sich von der neuen | |
| Königin, die zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters erst 25 Jahre alt war, | |
| einen neuen Schwung und eine zweite Blüte. | |
| „Wollt Ihr geloben und schwören, über die Völker des Vereinigten | |
| Königreichs von Großbritannien und Nordirland, Kanada, Australien, | |
| Neuseeland, der Südafrikanischen Union, Pakistan und Ceylon und Eurer | |
| Besitzungen sowie der andern ihnen gehörenden Territorien gemäß ihrer | |
| Gesetze und Gebräuche zu herrschen?“, fragte der Erzbischof von Canterbury | |
| die mittlerweile 27-jährige Prinzessin bei ihrer Krönung am 2. Juni 1953 – | |
| zu den vielen Merkwürdigkeiten des Platin-Jubiläums gehört, dass es genau | |
| 69 Jahre nach ihrer Krönung begangen wird, nicht 70. „Ich gelobe, dies zu | |
| tun“, antwortete die frischgebackene Queen. | |
| Von ihrer Familie war damals überhaupt nicht die Rede. Prinzessin Elizabeth | |
| Alexandra Mary of York war auch überhaupt nicht als Queen vorgesehen, als | |
| sie am 21. April 1926 um 2.40 Uhr in der Nacht per Kaiserschnitt zur Welt | |
| kam. Ihr Vater war damals bloß der jüngere Bruder des Thronfolgers Edward. | |
| Der aber dankte 1936 nach wenigen Monaten als König wieder ab, weil ihm | |
| seine Heirat mit einer geschiedenen US-Amerikanerin wichtiger war als die | |
| Rolle des Königs. So wurde aus Elizabeths Vater Ende 1936 unverhofft König | |
| George VI., und seine älteste Tochter wurde im Alter von zehn Jahren | |
| plötzlich die Nummer eins in der Nachfolge. Und niemand konnte damals | |
| ahnen, wie schnell die kommen würde. | |
| Das Empire zerbröselte bereits ab 1947, als Britisch-Indien unabhängig | |
| wurde und zerfiel. Nach Elizabeths Thronfolge ging es in Afrika und Arabien | |
| weiter. Ab den 1970er Jahren war das Empire praktisch Geschichte. Die | |
| letzte Landkolonie Britisch-Honduras wurde 1981 als Belize unabhängig. Es | |
| verbleiben einige verstreute Inselbesitztümer. | |
| Das Empire ist geschrumpft, die Familie gewachsen. Prinz Charles kam 1948 | |
| auf die Welt, Princess Anne 1950. Es folgten Andrew 1960 und Edward 1964. | |
| Anne heiratete erstmals 1973, Charles erstmals 1981, Andrew 1986 – all | |
| diese Ehen wurden später geschieden, aber die Familie pflanzt sich bis | |
| heute munter weiter fort. Die Queen ist inzwischen zwölffache Urgroßmutter, | |
| Charles fünffacher Großvater. | |
| In ihren ersten drei Jahrzehnten prägten die Dramen und Konflikte der | |
| Dekolonisierung das Wirken der Queen. Es wurden Kriege geführt, manche | |
| Kolonialgebiete gingen eigene Wege, andere blieben der Königin verbunden. | |
| Rhodesien erklärte sich als weißer Siedlerstaat unabhängig für und musste | |
| 1979 wieder zurück unter britische Fittiche geholt werden, um eine | |
| geordnete Übergabe an die schwarze Unabhängigkeitsbewegung unter dem Namen | |
| Simbabwe zu ermöglichen. Hongkong wurde 1984 der Volksrepublik China | |
| versprochen, 1997 wurde dies vollzogen. Damit fand die Entkolonisierung | |
| ihren Abschluss. | |
| Nicht zufällig waren die 1980er Jahre das Jahrzehnt, in dem der | |
| wahrnehmbare Fokus des royalen Geschehens sich von der Verwaltung von | |
| Territorien auf die Verwaltung von Familienangehörigen verlagerte. Die | |
| Krisen der Dekolonisierung wurden in den 1990er Jahren endgültig von | |
| Familienkrisen abgelöst, biografisch passend zum ungefähren Eintritt der | |
| Queen in das Rentenalter. Zwischen Hongkongs Übergabe an China am 1. Juli | |
| 1997 und dem Unfalltod von Prinzessin Diana am 31. August 1997 liegen | |
| chronologisch keine zwei Monate, aber diese beiden Ereignisse sind die | |
| beiden zentralen Seiten einer Zeitenwende. | |
| Kinder statt Kolonien – für diese natürliche Evolution stehen die 70 Jahre | |
| Queen. Frühere Königinnen, vor allem Queen Victoria, Kaiserin von Indien, | |
| stellten den imperialen Anspruch an erste Stelle ihres Wirkens. Elizabeth | |
| II. hat als erste die Royal Family als Familie inszeniert, angefangen mit | |
| einer großangelegten TV-Dokumentation 1969 und weitergeführt durch die | |
| endlos ausufernde Beschäftigung der Öffentlichkeit mit Klatsch und Tratsch | |
| aus den Palästen. | |
| Die Royal Family ist die faktische Erbin des Empire. Das britische | |
| Weltreich wurde zu seinen Glanzzeiten offiziell als eine harmonische | |
| Völkerfamilie präsentiert, deren Völker wie kleine Kinder großzuziehen | |
| seien. Noch in den 1980er Jahren lernte man im Schulunterricht, die | |
| ehemaligen Kolonien hätten ihre Unabhängigkeit dem Umstand zu verdanken, | |
| dass sie dank des Empire britische Freiheitswerte verinnerlicht hätten. | |
| Klar: um sich zu entkolonisieren, muss man vorher Kolonie gewesen sein, | |
| aber aus Sicht der Untertanen der Krone sah die Realität doch etwas anders | |
| aus. Heute sind Rassismus, Ausbeutung und Gewalt ins Zentrum der | |
| Beschäftigung mit dem Empire gerückt. Familienmetaphern hingegen werden da | |
| angewandt, wo sie hingehören: in der Familie. Und da aber mit | |
| seifenopernfüllender Konsequenz. | |
| ## Zu groß, um wirtschaftlich betrieben werden zu können | |
| Die globalen Erschütterungen, die das Empire kollabieren ließen, spielte | |
| die Königsfamilie danach im Kleinen durch: Streit und Konflikt, Affären und | |
| Peinlichkeiten, Zwist um Titel und Geld, und mit Harrys Weggang in die USA | |
| sogar eine einseitige, vorwurfsvolle Unabhängigkeitserklärung, die der | |
| Royal Family gewaltige Probleme bereitet. Der [2][Umgang mit Meghan] | |
| spaltet und erregt die britischen Gemüter ähnlich wie vor vierzig Jahren | |
| der mit Robert Mugabe. | |
| Das Hauptproblem der Königsfamilie ist heute dasselbe wie vor 70 Jahren das | |
| Hauptproblem des Empire – nämlich, zu groß geworden zu sein, um noch | |
| wirtschaftlich betrieben werden zu können. Die Dekolonisierung entsprach | |
| dem Drang der Kolonisierten, aber sie ging in ihrer Umsetzung oft von | |
| London selbst aus: Man wollte unrentable Gebiete abstoßen, vor allem wenn | |
| sie auch militärisch nicht mehr von Belang waren, und oft geschah das | |
| überstürzt und schlecht vorbereitet. Die Briten kehrten ihrem Empire abrupt | |
| den Rücken. | |
| Die Königsfamilie steht jetzt vor einer ähnlichen Entwicklung: sie soll ja | |
| verschlankt werden, kleiner und bescheidener sowohl im Auftreten als auch | |
| im Finanziellen – und wenn Charles König wird, dann sicher auch in der | |
| öffentlichen Huldigung. Schon jetzt gibt es eine ganze Reihe biografischer | |
| Royals, die praktisch unabhängig geworden sind und von denen kein Mensch | |
| mehr etwas wissen will. Die Ära Charles, so er denn seine Mutter überlebt, | |
| dürfte eine Zeit des turbulenten Übergangs werden. | |
| Es harrt dann mit William eine auf die stinknormale Kernfamilie reduzierte | |
| Royal Family, wie bei vielen britischen Familien mit einem schrägen Onkel | |
| in den USA, aber ohne Herrschafts- oder Überlegenheitsanspruch – so, wie | |
| auch die meisten Briten ihr Land heute sehen. Wenn das klappt, wird es das | |
| bleibende Verdienst der Queen gewesen sein, dass in 70 Jahren die britische | |
| Monarchie mit diesem Wandel des britischen Selbstverständnisses Schritt | |
| gehalten hat. | |
| 3 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Queen-Elizabeth-II/!5830589 | |
| [2] /Meghan-und-Harry-im-Oprah-Interview/!5756267 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| Queen Elizabeth II. | |
| Royals | |
| Queen Elizabeth II. | |
| Royal Family | |
| Großbritannien | |
| Queen Elizabeth II. | |
| Queen Elizabeth II. | |
| Boris Johnson | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Queen und Kolonialismus: Wessen Heldin? | |
| Die Rolle der Queen im kolonialen Schreckensregime zu thematisieren ist | |
| nicht pietätlos. Der richtige Zeitpunkt dafür ist gerade jetzt gekommen. | |
| Neue Dramaserie über Elizabeth I.: Teenager auf dem Weg zum Thron | |
| Die Serie „Becoming Elizabeth“ widmet sich der Jugend von Elisabeth I. Sie | |
| zeigt die Intrigen der Familie und hebt sich von anderen Formaten ab. | |
| Misstrauensvotum gegen Boris Johnson: Er kann erst mal weitermachen | |
| Der britische Premier übersteht das gegen ihn gerichtete Misstrauensvotum. | |
| Doch es zeigt, dass parteiintern viele nicht hinter ihm stehen. | |
| Die Wahrheit: „Fass, Candy, meine Bestie, fass!“ | |
| 70 krasse Jahre als Majestät: die schönsten Anekdoten zum großen | |
| Thronjubiläum der unkaputtbaren Queen Elizabeth II. | |
| Großbritannien feiert 70 Jahre Queen: „Was? In ihrem Alter?“ | |
| Was wissen und denken eigentlich Schulkinder in London über die 96-jährige | |
| Queen, deren 70. Thronjubiläum ansteht? Die taz hat nachgefragt. | |
| Boris Johnson und Partygate: Liefern, was das Volk verlangt | |
| Premier Johnson will nach Partygate nicht zurücktreten und verweist auf | |
| „Prioritäten des Volkes“. Das möchte seinen Abgang. |