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# taz.de -- Berliner Wochenkommentar I: Hören mit Schmerzen
> Die Bahn setzt bei der Vertreibung von unerwünschten Gästen im S-Bahnhof
> Hermannstraße auf Dissonantes.
Bild: Das ist kein Ausschaltknopf für unerwünschte Musik im Fahrbetrieb. Öff…
Feinde der Dudelmusik können sich freuen: Am S-Bahnhof Hermannstraße soll
es bald ein ästhetisches Gegenprogramm zur Kaufhausmusik und ihren
unauffällig-aufdringlichen Melodien geben. Atonale Musik heißt das
Zauberwort, von dem sich die Deutsche Bahn außermusikalische Effekte
verspricht. Denn die dissonanten Klänge sollen dort nicht aufgeschlossene
Bildungsbürger anlocken, sondern zugedröhnte Junkies vertreiben – und ihre
Lieferanten, überhaupt die ganzen Kriminellen, die sich im Bahnhof
aufhalten, gleich mit. Das Interesse der Medien ist beachtlich, sogar die
New York Times widmete der Nachricht einen Artikel über die für den Herbst
geplante „misstönende Musik“ in der S-Bahn-Station.
Vor gut zehn Jahren hatte die BVG ähnliche Bestrebungen. Damals war es noch
ein beruhigendes Klassikprogramm, mit dem dieselbe Klientel aus den
Bahnhöfen gedrängt werden sollte. Man folgte dem Beispiel von Hamburg und
München, wo dieses Modell an den Hauptbahnhöfen erprobt wurde.
Jetzt lautet die Devise nicht mehr harmonisch, sondern kakophonisch. Bloß
kein Wohlklang! „Hören mit Schmerzen“, so heißt nicht nur ein früher Hit
der Einstürzenden Neubauten, „Höre mit Schmerzen!“ nannte das Hebbel am
Ufer 2010 auch ein Symposium zu „Musik und Folter“, Stichwort Guantánamo.
Ein bisschen Folter ist auch im Ansatz der Bahn als gewünschter Nebeneffekt
zu vermuten. Womit man gleich mehrere fragwürdige Aspekte beisammenhätte.
Musik wird in diesem Fall nicht nur funktionalisiert, sondern auch dazu
genutzt, Menschen auseinanderzudividieren, statt sie zu vereinen. Das tut
atonale Musik doch sowieso, könnte man einwenden. Es macht aber einen
entscheidenden Unterschied, ob man die Musik als Angebot in einem
bestimmten Kontext spielt und den Leuten überlässt, hinzugehen oder nicht –
zum gerade laufenden Festival Berlin Atonal etwa, selbst wenn es dort
mehrheitlich tonale Musik gibt –, oder ob man sie unterschiedslos allen
Anwesenden an einem öffentlichen Ort aufzwingt. Was die Abneigung gegen
derlei Tonkunst eher verstärken dürfte. Und was, wenn entnervte Fahrgäste
wegen Stockhausen vor einen Zug springen?
Auf den Missbrauchsaspekt des Vorhabens haben auch Berliner Musiker der
freien Szene hingewiesen, mit einer Einladung zur Protestaktion „Atonale
Musik für alle“ am Bahnhof Hermannstraße am Freitagabend. Gemeinsam mit
Obdachlosen wollte man atonale Musik hören und spielen. Als Form von
Aneignung eine schöne Idee. Damit es was nützt, müsste man die Sache als
tönenden Protest auf unbestimmte Zeit ausweiten. Und hoffen, dass einen die
Wartenden nicht irgendwann verjagen.
25 Aug 2018
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
S-Bahn Berlin
Folter
Festival Berlin Atonal
Jamaika-Koalition
Festival Berlin Atonal
Öffentlicher Raum
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