| # taz.de -- Berlinale „Die Kinder der Toten“: Satanisches Oberammergau | |
| > „Die Kinder der Toten“ von Kelly Copper und Pavol Liska ist ein | |
| > superdüsterer satanischer Film nach einer Romanvorlage von Elfriede | |
| > Jelinek. | |
| Bild: Stummer Steiermärker in „Die Kinder der Toten“ von Kelly Cooper und … | |
| Die Kinder der Toten“ ist ein Monster von einem Film. Es liegt der gut | |
| zwanzig Jahre alte Roman von Elfriede Jelinek zugrunde, er ist aber, | |
| womöglich durchaus zur Freude der Autorin, schrecklich entstellt. Die | |
| Regisseur*innen Kelly Copper und Pavol Liska haben das Buch als solches vor | |
| Verfassen des Drehbuchs gar nicht gelesen, sondern ihre Fantasie auf das | |
| losgelassen, was ihnen davon – ziemlich haarklein allerdings – erzählt | |
| worden ist. | |
| Ist das auch philologischer Wahnsinn, so hat es bei den beiden sehr wohl | |
| Methode. Bekannt, wenn nicht berühmt sind Copper und Liska nämlich auf den | |
| Freien Theaterbühnen der Welt unter dem Namen Nature Theater of Oklahoma, | |
| unter dem sie auch in den Credits des Films figurieren. Im Theater haben | |
| sie mit ihren Performern schon mal eine „Romeo und Julia“-Version | |
| inszeniert, die auf dem erinnerten Hörensagen von Freunden beruhte. | |
| Sie sind allerdings nicht nur Meister*innen des Profanierens von | |
| Klassikern, sondern ganz im Gegenteil auch der Erhebung des Banalen ins | |
| fast schon Sublime. Ihr vielstündiges siebenteiliges kreuz- und | |
| quermediales Epos „Life and Times“ bestand in der Transformation eines | |
| langen Telefongesprächs in ein Musical, Buch, Film und Stück. Wort für | |
| Wort, ja: äh für äh, wurde noch die trivialste Phrase zur Bühnenwürde | |
| erhoben. Man darf sich also nicht wundern, dass sie aus Jelineks Werk ein | |
| sehr freies, wüst zerfleddertes – und darin durchaus kongeniales – | |
| Splatterding machen. | |
| Es ist zum einen: ein Film, auf 8 mm gedreht. Entstanden allerdings während | |
| eines ganzen Monats, den das Team auf Einladung des Festivals Steirischer | |
| Herbst in der Steiermark zugebracht hat, um dort am Ort des | |
| Romangeschehens, was an Steiermärkerinnen und Steiermärkern kreuchte und | |
| fleuchte, als Laiendarsteller*innencrew zusammenzutrommeln. | |
| Schauplätze, nur zum Beispiel: das Restaurant Alpenrose, der real | |
| existierende Wasserfall Totes Weib, Berge, Täler, Wälder, nicht zuletzt ein | |
| auf einem verlassenen Fabrikgelände eingerichtetes klandestines Kino. | |
| Während des Drehs gab es zudem eine Dauerleseperformance des | |
| zugrundeliegenden Romans, dessen Taschenbuchversion ganz am Anfang des | |
| Films auch mal ins Bild kommt. | |
| ## Ein Stummfilm oder etwas in der Art | |
| Das alles ist also eine Art satanisches Oberammergau im Alpenland; oder | |
| auch: wie das mysteriöse Naturtheater von Oklahoma aus Franz Kafkas | |
| Romanfragment „Der Verschollene“, nach dem die Performance-Truppe sich | |
| natürlich benannt hat. Allerdings wenn auch nur als gemeinschaftsstiftender | |
| Weg zum Ziel, das am letzten Ende nun dieser Film ist. | |
| Satanisch ist der Film, satanisch ist schon das Buch. Alle, die darin | |
| hausen, sind untot. Gar so arg ist es im Film am Anfang noch nicht. Wird es | |
| aber durchaus. Es stirbt, wie im Buch, die Karin Frenzel und geht dann im | |
| Folgenden mit einer Doppelgängerin um. Andere Protagonisten aus dem an | |
| Figuren überaus reichen Roman sind, weil in neunzig Minuten nun einmal sehr | |
| viel weniger Platz ist, einfach getilgt. Und vor allem die Jelinek’sche | |
| Hauptprotagonistin, ihre Sprache, kommt gar nicht zum Zug. | |
| „Die Kinder der Toten“ ist nämlich ein Stummfilm oder etwas in der Art. Mit | |
| allerlei Tönen nachsynchronisiert: mit überpointierten Geräuschen, mit | |
| Dräuen und Rauschen, mit Blasmusik nicht zu knapp, aber die | |
| Sprach(spiel)wut, die Jelinek ausmacht, die haben Nature Theater of | |
| Oklahoma da gelassen, wo sie hingehört: im Roman. | |
| Dafür kommt immer wieder eine Truppe syrischer Dichterinnen und Dichter ins | |
| Bild. Wo kommen die her? Von irgendwo halt. Aber auch aus dem englischen | |
| Wortspiel, bei dem Styrian (für Steirisch) und Syrian so nah | |
| beieinanderliegen, dass sie per Kalauer diese erst dramatisch verhungernde, | |
| dann außer Rand und Band geratende Lyrikerbande gebären. Am Ende gehen die, | |
| man muss schon sagen, echt ab. | |
| Der Schoß, aus dem bei Jelinek alles kriecht, die Schoah als verdrängte | |
| Mordgeschichte, ist auch im Film noch fruchtbar: Es kommt zur großen | |
| nächtlichen Zombieparade, bei der berühmte Österreicher (einer mit | |
| Bärtchen) und ermordete Juden einträchtig marschieren, später in der | |
| Alpenrose wagt man zum satanisch-apokalyptischen Gaudi-Finale mit | |
| Palatschinken-Gesichtern ein gemeinsames Tänzchen. | |
| Gut, dann kommen noch die rosa Flamingos. Aber das muss man vielleicht | |
| wirklich sehen, um es zu glauben. | |
| 9 Feb 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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