# taz.de -- Autobiografie von Gérard Depardieu: Memoiren eines Unvernünftigen | |
> Alkoholexzesse, Steuerflucht und die Freundschaft mit Diktatoren: In | |
> seiner nun erschienenen Autobiografie verteidigt sich Gérard Depardieu. | |
Bild: Guter Dinge: Gérard Depardieu. | |
„Es hat sich so ergeben“, lautet ein wenig lakonisch oder gar fatalistisch | |
der Titel von Gérard Depardieus Autobiografie, die jetzt auch auf Deutsch | |
erschienen ist. Die französische Originalfassung hatte es im letzten Herbst | |
ein wenig schwer auf dem Büchermarkt. Der war in Sachen intime | |
Vertraulichkeiten und Skandale ganz von Valérie Trierweilers Revanche gegen | |
ihren Expartner Präsident Hollande dominiert. | |
Statt einer Rezension publizierten viele Medien damals nur Depardieus | |
Enthüllung, dass er schon mit zehn Jahren als Strichjunge Geld machte und | |
als Helfer eines Leichenfledderers auf die schiefe Bahn geriet. Selbst das | |
hat in Frankreich kaum schockiert, denn von Depardieu war man schon so | |
manches gewohnt. Seine polternden Provokationen, seine Exzesse mit Alkohol, | |
sein Steuerexil, seine Freundschaft mit Diktatoren. | |
Beim Lesen der kurzen Kapitel mit Anekdoten aus dem Privatleben des | |
französischen Filmschauspielers stellt man sich lebhaft vor, wie die beiden | |
Verfasser bei ein paar Gläsern Wein zusammen die Erinnerungen des | |
Obelix-Darstellers auffrischen. | |
„Sag mal Gérard, wie war das bei deiner Großmutter, die damals | |
Toilettendame im Flughafen Orly war?“ So oder ähnlich hat ihn wohl der | |
Koautor, der bekannte Ghostwriter Lionel Duroy, ausgefragt. Und Depardieu | |
erzählte dann, wie er dort als Knirps mit Sehnsucht die Flugzeuge zu | |
exotisch fernen Zielen starten sah und selber von einem Flug nach Rio | |
träumte. | |
## Schwierige Kindheit | |
Depardieu widmet seiner schwierigen Kindheit viel Platz und Bedeutung. Vom | |
Kino dagegen ist fast nur am Rande die Rede. Er spricht viel von seinem | |
Vater „Dédé“, den er bewundert, obwohl er säuft und für den rebellieren… | |
Sohn „unerträglich“ wird, und von seiner von ihm trotz allem geliebten | |
Mutter „Lilette“, von ihren zahlreichen Schwangerschaften, danach von | |
seiner eher kurzen Schulzeit, vor allem von einer Kindheit und Jugend auf | |
der Gasse in der mittelfranzösischen Stadt Châteauroux in der Provinz | |
Berry, die ihm nachträglich ein wenig wie „Kasachstan“ vorkommt. | |
Schnell begreift der Leser, dass die Publikation dieser Memoiren für ihn | |
eine Art der Vergangenheitsbewältigung im psychoanalytischen Sinn war. So | |
manches musste mal ausgesprochen und gesagt sein. Depardieu fängt damit in | |
der Zeit vor seiner Geburt an. Seine Mutter habe ihn ja nicht nur nicht | |
gewollt, sondern alles getan, mit Stricknadeln, Kirschstielen und anderem | |
„Zeug“, um den Fötus abzutreiben. Ein paar Jahre später soll er als Bub zu | |
Hause selber als Helfer der Hebamme bei zwei Geburten dabei gewesen sein. | |
Aus diesen dramatischen Anfängen leitet er seinen unbändigen | |
(Über)lebenswillen ab – und wahrscheinlich auch sein uneingeschränktes | |
Recht zu genießen. Heute aber fühlt er sich selber unwohl in seinem aus den | |
Fugen geratenen Körper, der ihm mit all seinen Geräuschen Angst macht. | |
„Mein Herz, das klopft, meine Gedärme, die knurren, meine Gelenke, die | |
knacken … Das wird geradezu eine Phobie. Wenn ich allein im Hotel bin, muss | |
ich trinken, um das nicht zu hören und nicht verrückt zu werden. Ich kann | |
nicht mehr einschlafen, ohne stockbesoffen zu sein.“ | |
In einem Interview gestand er kürzlich, dass es oft 14 Flaschen sind, außer | |
Wein auch Pastis und Wodka. Irgendwo spielt da auch die Reue eines Vaters | |
mit. Sein Sohn Guillaume hatte sich stets von ihm unverstanden und | |
vernachlässigt gefühlt und war als Jugendlicher heroinsüchtig geworden. | |
## Kein Schuldbewusstsein | |
Nach einem Motorradunfall hatte er ein Bein verloren und war schließlich | |
2008 an einer Infektion gestorben. „Ich habe es nicht verstanden, für | |
Guillaumes Probleme und Leiden da zu sein. Ich habe viel Zeit gebraucht, um | |
Vater zu werden, zu Beginn konnte ich es nicht.“ Doch von Schuld will er | |
nichts wissen: „Da scheiß ich drauf, seit Langem!“ | |
In ähnlichem Stil und Ton antwortet er auch auf alle Kritik und die | |
Anschuldigungen, die er in den letzten Jahren in Frankreich zu hören bekam. | |
Dass er seinen französischen Pass abgeben wollte, hatte beispielsweise | |
empörte Reaktionen ausgelöst. | |
Letztlich habe doch nicht er Frankreich den Rücken gekehrt, sondern | |
umgekehrt: Es seien „die Franzosen, die sich selber aufgeben“, schreibt er. | |
Diese hätten „den Freiheitsdrang, die Abenteuerlust, den Gehör- und | |
Geruchssinn verloren“. Jetzt würden sie „aufgefressen von diesem | |
Krebsgeschwür der Angst vor den Nachbarn, vor dem Morgen und allem, was | |
ihnen passieren könnte“. Er fühlt sich lieber als „Weltbürger“, er sch… | |
von Kasachstan, wo man noch die Musik im Wind höre und den Gesang der | |
Mädchen im Dorf und auf den Feldern. | |
Dass man ihm Steuerflucht ankreidet, versteht er nicht. Er habe keine Lust, | |
87 Prozent Steuern zu bezahlen. „150 Millionen Euro“ habe er dem | |
französischen Staat in seinem Leben schon abgeliefert und dabei nie etwas | |
für sich selbst verlangt. „Ich glaube nicht, dass ich Frankreich etwas | |
schulde. Ich liebe dieses Land, ich habe ihm viel gegeben. Und nun soll man | |
mich in Frieden lassen!“ | |
## Kriminelle Energie | |
Seine Freundschaft mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hat sich | |
„so ergeben“. Sie hätten sich beide quasi auf den ersten Blick verstanden. | |
Logisch: „Beide hätten wir als Gangster enden können“, meint Depardieu in | |
Anspielung auf Putins Kindheit, die Parallelen zur seinen aufweise. „Ich | |
glaube, was er sofort an mir liebte, war meine Hooligan-Seite, dass ich ins | |
Flugzeug pisse, einem Paparazzo in die Fresse haue oder betrunken auf der | |
Straße eingesammelt werde.“ | |
Die Sympathie ist bedingungslos: „Putin, ein Diktator? Ich verstehe nichts | |
von Politik und ich sage bestimmt oft viel Blödsinn. Aber für mich ist Kim | |
Jong Un ein Diktator, sicher nicht Putin.“ Er erzählt, wie er diesem | |
mittels Übersetzer Briefe schreibe und Antworten bekomme. Warum könne das | |
Anstoß erregen? „Ich habe nicht den Eindruck, dass ich irgend jemandem | |
schade, indem ich mir die Freiheit nehme, dort zu leben, wo ich will, und | |
zu lieben, wen ich will. So wenig wie, wenn ich von ganz alleine mit dem | |
Motorrad stürze, weil ich besoffen bin.“ | |
Jetzt fühlt er sich manchmal alt: „Mit 65 kannst du trainieren, Hormone | |
fressen, was immer du willst, aber du hast deine alte Haut, die von den | |
Muskeln hängt, und du wirst so eine Art dicke Kuh.“ Das tut weh, wenn man | |
einst ein Schrank von einem Mann war und stets gefallen und beeindrucken | |
wollte. So sitzt er denn manchmal an der Rue du Cherche-Midi in Paris auf | |
einem Stuhl vor der Fischhandlung Moby Dick, die er wie zwei Restaurants | |
und einen japanischen Delikatessenladen in diesem Quartier gekauft hat, wo | |
er auch immer noch seine luxuriöse Villa besitzt. | |
Seine „Bibel“, aus der er gern zitiert, ist ein Buch seines Freunds Peter | |
Handke: „Die Unvernünftigen sterben aus“. Übrigens hat er den Schluss | |
seiner Autobiografie als Vermächtnis für seine Kinder und Enkel formuliert: | |
„Du wirst meinen Wein trinken und dabei an mein Lachen, mein dickes Lachen | |
eines Bauern denken, gell? Und daran, wie ich das Leben geliebt habe. Geh, | |
genieße jeden Augenblick, und vor allem sei glücklich.“ | |
So viel Wehmut oder Selbstmitleid nach einer so abenteuerlichen und | |
erfolgreichen Karriere lassen den Leser am Ende der Lektüre zwischen | |
Skepsis und Sympathie schwankend zurück. | |
10 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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