# taz.de -- Ausstellung Deutschland in den 1920ern: Weimarer Verhältnisse | |
> Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum widmet sich den | |
> Errungenschaften der ersten deutschen Demokratie – mit Widersprüchen. | |
Bild: Historisches Plakat aus der aktuellen Ausstellung im Deutschen Historisch… | |
Ein Flugblatt: „Bekanntmachung!“ steht groß und unterstrichen über dem | |
Schreiben vom 12. November 1918. Herausgegeben ist es vom Rat der | |
Volksbeauftragten in Berlin. Die schwarzen Lettern auf bräunlichem Grund | |
verkünden das Regierungsprogramm – und zugleich eine Revolution. | |
Neben der Einführung des achtstündigen Arbeitstags ist hier zum ersten Mal | |
in der deutschen Geschichte das Frauenwahlrecht verankert. Und da stehen so | |
einfache Sätze wie „Eine Zensur findet nicht statt“ und „Die | |
Meinungsfreiheit in Wort und Schrift ist frei“. Das Flugblatt steht am | |
Anfang einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Es | |
geht um die Weimarer Republik, doch anders als üblich wird die nur 14 Jahre | |
währende Epoche der ersten deutschen Demokratie nicht von ihrem Ende her | |
betrachtet. Dem Scheitern von Weimar mit der Machtübernahme der | |
Nationalsozialisten ist kein einziges Plakat gewidmet, keine Hitler-Rede | |
brüllt vom Band und kein SA-Aufmarsch wird sichtbar. | |
Es sind vielmehr die Errungenschaften der Republik, die hier im Mittelpunkt | |
stehen. Fast schon trotzig heißt es dazu, Weimar sei eben doch eine | |
„Demokratie mit Demokraten“ gewesen. Tatsächlich ergaben die Wahlen in den | |
1920er Jahren eine deutliche Mehrheit der demokratischen Parteien. | |
In der Tat wählten nicht nur erstmals Frauen, sie zogen auch in den | |
Reichstag ein. Der Achtstundentag blieb keine Schimäre, sondern wurde | |
Realität. Es gab Volksabstimmungen, wenn auch, nun ja, die Ausstellung kann | |
die Geschichte nicht umschreiben, die Antidemokraten nicht nur bei der | |
Fürstenenteignung triumphierten. | |
## Mehr Morde von rechts | |
„Wählt am 19. Januar nicht!“ ist ein Flugblatt des kommunistischen | |
Spartakusbundes zur ersten Wahl 1919 überschrieben. Wenig später besann | |
sich die KPD eines Besseren und trat von nun an zu den Reichstagswahlen an, | |
freilich mit dem Ziel, die „bürgerliche“ Demokratie zu stürzen. Am anderen | |
Ende des politischen Spektrums standen Monarchisten, Antisemiten und | |
Rechtsradikale, die dem autoritären Staat nicht nur nachtrauerten, sondern | |
das neue System mit Mordanschlägen aus den Angeln zu heben trachteten. | |
Walther Rathenau, der um eine Aussöhnung mit den alten „Feindmächten“ | |
bemühte deutsche Außenminister, war einer der Männer, die diesen Mördern | |
zum Opfer fielen, 1922 war das. Auch an ihn erinnert diese Ausstellung, | |
aber auch daran, wie viele Menschen damals eben nicht auf der Seite der | |
Täter standen. Und um allen auch heute noch gern gepflegten | |
Missverständnissen zur Gleichsetzung von rechtem und linken Terror | |
entgegenzutreten, ist da ein Buch des Mathematikers Emil Julius Gumbel | |
ausgestellt, der im Jahr des Rathenau-Mords mit „Vier Jahre politischer | |
Mord“ statistisch nachwies, wer da tötete: Er zählte 354 Morde von rechts | |
auf und nur 22 aus dem linken Spektrum. | |
Angesichts dieser Tiefschläge gegen die Republik neigt die Schau | |
zwangsläufig dazu, ihrer eigenen These von den Demokratie mit Demokraten zu | |
widersprechen. Zumal deutlich wird, dass die Weimarer Republik ihren | |
eigenen Standards keineswegs immer gerecht wurde. Wenn die Verfilmung von | |
Erich Maria Remarques Antikriegsbuch „Im Westen nichts Neues“ nach wenigen | |
Aufführungen 1930 auf Druck von rechts außen in Berlin verboten wurde, so | |
entsprach das so gar nicht der Behauptung, eine Zensur fände nicht statt. | |
## Wieso japanische Dildos? | |
Und als die Massenarbeitslosigkeit um sich griff, war auch keine Rede mehr | |
davon, dass die Regierung „für ausreichende Arbeitsgelegenheit“ sorgen | |
werde, wie noch 1918 in der „Bekanntmachung“ versprochen. Diese Demokratie | |
machte es den Demokraten wahrlich schwer. Andererseits macht die Schau | |
deutlich, dass Weimar gewaltigen gesellschaftlichen Fortschritten den Weg | |
bahnte. Da erlebte die Sexualaufklärung neue Möglichkeiten und Freiheiten, | |
von denen auch Schwule und Lesben profitierten. Ein ausgestellter hölzerner | |
Kasten mit japanischen Dildos lässt erahnen, welche Experimentierfreude | |
aufkam. | |
Frauen durften nicht nur wählen, sie wurden auch gewählt und entwickelten | |
ein nie da gewesenes Selbstbewusstsein, gingen arbeiten, betrieben Sport – | |
kurz: Sie emanzipierten sich. Der Bubikopf war eben mehr als nur eine | |
Frisur. Gegen die Wohnungsnot entstand das neue Bauen; Reformschulen | |
schossen aus dem Boden und die klerikale Erziehung wurde zurückgedrängt. | |
Das waren Fortschritte, an die die zweite Demokratie in Bonn nach 1949 nur | |
mühsam anknüpfen konnte. | |
All diese Entwicklungen kann die Berliner Schau freilich nur kurz in Szene | |
setzen, quasi Appetithappen anbietend. Eine Ausstellung misst sich gewiss | |
in erster Linie nicht nach der Zahl ihrer Quadratmeter, doch dieser hier | |
hätte mehr Raum gutgetan. Ganz am Schluss liegt Musik in der Luft. Sie | |
kommt aus Rundfunkempfangsgeräten, sie ist symbolisiert durch ein Mikrofon. | |
Radio hieß ab 1923 das neue Unterhaltungsmedium, und konservative Politiker | |
waren von Beginn an darauf bedacht, dass dieses bloß nicht zu | |
Propagandazwecken missbraucht werden möge, während Intellektuelle darin ein | |
Instrument breiterer Teilhabe aller entdeckten. | |
Diese Debatte kommt einem irgendwie verflucht aktuell vor. | |
13 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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