# taz.de -- Ausgebremster Kulturaustausch: Zuerst gefördert und dann verhindert | |
> 7 Tänzer aus der Elfenbeinküste sollten in Spandau auftreten. Das Projekt | |
> scheiterte an den Visa. Kein Einzelfall. | |
Bild: Mit Leerstelle: der Trupp der Spandauer Jugendtheaterwerkstatt | |
Als Julia Schreiner von der Jugendtheaterwerkstatt Spandau vor einem Jahr | |
mit einem Stipendium des Goethe Instituts in die Elfenbeinküste reiste, war | |
sie spontan begeistert: von einer privat finanzierten Tanzschule im | |
Armenviertel von Abidjan, für Straßenkinder- und jugendliche, gegründet von | |
einer Choreografin aus Hawaii. 2006 war Jenny Mezile in die Elfenbeinküste | |
gekommen, um nach dem Bürgerkrieg eine neue Tanzszene mitaufzubauen – heute | |
nennt sie die Theaterschule für die Straßenkinder ein Lebensprojekt. | |
Der Plan einer Zusammenarbeit war so naheliegend, dass er ebenso schnell in | |
die Umsetzung drängte wie er gefördert wurde – mit 59.000 Euro aus dem | |
Hauptstadtkulturfonds: Ein Tanztheater-Stück zu Ovids „Metamorphosen“ im | |
prekären Spandau, von 20 Berliner Laien aus Russland, Syrien, Israel und | |
Deutschland gespielt, in Zusammenarbeit mit 7 ivorischen Tänzern aus dem | |
Getto, wie sie selbst sagen. | |
Ein halbes Jahr probten die Akteure in Spandau und in Abidjan parallel, die | |
Rollen der ivorischen Tänzer in Spandau wurden von Platzhaltern übernommen. | |
Beinahe täglich informierten sich Jenny Mezile und Regisseur Carlos Manuel | |
in Berlin via WhatsApp über den Stand der Dinge. Derweil bereitete das | |
Goethe-Institut laut Julia Schreiner die TänzerInnen auf ihre Gespräche in | |
der deutschen Botschaft vor, wo sie ihre Visa beantragen mussten. | |
Doch dann, zwei Wochen vor Beginn der geplanten Proben in Spandau, der | |
Schock. Keiner der 7 Tänzer hatte ein Visum bekommen, angeblich wegen | |
„Zweifel an ihrer Rückkehrbereitschaft“ – und daran konnte weder die | |
Unterstützung von Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke), des | |
Bundestagsabgeordneten für Spandau Swen Schulz (SPD) noch der | |
Staatsministerin im Auswärtigen Amt für internationale Kulturpolitik | |
Michelle Müntefering (SPD) etwas ändern. | |
Das Stück, das am Freitag, am Samstag und Sonntag noch dreimal auf die | |
Bühne kommt, muss ohne die ivorischen Tänzer funktionieren. Julia Schreiner | |
von der Jugendtheaterwerkstatt ist noch immer empört über die Ablehnung. | |
„Die Tänzer sind zu arm und zu jung, weder sind sie verheiratet noch haben | |
sie Kinder.“ Am Schlimmsten findet sie aber, dass die Tänzer zuerst von | |
deutschen Kulturmachern eingeladen wurden, um dann von deutschen Beamten | |
gedemütigt zu werden. „Für die Tänzer“, so auch Jenny Mezile, „wäre d… | |
Reise der Beweis gewesen, dass sie auf dem richtigen Weg sind.“ | |
## Keineswegs ein Einzelfall | |
Der Fall in Spandau ist kein Einzelfall, es kommt immer wieder vor, dass | |
kulturelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe zuerst gefördert wird – und dann | |
verhindert. 2017 bekam der südafrikanische Choreograf Fana Tshabalala kein | |
Visum, als er in Berlin mit der renommierten Choreografin Constanza Macras | |
arbeiten wollte. Im selben Jahr durften beim Fratz International, einem | |
Theaterfestival für ZuschauerInnen ab 0 Jahren, trotz Förderung des | |
Goethe-Instituts zwei Tänzer aus Nigeria nicht einreisen. Und Moritz Pankok | |
vom Theater Aufbau Kreuzberg berichtet der taz, dass am 12. Juni das Stück | |
„Stein der Geduld“ einer kurdischen Theatergruppe abgesagt werden musste, | |
da das deutsche Konsulat in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region | |
Kurdistan im Irak, wenige Tage vor der Premiere die Visa ablehnte. | |
Er habe angeblich die Gründe für die Reise nicht ausreichend dargelegt, so | |
Pankok, außerdem sei der finanzielle Status der Antragssteller unklar. Bei | |
der Garantieerklärung, die Pankok beim Ausländeramt abgeben musste, wird | |
der finanzielle Status laut Pankok allerdings nur bei privaten | |
Antragstellern geprüft, nicht bei Vereinen oder Institutionen. „In Zeiten, | |
wo alle Welt über „die Araber“ schreibt“, so Pankok enttäuscht, „ist … | |
umso wichtiger, dass die Künstler nach wie vor selbst zu Wort kommen.“ | |
Pankok weist außerdem darauf hin, dass das deutsche Konsulat in Erbil die | |
Visaanträge von privaten Firmen bearbeiten lasse. Bei Rückfragen fehlen | |
Ansprechpartner. | |
Es gibt keine Statistiken, wie viele Künstler zu Festivals oder | |
Kooperationen aus Deutschland eingeladen werden – und wie viele dieser | |
Einladungen scheitern. Dennoch ist vielen, die sich im Berliner | |
Kulturbetrieb bewegen, das Problem hinreichend bekannt. Klaus Lederer sagt: | |
„Es ist schizophren. Der Bund fördert die Projekte und lässt dann aber die | |
Künstler nicht einreisen.“ Auch Stephan Behrmann vom Bundesverband Freie | |
Darstellende Künste zeigt sich alarmiert: „Wir sind mit der Visaablehnung | |
bei dem Berliner Projekt vertraut und vermuten hier ein systemisches | |
Problem.“ | |
Darum appelliert Behrmann ans Auswärtige Amt, dass es eine grundlegende | |
Überprüfung der Visapraxis bei internationalen Projekten geben müsse. „Es | |
ist nicht hinnehmbar, dass künstlerische KooperationspartnerInnen der | |
Unterstellung ausgesetzt sind, die künstlerische Arbeit sei gewissermaßen | |
ein Vorwand, um nach Europa zu migrieren.“ | |
29 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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