| # taz.de -- NRW-Justizminister verklagt Richter: Ein Maulkorb für den Unbequem… | |
| > Der Richter Jan-Robert von Renesse hat für NS-Opfer gekämpft – und wird | |
| > von NRW verklagt. Der Vorwurf: falsche Tatsachenbehauptungen. | |
| Bild: Richter Jan-Robert von Renesse soll schweigen – zumindest in der Causa … | |
| Köln taz | Jan-Robert von Renesse ist das, was ein Richter im besten Fall | |
| sein sollte: hartnäckig im Kampf für Gerechtigkeit. Doch für seinen | |
| obersten Dienstherren, den NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD), ist | |
| er ein Querulant, der Kollegen diffamiert. | |
| Der 50-jährige Jurist Renesse hat erfolgreich dafür gekämpft, dass | |
| Holocaust-Überlebende, die während des Zweiten Weltkrieges in Gettos | |
| schufteten, Rentenansprüche erhalten. Bis 1997 wurde die Arbeit im Getto | |
| als Zwangsarbeit eingestuft und durch die Stiftung „Erinnerung, | |
| Verantwortung und Zukunft“ entschädigt. | |
| Doch dann erstritt eine ehemalige Näherin aus dem Getto Lódź erstmals eine | |
| deutsche Rente vor dem Bundessozialgericht in Kassel. Denn was bis dato | |
| nicht bekannt war: Es wurden Sozialversicherungsbeiträge mit vorgehaltener | |
| Waffe von den Judenräten eingetrieben. | |
| 2002 gesteht der Bundestag den Überlebenden Altersbezüge zu. Doch es | |
| dauerte gut ein Jahrzehnt, bis die meisten Antragsteller auch positive | |
| Bescheide erhielten. Sozialrichter Renesse störte das. Er gab historische | |
| Gutachten in Auftrag, fuhr nach Israel, sprach mit Überlebenden. Sein | |
| Alleingang half den Antragstellern, kam beim Arbeitgeber aber nicht gut an: | |
| 2010 wird Renesse in einen anderen Bereich versetzt. Der Sozialrichter | |
| klagt dagegen, bislang erfolglos. | |
| 2012 wendet er sich mit einer Petition an den Bundestag. Er fordert, | |
| Gettorenten auch rückwirkend zu zahlen und prangert an, dass die | |
| israelischen Holocaustüberlebenden in NRW kein faires Verfahren erlebt | |
| haben sollen. Seine Petition ist erfolgreich – das Gesetz wird im Juni 2014 | |
| geändert. | |
| Doch das Justizministerium verklagt den Richter wegen falscher | |
| Tatsachenbehauptung. Ein Sprecher erklärt: „Herr von Renesse behauptet, | |
| dass in der NRW-Justiz Absprachen und Handlungen getroffen wurden, um | |
| bewusst Holocaustüberlebenden zu schaden. Das können wir so nicht stehen | |
| lassen.“ | |
| Für Renesse ist unbestritten, dass es in den Jahren 2006 bis 2010, als er | |
| mit den Rentenbescheiden betraut war, Versäumnisse gab. Allerdings: „Ich | |
| habe nie Kollegen als Antisemiten bezeichnet.“ | |
| Der Fall Renesse ist längst ein Politikum. Die Vorsitzende der | |
| Dachorganisation der Schoah-Überlebenden, Colette Avital, schrieb einen | |
| Protestbrief an die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Das Simon | |
| Wiesenthal Center rügt das Verfahren in einem Brief an Bundesjustizminister | |
| Heiko Maas (SPD) als „Schikane“. | |
| ## Maximaler Druck | |
| Bei Prozessauftakt Mitte März forderte das Gericht beide Parteien auf, sich | |
| bis zum Dienstag gütlich zu einigen. Andernfalls droht es dem Sozialrichter | |
| härtere disziplinarische Schritte an – etwa eine Entfernung aus dem Dienst. | |
| Der Streit soll mit maximalem Druck möglichst rasch aus der Welt geschafft | |
| werden, die von der Anklage ursprünglich geforderten 5.000 Euro Geldbuße | |
| sind vom Tisch. | |
| Es geht wohl um einen Deal. Der Sozialrichter soll sich verpflichten, | |
| künftig kein Wort mehr öffentlich über die Gettorenten zu sagen: „Das | |
| Verfahren dient dazu, mich zum Schweigen zu bringen.“ Mit Rücksicht auf | |
| seine Familie sieht der vierfache Vater und Sohn der früheren | |
| SPD-Bundestagsabgeordneten Margot von Renesse keine Wahl, als den Vergleich | |
| abzuschließen. Er ist müde, weitere Verfahren würden Jahre dauern, ihn | |
| zermürben. | |
| NRW-Justizminister Kutschaty dürfte aufatmen. Vergangene Woche wurde der | |
| Fall noch einmal im Rechtsausschuss verhandelt – auf Antrag der | |
| CDU-Fraktion, nicht öffentlich. Kutschatys Image ist längst angekratzt. Bei | |
| diesem sensiblen Thema kann er nur verlieren. | |
| Auch beim Richterdienstgericht in Düsseldorf, wo das Verfahren anhängig | |
| ist, heißt es: „Hier geht keiner als Gewinner raus“. Es klingt zynisch – | |
| mit Blick auf Tausende Holocaust-Überlebende, die bis zu ihrem Tod | |
| vergeblich auf Rentenzahlungen hofften. | |
| 19 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudia Hennen | |
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