# taz.de -- Leben unter der Kersten-Miles-Brücke: Zwei Haufen Geschenktes | |
> Unter der Kersten-Miles-Brücke haben es sich rund zehn Obdachlose | |
> eingerichtet - mit gespendeten Dingen. Davon haben sie so reichlich, dass | |
> viel übrig bleibt. | |
Bild: Aus Spenden errichtet: Obdachlosenlager unter der Kersten-Miles-Brücke. | |
Patrick schläft seit zwei Monaten unter der Kersten-Miles-Brücke auf | |
St.Pauli. Er raucht eine Zigarette und sitzt auf einem Sofa, sein ganzer | |
Name soll nicht in der Zeitung stehen. Vor ihm steht ein Grill, gegenüber | |
eine weitere Couch. Es ist so etwas wie das Wohnzimmer unter der Brücke, | |
dahinter und daneben ist ein Bettenlager für rund zehn Personen entstanden | |
– die Decken sind ordentlich über die Matratzen gelegt. Die Sachen sind | |
alle gespendet. „Die Leute kommen mit Autos vorgefahren und fragen, ob wir | |
etwas brauchen können“, sagt Patrick. | |
Neben ihm liegen zwei Packungen Eier und Bananen. „Das hat eine Frau heute | |
morgen vorbeigebracht“, erzählt Patrick. Hinter dem Sofa stapelt sich | |
Brennholz. In einer Ecke liegen Decken, Kanister und Kleidung auf einem | |
Haufen – zum Teil in Tüten. Auf der anderen Seite stapeln sich ein paar | |
ungenutzte Matratzen. | |
Für Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter der Obdachlosenzeitschrift | |
Hinz&Kunzt, sind diese beiden Haufen ein Warnsignal. Er sagt: „Ich habe den | |
Eindruck, dass die Leute, die dort leben, mit der Situation überfordert | |
sind.“ Es sei nett, sagt Karrenbauer, dass es viele Menschen gebe, die | |
spendeten. Nur müssten die Dinge dann sortiert werden. Er meint: Das klappt | |
nicht. Deshalb fordert er eine bessere Betreuung durch Sozialarbeiter. Die | |
Obdachlosen bräuchten feste Ansprechpartner. | |
Die zuständigen Verwaltungen reagieren gelassen: Die Lage sei „relativ | |
entspannt“, sagt Sorina Weiland vom Bezirksamt Mitte. Es werde | |
dramatisiert. „Ein paar Hamburger haben es sehr gut gemeint.“ | |
Auch Sozialbehörden-Sprecherin Nicole Serocka sieht alles „im grünen | |
Bereich“. Es gebe keine Beschwerden von Anwohnern. Man habe die | |
Stadtreinigung nach ersten Berichten gebeten, beim Abtransport von | |
überflüssigen größeren gespendeten Dingen zu helfen. | |
Serocka sagt, die Obdachlosen unter der Brücken seien „sehr gut selbst | |
organisiert“. Zusätzlich Sozialarbeiter hält sie nicht für nötig: „Wir | |
wollen die nicht rund um betüdeln.“ Die Bewohner der Kersten-Miles-Brücke | |
könnten die bestehenden Strukturen mitnutzen. | |
Die Kersten-Miles-Brücke ist seit vergangenem Herbst ein Symbol für den | |
Umgang der Stadt mit Obdachlosen geworden: Der damalige Chef der | |
Bezirksverwaltung Markus Schreiber (SPD) wollte sie von dort vertreiben und | |
ließ einen Zaun errichten. Seine umstrittene Begründung: Die Obdachlosen | |
würden Anwohner und Touristen belästigen. Außerdem sei es zu zwei | |
Straftaten gekommen. | |
Schreibers Aktion sorgte für massive Proteste – der Zaun wurde nach zehn | |
Tagen wieder abgebaut. Ein „Runder Tisch“ sammelte schließlich Ideen, wie | |
die Lage unter der Brücke verbessert werden kann. Resultate: Ein | |
Klohäuschen steht jetzt neben der Brücke, und die Stadtreinigung schaut | |
regelmäßig vorbei. | |
13 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kummetz | |
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