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# taz.de -- Viel Protest für Obdachlose: Schreibers Zaun wackelt
> Im Stadion, auf der Straße und am Zaun: Die Hamburger protestieren gegen
> die Maßnahme des Bezirksamts Mitte - ein Gitter, das ein
> Obdachlosenquartier versperrt.
Bild: 118.000 Euro gegen Obdachlose: So viel haben Pflastersteine und Zaun geko…
Zehn Minuten hat der Umzug von Stasiek Liszka gedauert, das war vorigen
Dienstag. Er hat seinen Schlafsack in die eine, seine abgewetzte
Sporttasche in die andere Hand genommen und ist rübermarschiert zum
Elbpark. Seine alte Schlafstätte, der kalte Steinboden unter der
Kersten-Miles-Brücke, war abgesperrt. Jetzt sitzt er auf "seiner Bank", wie
er sie nennt, es ist sonnig an diesem Freitagnachmittag, "eigentlich schön
grün hier", sagt Liszka und bietet einen Schluck von seinem Aldi-Wodka an.
Von einem Herrn Schreiber, nein, von dem habe er noch nie was gehört. "Mir
ist auch egal, wer den Zaun gebaut hat. Sicher wie mein Gebet am Abend ist
nur: Es wird langsam eng für uns." Osteuropäer dürfen nicht mehr in der
Übernachtungsstätte Pik As schlafen, mittlerweile leben Schätzungen zufolge
400 von ihnen ohne Dach überm Kopf auf Hamburgs Straßen. Liszka macht
Platte aus Überzeugung, er will draußen schlafen, da nerven keine anderen,
sagt er. Was er macht, wenn der Regen kommt, das hat Liszka sich noch nicht
überlegt. Vielleicht hat er aber seinen wind- und regengeschützten
Schlafplatz bald wieder.
Denn die Kritik hat mittlerweile überraschend hohe Ausmaße angenommen, wenn
man bedenkt, dass Obdachlose die Hamburger seltener zum Protest bewegen als
beispielsweise hohe Mieten oder Bildungsnot. Das Straßenmagazin Hinz und
Kunzt spricht von einer "Vertreibungspolitik" Markus Schreibers. Der Chef
der GAL-Mitte nennt den Bezirksamtsleiter Mitte "Sheriff Schreiber". Daniel
Brücker, stellvertretender Leiter der angrenzenden Jugendherberge, sagt, es
habe öfters Probleme mit pöbelnden Jugendlichen, nie aber mit den
Obdachlosen gegeben.
Im Millerntor am Freitag haben die Ultras Transparente hochgehalten: "'Die
Stadt gehört allen' - Markus Schreiber, der einzige Abschaum bist du". Nach
dem Spiel protestieren laut Polizeiangaben 1.250 Menschen abends am Zaun,
der Veranstalter spricht sogar von 2.000 Teilnehmern. "Schreiber
abschreiben", ist das Motto der Demo. "Dieser Zaun ist eine Schande", rufen
die Demonstranten. Am Zaun angekommen, kommt es zu Drängeleien, die Polizei
versprüht unangekündigt Pfefferspray, ein paar Flaschen fliegen. Daraufhin
fährt sie einen Wasserwerfer unter die Brücke und löst die Veranstaltung
auf.
Es ist der Moment, in dem Uwe Schricker sich unter die Brücke legt, auf die
andere Seite, versteht sich. Blaulicht flackert, er blickt auf die
Demonstranten und sagt: "Ich habe nie gewusst, wie viele Anhänger ich
habe." Schricker ist sicher nicht der einzige, der sich "der älteste Punk
vom Kiez" nennt, und auch nicht der einzige, dessen Haare zum Teil pink
sind. Er sagt aber, er sei der einzige, der hier noch schlafe. Kein Wunder:
Auf dieser Seite ist es noch ungemütlicher, das Regenwasser sammelt sich,
der Boden ist matschig.
Am Samstagnachmittag kommen 50 Menschen zu einer Mahnwache und legen am
Gitter Trauerkränze nieder. "Am 19. 9. 2011 verstarb hier die Hamburger
Nächstenliebe" steht auf einer Trauerschleife. "In Hoffnung auf ein
Wieder-Aufleben" auf einer anderen. Eine Punkerin rüttelt am Zaun und ruft:
"Lasst die Steine frei!"
Dieses Absperrgitter, das den Touristen mehr auffallen dürfte als ein paar
schlafende Obdachlose, scheint für die Hamburger der berüchtigte letzte
Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Am
Sonntagvormittag entdecken Mitarbeiter des Ordnungsdienstes, dass
Unbekannte die Verschraubungen mehrerer Zaunelemente gelöst hatten. Nach
Polizeiangaben setzten sie dahinter zwei lebensgroße Stoffpuppen. Für den
Nachmittag hat Die Linke zu einer Kunst-Protestaktion am Zaun aufgerufen.
Der Druck auf Schreiber wächst.
25 Sep 2011
## AUTOREN
D. Kummetz
E. Smechowski
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