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# taz.de -- Anti-Obdachlosen-Zaun: Gründe aus dem Hut gezaubert
> Der Zaun unter der Kersten-Miles-Brücke hat möglicherweise Grundrechte
> verletzt. Seine Errichtung vertritt die Stadt nun mit anderen Argumenten
> als bisher.
Bild: Hatte aus Sicht der Linken keine rechtliche Grundlage: der inzwischen wie…
Mit dem Zaun an der Helgoländer Allee könnte das Bezirksamt Mitte
möglicherweise gegen das Grundgesetz verstoßen haben. Amtsleiter Markus
Schreiber (SPD) hatte den Zaun unter Berufung auf "öffentliches Interesse"
errichten lassen, um Obdachlose und Punker fernzuhalten, die dort unter der
Kersten-Miles-Brücke übernachten. Auf eine Anfrage der Linkspartei hin hat
der Senat jetzt aber erklärt, die Maßnahme sei auf Basis des Bürgerlichen
Gesetzbuches erfolgt: Die unerwünschten Brückenbewohner hätten sich
öffentlichen Besitz in "verbotener Eigenmacht" widerrechtlich angeeignet.
Für die Linksfraktion nimmt der Streit um den inzwischen wieder entfernten
Zaun damit eine neue Dimension an. Obdachlosen Menschen, die unter Brücken
Zuflucht suchten, "verbotene Eigenmacht" vorzuwerfen, sei ein
"unerträglicher Affront und ein sozialpolitisches Armutszeugnis", sagt die
innenpolitische Sprecherin der Linken, Christiane Schneider.
Der Senat vertritt die Position, die "Innutzungsnahme von fremden Flächen
ohne Einwilligung des Eigentümers und Besitzers" stelle eine verbotene
Eigenmacht dar und sei damit widerrechtlich. Nächtliches Lagern auf
städtischen Flächen sei weder die "Ausübung des wegerechtlichen
Gemeingebrauchs" noch eine durch den Eigentümer gestattete Nutzung, heißt
es in der Senatsantwort. Es sei "deshalb nicht zulässig".
Anders sieht das der Grundgesetzkommentator Horst Dreier, Jahre lang
Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Uni Hamburg: Für ihn
garantiert das Grundrecht auf freie Entfaltung - Artikel 2 des
Grundgesetzes - auch den "Gemeingebrauch an öffentlichen Wegen". Betrachtet
man das Übernachten unter der Brücke in diesem Sinne als "widmungsgemäße
Nutzung im Gemeingebrauch stehender Sachen", genießt es den Schutz des
Grundgesetzes.
Auch nach Polizeirecht ist Betteln und Nichtsesshaftigkeit keine Straftat
oder Gefahr für die öffentliche Ordnung. "Das Sitzen und vorübergehende
Lagern auf öffentlichen Straßen und Parkanlagen, auch wenn es zum
Alkoholgenuss erfolgt, hält die Grenzen des kommunikativen Gemeingebrauchs
ein", schreiben die Kommentatoren des Hamburgischen Polizei- und
Ordnungsrechts, Karlheinz und Heike Merten. Es stellt demnach "keine
Platzverweis rechtfertigende Gefahr dar".
Das Hamburgische Wegegesetz bietet ebenfalls keine Gründe, Menschen zu
vertreiben: Nach dem Gesetz sind öffentliche Wege, Straßen und Plätze dem
Gemeinwohl gewidmet. Dazu gehören auch Brücken, Tunnel oder Rand- und
Sicherheitsstreifen.
Zwar ist nach der Verordnung zum Schutz von Grün- und Erholungsanlagen "das
Lagern" zwischen 22 und sechs Uhr morgens untersagt, bei dem Seitenstreifen
der Helgoländer Allee handelt es sich aber nicht um einen Park, sondern um
einen öffentliche Weg im Sinne des Wegegesetzes. Dieses besagt
ausdrücklich, dass "die Vorschriften des bürgerliches Rechts, insbesondere
über den Besitz und das Eigentum keine Anwendung" finden.
"Der Senat argumentiert also diametral gegen den Wortlaut des
Wegegesetzes", folgert die Linksabgeordnete Schneider. Allen Menschen sei
es erlaubt, auf öffentlichen Wegen und Plätzen zu gehen, zu stehen, zu
sitzen, zu liegen, zu trinken und zu essen, sagt sie: "Dies garantieren die
in der Verfassung verbürgten Grundrechte."
"Herr Schreiber verschanzt sich hinter Privatrecht, nachdem er vorher
öffentliches Interesse in Anspruch genommen hat", ergänzt die
sozialpolitische Sprecherin der Linkspartei, Cansu Özdemir. Es sei nicht
nachvollziehbar, wie der Senat "einen derart agierenden Bezirksamtsleiter
noch weiter unterstützen kann".
6 Oct 2011
## AUTOREN
Kai von Appen
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Leben unter der Kersten-Miles-Brücke: Zwei Haufen Geschenktes
Unter der Kersten-Miles-Brücke haben es sich rund zehn Obdachlose
eingerichtet - mit gespendeten Dingen. Davon haben sie so reichlich, dass
viel übrig bleibt.
Kommentar Konflikt um den Zaun: Widerrechtlich gehandelt
Laut Senat hat Schreiber den Zaun errichten lassen, da Obdachlose
städtische Flächen widerrechtlich besetzt hätten. Selbst wenn diese Version
stimmt, bleibt die Zaunaffäre ein Skandal.
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