| # taz.de -- Anschlag auf Kreml-Kritiker Nawalny: Die Kanzlerin wechselt die Ton… | |
| > Die Rhetorik der Bundesregierung gegenüber Russland wird schärfer. Aber | |
| > welche Maßnahmen sollen folgen? Die EU reagiert verhalten. | |
| Bild: Angela Merkel informiert über die neuesten Entwicklungen im Fall Nawalny | |
| Berlin/Brüssel taz | Zwei Russen mit Diplomatenpass mussten ihre Koffer | |
| packen. Es war der 4. Dezember des vergangenen Jahres: Der | |
| Generalbundesanwalt hatte gerade die Ermittlungen im Fall eines in Berlin | |
| getöteten Georgiers übernommen, die Behörde vermutete den russischen Staat | |
| hinter der Tat. Das Auswärtige Amt reagierte mit einer der härteren | |
| Symbolmaßnahmen, die die Diplomatie für solche Fälle vorsieht. Sie erklärte | |
| die beiden russischen Botschaftsangehörigen zu unerwünschten Personen. | |
| Schärfere Schritte gegenüber Moskau als diese Ausweisung hat die | |
| Bundesregierung seitdem nicht unternommen. Ob sich das jetzt ändert? Der | |
| Auftritt der Kanzlerin vom Mittwochabend deutete darauf hin. Wenige Stunden | |
| zuvor hatte die Regierung bekanntgegeben, dass Expert*innen der Bundeswehr | |
| im Blut des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny [1][Spuren eines | |
| Nervenkampfstoffs] gefunden haben. | |
| Nawalny, der vor zwei Wochen in Russland kollabierte, seitdem im Koma liegt | |
| und in Berlin behandelt wird, wurde demnach vergiftet. In einem kurzfristig | |
| anberaumten Pressestatement forderte Angela Merkel am Abend eine Erklärung | |
| von der russischen Regierung. „Es stellen sich jetzt sehr schwerwiegende | |
| Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann“, sagte sie – und | |
| kündigte an, mit Nato und EU über eine „angemessene gemeinsame Reaktion“ … | |
| entscheiden. | |
| Aus Sicht der Bundesregierung ist in den vergangenen Monaten zu viel | |
| zusammengekommen: Nicht nur der Fall Nawalny, auch neue | |
| Ermittlungserkenntnisse zum Bundestagshack 2015, denen zufolge ein | |
| russischer IT-Experte verantwortlich war. Und der schon erwähnte Mord an | |
| einem Georgier in Berlin, der ab Oktober am Berliner Kammergericht | |
| verhandelt wird – ein Prozess, auf den deutsche Diplomat*innen schon seit | |
| Monaten gespannt warten. | |
| Merkels Rhetorik hat sich angesichts dieser Vorfälle merklich verändert: In | |
| ihrem Statement vom Mittwoch brachte sie, anders als bisher bei solchen | |
| Gelegenheiten üblich, keinen Hinweis darauf unter, dass ihre Hand trotz | |
| aller Konflikte ausgestreckt bleibe. Stellt sich nur die Frage: Welche | |
| konkreten Maßnahmen werden wohl auf die verschärfte Wortwahl folgen? | |
| Am Donnerstag [2][rückte die Gaspipeline Nord Stream 2 in den Fokus der | |
| Diskussion]. Die fast fertiggestellte Ostsee-Röhre zwischen Russland und | |
| Deutschland ist schon seit Langem umstritten. Aus CDU, FDP, Grünen und | |
| sogar der eher russlandfreundlichen SPD werden jetzt Stimmen lauter, den | |
| Bau abzubrechen oder in Zukunft weniger Gas durchzuleiten als geplant. Die | |
| Bundesregierung lehnte solche Forderungen bisher stets ab. Die Pipeline sei | |
| ein privatwirtschaftliches Projekt und dürfe nicht unter politischen | |
| Entwicklungen leiden. | |
| Quer durch die Parteien gab es am Donnerstag auch für dieses Mantra | |
| Unterstützung. „Das eine hat mit dem anderen aus unserer Sicht zunächst mal | |
| nichts zu tun“, so CSU-Chef Markus Söder. „Die Linke warnt nachdrücklich | |
| vor einer weiteren Zerstörung der deutsch-russischen | |
| Wirtschaftsbeziehungen“, erklärte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen. | |
| Ihr Parteikollege Gregor Gysi bremst ebenfalls: „Jetzt Maßnahmen in den | |
| Raum zu stellen, ist schon deshalb falsch, weil niemand weiß, wer hinter | |
| dem Mordversuch steht. Verdächtigungen sollten keine Grundlage für eine | |
| rationale Politik sein“, sagte er der taz. | |
| Damit klingt Gysi ganz ähnlich wie die EU, von der sich Merkel eigentlich | |
| gemeinsame Konsequenzen erhofft. Ein Sprecher der Kommission erklärte in | |
| Brüssel, Nawalny sei russischer Staatsbürger und der Fall habe sich in | |
| Russland ereignet, also müsse auch dort ermittelt werden. Die Europäische | |
| Union werde das Ergebnis der Untersuchung abwarten und erst danach über | |
| mögliche Konsequenzen sprechen. „Wenn wir das Verfahren sehen, werden wir | |
| eine Beurteilung vornehmen.“ | |
| Prüfung hinter den Kulissen | |
| Von Sanktionen war keine Rede. Auch Nord Stream kam nicht zur Sprache. | |
| Hinter den Kulissen prüfen die Europäer jedoch bereits mögliche Maßnahmen. | |
| Die Führung liege in diesem Fall beim deutschen Ratsvorsitz und damit | |
| wiederum bei Merkel, hieß es in Brüsseler EU-Kreisen. Entscheidungen | |
| könnten dann auf einem ohnehin geplanten EU-Sondergipfel Ende September in | |
| Brüssel fallen. | |
| Ob es bis dahin die geforderten neuen Ermittlungserkenntnisse aus Russland | |
| gibt? Ein Sprecher des Kremls sagte am Donnerstag in Moskau, man würde | |
| gerne Untersuchungen aufnehmen, benötige dafür aber erst einmal | |
| Informationen der deutschen Behörden, zum Beispiel die Laborergebnisse der | |
| Bundeswehrspezialist*innen. Dass irgendjemand in Russland ein Interesse | |
| daran gehabt hätte, Nawalny zu vergiften – das glaube er aber nicht. | |
| 3 Sep 2020 | |
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| Tobias Schulze | |
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