# taz.de -- Historiker über Mordanschlag auf Nawalny: „Das ist öffentliche … | |
> Putin signalisiere, dass Regierungskritiker „zum Schweigen gebracht | |
> werden“, sagt Wolfgang Krieger. Der Historiker über die Symbolkraft von | |
> Nowitschok und Scheinheiligkeit. | |
Bild: 28. Januar 2018: Alexei Nawalny demonstriert in Moskau | |
taz: Herr Krieger, der russische Geheimdienstexperte Andrej Soldatow hat | |
unlängst gesagt, jeder Giftanschlag enthielte eine Botschaft. Jetzt ist | |
klar, [1][dass Alexei Nawalny mit Nowitschok vergiftet wurde]. Welche | |
Botschaft steckt dahinter? | |
Wolfgang Krieger: Das Regime will sich mit allen Mitteln durchsetzen – | |
gegen die eigene Opposition, aber auch gegen Kritik und Einflussnahme aus | |
dem Westen. Das ist eine öffentliche Kommunikation. Das Regime | |
signalisiert, dass Leute, die sich gegen Putin stellen, unter Beobachtung | |
sind und im schlimmsten Fall zum Schweigen gebracht werden. | |
Wo sehen Sie die Verantwortlichen? | |
Die oberste Verantwortung liegt bei Wladimir Putin. Ich kann mir nicht | |
vorstellen, dass so etwas ohne seine Zustimmung geschieht. Wäre das anders, | |
hieße das, dass Putin die Kontrolle über Geheimdienstkreise verloren hat. | |
Warum hat es Nawalny getroffen? | |
Nawalnys Hauptthema ist Korruption in Regierungskreisen. Das ist eine | |
persönliche Kampagne gegen Putin und dessen Umgebung. Das Ganze spielt im | |
Kontext einer inneren Destabilisierung der Situation in Belarus. Das | |
Lukaschenko-Regime hat abgewirtschaftet und Lukaschenko muss wahrscheinlich | |
ausgewechselt werden. Darüber will Putin die Kontrolle behalten und so | |
verhindern, dass es nicht zu einem kompletten Regimechange kommt und der | |
Westen sich einmischt. Aber es geht dabei auch um Russland selbst. Nawalny | |
hat verkündet, die Protestbewegung in Belarus müsse für die Russ*innen ein | |
Vorbild sein. | |
Russland könnte seine Widersacher ja auch anders ausschalten. Warum der | |
Einsatz von Nowitschok? | |
Ein Giftanschlag, der nicht sofort tödlich wirkt, ist ein Drama, das sich | |
über einen längeren Zeitraum hinzieht. Das haben wir [2][bei Alexander | |
Litvinenko gesehen], der 2006 in Großbritannien mit Polonium vergiftet | |
wurde. Nowitschok ist eine international verbotene biologische Waffe und | |
als solche in der Sowjetunion entwickelt. Nowitschok deutet auf ein | |
militärisches Labor hin und verweist dadurch eindeutig auf eine Schuld von | |
Regierungssstellen. Dieses Gift wurde vielleicht genau deswegen verwendet. | |
Um zu dokumentieren, dass die Spur in den Regierungsapparat führt. | |
A propos Litvinenko: Sehen Sie da Parallelen zu Nawalny oder hat dessen | |
Fall eine neue Qualität? | |
Wir müssen die Fälle unterscheiden. Litvinenko und Sergei Skripal waren | |
beide Geheimdienstmitarbeiter, die in den Westen gegangen sind und dort | |
gegen das Putin-Regime agitiert haben. Öffentlich und in Zusammenarbeit mit | |
westlichen Geheimdiensten. Dass aber Leute wie Alexei Nawalny, Vertreter | |
der Zivilgesellschaft, angegriffen und ermordet werden, ist eine völlig | |
andere Qualität. Das zeigt eben, welch Geistes Kind das russische Regime | |
unter Putin ist. | |
Der Westen fährt schweres diplomatisches Geschütz auf. Ist das nicht | |
scheinheilig? | |
Scheinheilig ist das insofern, als das man der eigenen Öffentlichkeit | |
vorspielen will, dass der Westen oder auch die Bundesregierung | |
Möglichkeiten hätten, auf Russland Einfluss zu nehmen, um zum Beispiel eine | |
gerichtliche Untersuchung zu erzwingen. Das ist völliger Unsinn. Russland | |
ist eine Großmacht, die sich auch von Merkel nicht vorschreiben lässt, was | |
sie zu tun hat. Das alles ist ein reines Betroffenheitsritual für das | |
eigene Publikum ohne internationale Konsequenzen. Allerdings hat Merkel | |
eine gewisse Sorge wegen der Ostseepipeline. Dass die Stimmung in der | |
Bundesrepublik kippen könnte – in die Richtung, dass alle Kooperationen mit | |
Russland abgebrochen werden müssen. | |
Wenn eine Einflussnahme unwahrscheinlich ist, welche Reaktionen von | |
westlicher Seite bleiben dann noch? | |
Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir Großmächte nicht davon abhalten | |
können, das zu tun, was sie tun wollen. Bei einem Besuch des chinesischen | |
Außenministers in Berlin hat ein deutscher Politiker gesagt, man müsse mit | |
Peking auf Augenhöhe über Konflikte, wie die Rolle der Muslime, reden. Auf | |
Augenhöhe? Lächerlich. Dieses Verständnis ist völlig daneben. Trotzdem | |
möchte ich hinzufügen: Die jüngsten Ereignisse sind auch für Putin selbst | |
schädlich. Er ist, was seine eigene Interessenlage angeht, einen Schritt zu | |
weit gegangen. Das ändert aber nichts an dem grundsätzlichen Problem. | |
3 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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