# taz.de -- Alternative Klangsignaturen: Wie Bob Dylan verschwand | |
> Mit „Another Self Portrait“ erscheint das Dokument eines Imagewandels Bob | |
> Dylans. Die Platte ist ein phrasiertes Selbstporträt des Musikers. | |
Bild: Bob Dylan: Aus einer Gegend weit ab der kulturellen Zentren der USA. | |
Er komme aus einer Gegend weitab der kulturellen Zentren der USA, wo die | |
fünfziger Jahre bis ins Jahr 1964 andauerten. Der kulturelle Mainstream | |
drang nicht bis dort vor, der Wechsel der Jahreszeiten sei entscheidend | |
gewesen. Für Melancholie oder Unsicherheit gab es keinen Raum. Jahrmärkte, | |
Obstkistenprediger und das Radio waren einzige Abwechslung. | |
Diese karge Erfahrung präge ihn bis heute, sagte Bob Dylan vor Kurzem in | |
einem ausführlichen Interview mit dem amerikanischen Rolling Stone. In | |
seinen Memoiren, „Chronicles“, klingt Dylan pessimistischer, wenn er | |
schreibt, in seiner Jugend habe er nicht die leiseste Ahnung gehabt, wie | |
zerrüttet die Welt war, in der er aufwuchs. Um zu verstehen, welche | |
Transformationen Dylan nur kurze Zeit später, im Verlauf der Jahre 1965 und | |
1966, durchlaufen sollte, ist dies ein wichtiger Hinweis. | |
„Another Self Portrait“ ist das Dokument eines weiteren, zeitlich etwas | |
später einsetzenden Imagewandels. Zwar hat der Wandel die 50-jährige | |
Karriere des Bob Dylan konstant begleitet, aber selten vollzog er sich so | |
radikal wie zu jener Zeit Ende der Sechziger, als er seiner erfolgreichen | |
Klangsignaturen überdrüssig wurde. | |
Er wollte weder Protestsongs für seine Generation anstimmen – also Songs, | |
die ihn bereits zur Legende gemacht hatten – noch Rocksongs wie „Like a | |
Rolling Stone“, die seine fast mythische Dringlichkeit begründeten. | |
## „Was soll der Scheiß?“ | |
In jener Zeit sei Dylan vom Singer-Songwriter zum Auteur (der Begriff ist | |
angelehnt an die Auteur-Theorie des Autorenfilms) geworden, konstatierte | |
der US-Kritiker Greil Marcus. Eine nicht nur für die Fans schmerzhafte | |
Entwicklung: Marcus’ Rezension von „Self Portrait“ begann 1970 denn auch | |
mit den Worten: „Was soll der Scheiß?“ Und er beschloss seine Kritik mit | |
dem Satz, das Album existiere nicht, „damit wir Dylan näherkommen, sondern | |
damit wir davon abgehalten werden“. | |
Das nun erschienene Album „Another Self Portrait“ liefert eine andere | |
Fassung dieser Geschichte. Es enthält Songs, die zwischen 1967 und 1971 | |
entstanden sind. Zum Teil wurden sie in alternativen Versionen bereits auf | |
den Alben „Nashville Skyline“, „Self Portrait“ und „New Morning“ | |
veröffentlicht. Alle drei Alben platzierten sich damals in den Top Ten der | |
US-Charts, kommerziell galten sie als Erfolge. | |
Indes hatte die zeitgenössische Kritik an ihnen manches auszusetzen. „Die | |
Unruhen der späten Sechziger kerkerten meine Seele ein“, schrieb Dylan über | |
68 und die Folgen. Retrospektiv lassen sich alle Brüche, aber auch die | |
Zusammenhänge besser erkennen. | |
„Once I had mountains in the palm of my hand / And rivers that ran through | |
ev’y day / I must have been mad I never knew what I had / Until I threw it | |
all away“. Man hört auf den Songs einen Künstler, dessen Stimme | |
charismatischer – im Sinne von routinierter und abgelöschter – klingt. Er | |
setzt sie variantenreicher ein als zuvor. Singt mal ausgeglichen, mal | |
zurückgelehnt, dann wieder leidenschaftlich, fordernd. | |
## Der Sound des seltsamen alten Amerikas | |
Verbreiten die Texte weniger Chuzpe? Die Schärfe hat Dylan Ende der | |
Sechziger nicht über Bord geworfen, er arbeitet dafür stärker mit | |
Phrasierungen, erzählt seine Geschichten weit mehr über den Vortragsstil. | |
So kann nur jemand klingen, der den Zugang zur Tradition des seltsamen | |
alten Amerika gefunden hat. Darüber hinaus wird Dylan sich bewusst, wie er | |
sein Werk fortzuentwickeln gedenkt, da er auf den Schulter von Riesen aus | |
der Welt von Blues, Folk und Country steht. | |
Dylan taucht kopfüber in diese finstere Vergangenheit ein, covert etwa die | |
Mörderballade „Little Sadie“ und „Copper Kettle“, einen Folksong von 1… | |
Dylan zitiert und klaut und gibt es Ende der Sechziger als „Selbstporträt“ | |
aus. „Bob Dylan verschwindet damit wirklich“, schreibt Greil Marcus in den | |
Linernotes von „Another Self Portrait“, und meint damit das Vergessenmachen | |
der vergangenen Dylan-Dekade: „Die Sechziger haben gar nicht | |
stattgefunden.“ | |
Neben den Outtakes und Demoversionen finden sich auch unbekannte Songs aus | |
den sagenumwobenen, zusammen mit The Band eingespielten „Basement Tapes“ | |
und zwei Live-Aufnahmen (in einer Luxus-4-CD-Version, ist ein Konzert auf | |
der Isle of Wight von 1969, dem sie entnommen sind, zur Gänze enthalten). | |
Der Fundus bekannter Künstler ist oftmals eine Müllhalde, die lieber | |
unangetastet bleiben sollte. Nicht so bei Dylan, dessen Archiv | |
unerschöpfliches Material bietet. Stoff für Geschichten, wie diese des | |
unveröffentlichten Songs „These Hands“ aus der Session für „Self Portra… | |
10 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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