# taz.de -- Journalist erfindet Dylan-Zitate: Etwas zu frei und kreativ | |
> Ein Shooting Star des Journalismus war Jonah Lehrer – bis er zur | |
> Illustration seiner Thesen zur menschlichen Kreativität Zitate von Bob | |
> Dylan erfand. | |
Bild: Was er von den erfundenen Zitaten hält ist nicht bekannt: Der einzig wah… | |
Jonah Lehrer sollte es als Neurowissenschaftler eigentlich gewohnt sein, | |
den Dingen bis auf den letzten Grund zu gehen. Als Vorbild in diesem Metier | |
diente ihm unter anderem sein Lehrer Eric Kandel, der vor zwölf Jahren mit | |
dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Als dessen Assistent an der Columbia | |
University versuchte Jonah Lehrer zu erforschen, wie die neuronalen | |
Mechanismen der Erinnerung funktionieren. | |
Als Journalist sollte ihm diese Gründlichkeit bislang nicht zum Nachteil | |
reichen: Mit jungen 31 Jahren schrieb der US-amerikanische Autor bis vor | |
Kurzem für die Zeitschrift The New Yorker und veröffentlichte bereits drei | |
Bücher, in denen er neurowissenschaftliche Themen in einen kulturellen oder | |
psychologischen Kontext setzte, darunter auch ein Buch mit dem Titel „The | |
Decisive Moment“, in dem er beschreibt, wie sich Entscheidungen im Gehirn | |
vollziehen. | |
In Bezug auf sein erst kürzlich erschienenes Werk „Imagine! – How | |
Creativity Works“, ist die Nachvollziehbarkeit seiner Entscheidungen jedoch | |
weniger gegeben. Nach ausführlichen Recherchen des Onlinemagazins Tablet | |
kam nämlich heraus, dass Jonah Lehrer darin einige Bob-Dylan-Zitate | |
gefälscht hatte. Mit denen wollte er seine eigenen Thesen im Buch mehrmals | |
belegen. | |
Die besagten Zitate waren zwar nur kurz, stammen aber definitiv nicht aus | |
Bob Dylans Feder. Hinzu kommt, dass er vor Kurzem auch mit Eigenplagiat | |
Schlagzeilen machte. | |
Mit den Betrugsvorwürfen konfrontiert, wollte Lehrer sich zunächst aus der | |
Affäre schwindeln, indem er behauptete, die Zitate aus einem bis dato | |
unveröffentlichten Archivmaterial für Martin Scorceses Dokumentation über | |
Bob Dylan „No Direction Home“ gefischt zu haben. Mittlerweile zog er | |
Konsequenzen und kündigte seinen Job beim New Yorker. | |
Jonah Lehrers rasante Karriere steht nun vermutlich vor dem Aus. Dass er | |
sich bereits in so jungen Jahren gezwungen sieht, alles aus sich selbst zu | |
schöpfen, kann wohl nur bedeuten, dass er dem Druck, sich in der | |
Produktivität keine Schwäche leisten zu dürfen, zum Opfer gefallen ist. So | |
funktioniert Kreativität jedenfalls nicht. | |
31 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Laura Wösch | |
## TAGS | |
Bob Dylan | |
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