# taz.de -- Journalistisches Ethos: Dabei sein ist alles | |
> Mit schlechtem Beispiel voran: In einer Reportage tut der SZ-Redakteur | |
> Heribert Prantl so, als hätte er mit Verfassungsrichter Voßkuhle zu Abend | |
> gegessen. | |
Bild: Heribert Prantl (nicht im Bild) diskutiert in Freiburg mit dem Verfassung… | |
Die Reportage beginnt unverfänglich. „Macht passt eigentlich nicht zu | |
diesem Gesicht“, schreibt Heribert Prantl in der SZ vom 10. Juli über den | |
obersten Bundesverfassungsrichter Andreas Voßkuhle. „Der wahrscheinlich | |
mächtigste Mann Deutschlands hat ein sympathisches Bubengesicht mit | |
Pausbacken.“ So weit, so offensichtlich – auf dem Foto gleich daneben. | |
Für diesen Einstieg war es also nicht nötig, dass Prantl, Mitglied der | |
Chefredaktion, seinen Schreibtisch im Münchner SZ-Hochhaus verlässt – das | |
Problem ist eine andere Passage, mit der er fälschlicherweise den Eindruck | |
erweckt, dabei gewesen zu sein. | |
An dieser mangelnden Transparenz hat sich eine Debatte entzündet, die an | |
den Fall René Pfister erinnert. Dem Spiegel-Reporter war 2011 der | |
Henri-Nannen-Preis wieder aberkannt worden, als herauskam, dass er nie im | |
Modelleisenbahnkeller von CSU-Chef Horst Seehofer war, wie er jedoch gleich | |
im Einstieg insinuierte. | |
Prantl lässt sich ein bisschen mehr Zeit, bis er gen Mitte seines | |
seitenfüllenden Textes in der Küche Voßkuhles landet, wo ihm scheinbar | |
gleich die Schürze umgebunden wurde. „Bei Voßkuhles setzt man sich nicht an | |
die gedeckte Tafel […]. Eine Einladung bei dem kinderlosen Juristenpaar […] | |
beginnt in der Küche: Der eine Gast putzt die Pilze, der andere die Bohnen, | |
der dritte wäscht den Salat.“ Jeder übernimmt seinen Part, aber letztlich | |
lässt sich Voßkuhle auch in seiner Küche nicht das Zepter, in diesem Fall | |
den Kochlöffel, aus der Hand nehmen. „Man ahnt, wie er als oberster Richter | |
agiert“, folgert Prantl aus dieser Szene. | |
## Goldene Regel der Reportage | |
Noch verfänglicher – für Prantl – ist ein Satz ein paar Zeilen zuvor: „… | |
muss erleben, wie er ein großes Essen vorbereitet.“ Erleben, nicht | |
nachfühlen, steht da. Dabei sein ist alles – diese basale goldene Regel der | |
Reportage verletzt Prantl in seinem Text, da er, wie eine Sprecherin des | |
Karlsruher Gerichts dem Tagesspiegel versicherte, „weder für diesen Artikel | |
noch zu einem anderen Zeitpunkt von Herrn Voßkuhle zu einem privaten Essen | |
eingeladen wurde“. | |
Geoutet hatte Prantl am Donnerstag ein Leitartikler-Kollege des | |
SZ-Erzrivalen FAZ. „Andreas Voßkuhle mag kein Dressing“, schreibt Reinhard | |
Müller. „Aber er muss damit leben, dass ihm das von vermeintlichen Zeugen | |
seiner Kochkunst angedichtet wird.“ | |
Dass das Meinungsstück eigentlich ein ganz anderes Thema hat, die | |
anstehende Wahlrechtsreform nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts | |
nämlich, verstärkt den Eindruck, dass hier Antipathie den Stift führte. | |
Genauso interessengeleitet ist auch die deutliche Distanzierung in der | |
Stellungnahme des Gerichts. Voßkuhle möchte den Eindruck zerstreuen, mit | |
Prantl privat bekannt oder gar befreundet zu sein. Zur Betonung seiner | |
Unabhängigkeit nimmt er es billigend in Kauf, Prantl zu desavouieren. | |
## Szenische Rekonstruktion | |
„Die Küchenszene ist das Produkt anschaulicher Schilderungen prominenter | |
Teilnehmer“, verteidigte sich Prantl, der über seinen gestrigen 59. | |
Geburtstag im Urlaub weilt, zunächst per SMS – und wiederholte den | |
kapitalen Fehler des Spiegels im Fall Pfister, der die gängige Praxis | |
„szenischer Rekonstruktionen“ anführte, damit aber nicht durchkam: | |
Kolportage kann und darf zwar Reportageelement sein, muss aber für den | |
Leser als solche klar erkennbar sein – zumal in einer „Schlüsselszene“, … | |
Prantl die Küchenpassage selbst nennt. | |
Ein Halbsatz hätte hie wie da gereicht, um dem journalistischen Ethos | |
Genüge zu tun – hätte aber auch die schöne Geschichte kaputtgemacht. Das | |
ist der eigentliche Skandal: Im Wetteifern um exklusive Zugänge zu den | |
Mächtigen suggerieren sogenannte Qualitätsmedien oftmals eine Scheinnähe, | |
ordnen ihre journalistische Glaubwürdigkeit einer süffigen Erzählung unter, | |
ja opfern sie ihr geradezu. | |
„Am meisten ärgere ich mich selbst“, sagte Heribert Prantl der taz – um | |
sogleich zu relativieren, die Küchenszene sei für ihn „nicht reportagehaft, | |
sondern steht gleichnishaft in der Mitte des Artikels“. Solange | |
journalistische Leitfiguren wie Prantl sich mit solchen | |
Pseudodifferenzierungen rauszureden versuchen, werden vergleichbare Fälle | |
immer wieder auftreten. | |
30 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
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