Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Medienexperte über Henri-Nannen-Preis: Die falsche Reportage
> Der Medienexperte Klaus Beck sagt, es gehe nicht um die Wahrheit, sondern
> um die Wahrhaftigkeit einer Reportage. Pfisters Artikel sei eigentlich
> ein Feature und damit von der Jury falsch bewertet.
Bild: Zu früh gefreut: Rene Pfister (l.) bei der Preisübergabe.
taz: Die Jury hat dem Spiegel-Autor René Pfister den Henri-Nannen-Preis für
die beste Reportage aberkannt. Der Fall ist eine Zäsur. Was sagen Sie zur
Pfister-Diskussion?
Klaus Beck: Bei dem konkreten Fall Pfister sind die Tatsachen in Seehofers
Keller ja unstrittig. Es geht hier also nicht um Wahrheit, sondern um die
Wahrhaftigkeit der Reportage, wenn sie denn eine ist. Wer Pfisters Text
liest, bemerkt, dass es nicht nur um die ersten Absätze geht, sondern sich
Reportage-Elemente durch die gesamten vier Seiten ziehen. Insofern liegt
der Eindruck nahe, auch die Szenen aus Seehofers Keller würden aus eigener
Anschauung geschildert. Tatsächlich handelt es sich um eine "szenische
Rekonstruktion", wie es ja auch die Spiegel-Redaktion nennt und häufig als
Stilmittel einsetzt.
Hat die Jury richtig gehandelt?
Vielleicht liegt das Problem eher in der Genrezuordnung, die auch die Jury
zu verantworten hat. Wenn man Pfisters Stück nämlich nicht als Reportage
liest, sondern als Feature, erledigt sich das Problem. Zugegeben, die
Lehrbuchdefinitionen von "Feature" sind nicht sehr präzise. Aber Pfisters
Text "Am Stellpult" ist ein gutes Beispiel für das Genre: Stilmerkmale der
Reportage und des Porträts, szenische Rekonstruktionen sowie Zitate anderer
Beobachter werden unter der Rubrik "Politiker-Karrieren" zu einem sehr
guten und kritischen Stück Journalismus verbunden. Die Lektüre lohnt bis
zum Fazit am Ende!
Ist die "szenische Rekonstruktion" ein Zeichen von schlechtem Journalismus,
gerade in Zeiten einer schnellen Onlineberichterstattung?
Nein, wenn sich jemand noch den Luxus der fundierten und zeitaufwändigen
Recherche und des reflektierten Schreibens leisten kann, dann sicherlich
der Spiegel. Pfister hat den Beitrag ja auch für die Printausgabe verfasst,
ohne großen Aktualitätsdruck bestimmter Ereignisse. Das Problem liegt wohl
eher darin, dass sich die Stilformen des Journalismus weiter wandeln. Im
konkreten Fall hat die Jury dem nur begrenzt Rechung getragen.
Hat guter Journalismus noch eine Chance?
Guter Journalismus braucht Zeit und rasche technische
Verbreitungsmöglichkeiten dürfen die Sorgfaltspflichten und
journalistischen Standards auch nicht aushebeln. Im Übrigen haben wir das
Problem seit der Erfindung des Hörfunks, also der "Echtzeitmedien". Das
Problem ist nicht wirklich neu. Ein Blick in die Qualitätsmedien, ob es
Print-, Rundfunk- oder Onlinemedien sind, zeigt auch, dass die Qualität
sich nicht verschlechtert hat. Was sich verschlechtert hat, ist das
Qualitätsbewusstsein vieler Nutzer. Wer Google News und Blogs für
Journalismus hält, dem ist schwer zu helfen.
Ist Qualitätsjournalismus noch bezahlbar?
Der Erfolg ganz "altmodischer", gedruckter Qualitätsmedien, ich denke an
die Wochen- und Sonntagszeitungen wie Zeit oder Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung, zeigt, dass der Qualitätsjournalismus durchaus nachgefragt
wird. Das Problem liegt bei den meisten deutschen Verlage. Sie versagen
darin, ein Online-Geschäftsmodell für Qualitätspublizistik zu etablieren.
Wenn auf Dauer Qualitätsjournalismus nicht im Netz, aber auch nicht mehr
über den Umweg rentabler Printprodukte finanziert werden kann, sehe ich den
qualitativen Journalismus erheblich gefährdet.
Im Pressekodex des Deutschen Presserats, eines Selbstkontrollorgans der
deutschen Presse, heißt es in Punkt 1: "Die Achtung vor der Wahrheit, die
Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der
Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse." Geben Sie der Medienethik
in Zeiten des Onlinebooms eine Chance?
Es gibt keinen vernünftigen Grund, auf Medienethik zu verzichten, nur weil
es ein gar nicht mehr so neues Medium gibt. Und ich sehe auch nicht, dass
der Onlinejournalismus sich kollektiv von den ethischen Normen
verabschiedet hat. Was online hinzukommt, sind Formen wie Blogs, Microblogs
und Social Network Services wie Facebook - diese Medien werden meist von
Laien, nicht von Journalisten betrieben. Ein Verstoß gegen medienethische
Standards im Onlinejournalismus ist dann gegeben, wenn ein Textbeitrag
zuerst publiziert und dann erst zur Faktenprüfung gegenrecherchiert wird.
Ein weiterer möglicher Verstoß gegen den journalistischen Standard wäre,
wenn explizit Meinung und Bericht in einem journalistischen Text nicht
getrennt werden.
11 May 2011
## AUTOREN
Julia Keesen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prantl-Affäre: Wer hat den Längsten?
SZ-Edelfeder Heribert Prantl beschrieb ein Essen, bei dem er nicht mit am
Tisch saß. Aber er ist nicht der erste Mann, der sich von seiner Eitelkeit
lenken lässt.
Journalistisches Ethos: Dabei sein ist alles
Mit schlechtem Beispiel voran: In einer Reportage tut der SZ-Redakteur
Heribert Prantl so, als hätte er mit Verfassungsrichter Voßkuhle zu Abend
gegessen.
Ärger um Nannen-Preis: Alter Preis mit neuen Richtern
Nach dem Eklat um "Spiegel"-Redakteur René Pfister wollen mehrere
Mitglieder die Jury verlassen: Frank Schirrmacher und Kurt Kister steigen
aus.
Nannen-Schüler über den Fall Pfister: Dabei sein ist alles!
Vier Kommentare von Schülern des 33. Lehrgangs der Henri-Nannen-Schule zum
zurückgegebenen Henri-Nannen-Preis des Spiegel-Redakteurs René Pfister.
Berichterstattung zum Henri-Nannen-Preis: Die Arroganz der Vierten Gewalt
Die Aberkennung des Nannen-Preises wird folgenlos bleiben - leider. Vom
"Spiegel" und dem Rest des Elitejournalismuszirkels ist keine Selbstkritik
zu erwarten.
Henri-Nannen-Preis aberkannt: Wie gewonnen, so zerronnen
Einem "Spiegel"-Autor wurde Deutschlands wichtigster Journalistenpreis
aberkannt. Wie wahrhaftig muss Journalismus sein?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.