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# taz.de -- Nannen-Schüler über den Fall Pfister: Dabei sein ist alles!
> Vier Kommentare von Schülern des 33. Lehrgangs der Henri-Nannen-Schule
> zum zurückgegebenen Henri-Nannen-Preis des Spiegel-Redakteurs René
> Pfister.
Bild: Ihm wurde der Preis wieder aberkannt: René Pfister mit Laudator.
Weil er die im Horst-Seehofer-Porträt "Am Stellpult" beschriebenen Szenen
in dessen Modellbahn-Keller nicht selbst erlebt hatte, musste
Spiegel-Redakteur René Pfister den Henri-Nannen-Preis wieder hergeben. Der
Skandal spaltet auch den 33. Lehrgang der Henri-Nannen-Schule, der
Journalistenschule des Verlags Gruner + Jahr, der Zeit und des Spiegels -
die taz hat vier in einer Übung entstandene Kommentare ausgewählt. 17
Absolventen der Schule sind bisher mit einem Henri-Nannen-Preis
ausgezeichnet worden.
## Schriftsteller
Die Jury hat René Pfister den Henri-Nannen-Preis zu Recht aberkannt,
Pfister hätte den Preis nie erhalten sollen. Sein Porträt über den
CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer ist ein sehr guter Text, ein Text, wie ihn
viele gern schreiben würden - aber es ist nicht die beste Reportage des
vergangenen Jahres. Die darf keine handwerklichen Fehler enthalten, sie
muss eine rekonstruierte Szene für den Leser als solche kennzeichnen.
Nun müssen viele Magazine die Anforderungen überdenken, die sie an ihre
Reporter stellen: Eine Reportage gilt in vielen Redaktionen dann als
gelungen, wenn sie pointiert und schön geschrieben ist. Zu viele
Quellenangaben machen Sätze sperrig und erschweren es dem Leser, ins
Geschehen einzutauchen. Das lernen junge Journalisten in der Ausbildung,
auch von der Jury des Nannen-Preises, da die Texte der Preisträger als
Vorbild gelten.
Auch Pfister hat das wahrscheinlich gelernt. Er hätte leicht deutlich
machen können, dass er nicht in Seehofers Keller war, ein Halbsatz hätte
genügt, ein "erzählt Seehofer" etwa. Er hätte mit seinem Stil brechen
müssen. Der Text hätte an Besonderheit verloren. Vielleicht wäre er,
weniger anschaulich formuliert, nicht für den Preis nominiert worden.
Deshalb reicht es nicht, dass die Juroren auf Pfisters handwerklichen
Fehler verweisen. Sie müssen sich, ebenso wie Chefredakteure, Reporter und
junge Journalisten, einer berufsethischen Diskussion stellen. Was ist
Journalisten wichtiger, Inhalt oder Form?
Viele werden antworten, es komme darauf an. Der Leser solle einen Artikel
eben gerne lesen. Für die Reportage, die Königsklasse des Nannen-Preises,
scheinen andere Regeln zu gelten als für Nachrichten: Sprachfluss schlägt
Genauigkeit.
Journalisten sind aber der Sorgfalt verpflichtet. Sie müssen sich bewusst
werden, wann sie Grenzen überschreiten, wann Zuspitzen und Weglassen Betrug
am Leser sind. Wer Angst hat, dass diese Pflicht seinem Stil schadet,
sollte Romane schreiben.
SOPHIE CROCOLL
## Ferndiagnose
Eine gute Reportage ist gut geschrieben. Aber für eine reine
Schreiberleistung gibt es Literaturpreise. Eine gute Reportage ist gut
gedacht. Aber für eine reine Denkleistung gibt es Kommentarpreise
(allerdings nur sehr wenige, aber das ist eine ganz andere Debatte). Eine
gute Reportage ist sorgfältig recherchiert. Aber für reine
Rechercheleistungen gibt es Preise für investigative Recherche.
Eine gute Reportage ist nicht nur all das, sie ist noch mehr. Sie ist eine
Suche nach Wirklichkeit, wobei der Reporter den Leser an der Suche
teilhaben lässt. Er zeigt dem Leser, wie er seine These gewinnt, gemeinsam
nähern sie sich einem Thema.
Preise für Reportagen werden für Texte verliehen, in denen der Autor
besonders nah dran war. Gibt es eine solche Leistung in dem Artikel, den
Spiegel-Redakteur René Pfister über den bayerischen Ministerpräsidenten
Horst Seehofer geschrieben hat?
Der Autor war auf einer Pressereise nach China dabei. Das waren auch andere
Journalisten. Der Autor hat Seehofer beim Kontakt mit Bürgern beobachtet.
Der Autor saß mit Seehofer gemeinsam im Auto. Auch das ist journalistischer
Alltag.
Dann aber gibt es eine Szene, die Pfister den Einstieg in den Text - vier
Absätze lang - liefert, es ist die Schlüsselszene: Seehofer spielt im
Keller seines Ferienhauses mit seiner Modelleisenbahn. Das ist der einzige
Moment von außergewöhnlicher Nähe in Pfisters Text, ein besonderer Moment.
Aus der Beobachtung folgt eine These. Sie leuchtet dem Leser sofort ein,
denn er beobachtet ja zusammen mit Pfister wie Seehofer da mit Angela
Merkel in der Diesellok spielt. Seehofer, machtgierig, steuert Menschen wie
seine Eisenbahn.
Nun hat sich herausgestellt, dass Pfister die Szene nicht selbst erlebt,
sondern von Dritten erzählt bekommen hat.
Der Text verletzt damit das Grundprinzip der Reportage: die Nähe. Er ist
eine Ferndiagnose. Das ist vielleicht kein Skandal. Preiswürdig aber auch
nicht.
JULIA PROSINGER
## Dank statt Demütigung
René Pfister gebührt Dank statt Demütigung. Er hat geschafft, was das
Zeitmagazin mit seiner Ausgabe "Was Journalisten anrichten" oder der
Spiegel-Titel über die Bild-Zeitung nicht hinbekommen hat: Er hat - wenn
auch unfreiwillig - eine Grundsatzdebatte im Journalismus über den
Journalismus ausgelöst. Und diese Debatte ist ehrlich und gut. Den
Henri-Nannen-Preis soll er behalten.
Denn zu viel Häme, zu viel Hass und Schadenfreude projizieren ausgerechnet
Journalisten gerade auf Pfister. Bild schießt seither jeden Tag gegen den
Spiegel, vergrößert Konflikte auf Skandale und lässt einen
Medienwissenschaftler verkünden: "Der Spiegel ist kastriert." Fehlt nur
noch Franz Josef Wagner, der bei Kachelmann gleich die Zwangskastration
forderte. So viel Dummheit schmerzt. Und ist schade. Denn die Debatte um
den Nannen-Preis ist gut. Fest steht: Pfister hat einen Fehler gemacht. Er
hat beim Leser den Eindruck erweckt, er sei bei Horst Seehofer im Keller
gewesen. Er hat das nie gesehene Eisenbahn-Stellpult als Metapher benutzt.
Als Hauptthese für sein Porträt.
Ich mochte den Text und die These, aber wenn man weiß, dass Pfister nicht
im Keller war, dann ist es, na ja, nicht ganz so beeindruckend, was er da
gemacht hat. Und die ganze psychologische Aufblase sackt zusammen wie eine
Föhnfrisur gen Mitternacht. Der Text ist dann nicht mehr preiswürdig, aber
den Preis zu entziehen malträtiert den Schreiber unangemessen. Die Debatte
ist Mahnung genug.
Denn wie groß oder wie klein Pfisters Fehler ist, darüber lässt sich
streiten. Pfister und der Spiegel sagen: Wir haben überhaupt keinen Fehler
gemacht. Denn Pfister hat so geschrieben, wie Reporter im Spiegel manchmal
eben schreiben: psychologisierend, etwas aufgeblasen und im Zweifel für den
Text.
Der Leser ist dafür dankbar. Denn Pfisters Schreibe fesselt. Und weil der
Spiegel eben oft näher dran ist als andere, hat man Pfister geglaubt, ihn
bestaunt und - zumindest temporär - mit dem Nannen-Preis geehrt. Aber das
Problem ist systemisch. Dass es Pfister trifft, war ein Zufall. In jedem
von uns ist ein bisschen Pfister.
Rekonstruktionen sind zulässig, sagt der Spiegel. Aber wann?, fragt man
sich nun als Journalistenschülerin. Wo verläuft die Grenze? Wo verläuft
meine Grenze? Wo beginnt die Täuschung?
Wir machen alle Fehler. Wir waren nicht in jedem Keller. Wir sollten
darüber streiten, Fehler zugeben, unsere Thesen überdenken, ehrlich sein,
besser sein. Die Debatte ist gut. Der Rest ist Eitelkeit.
NORA GANTENBRINK
## Wirkung versus Wahrheit
René Pfister hat geschummelt, so gründlich, dass es lange niemand bemerkt
hat; nicht einmal er selbst. Solche Sätze schreiben Journalisten gern: Sie
sind klar und präzise, benennen einen Schuldigen und lassen noch genug
Fragen offen, um Lust zu machen auf den weiteren Text. Dass das, was da
steht, vielleicht nicht stimmt, wird manches Mal billigend in Kauf
genommen.
René Pfister hat geschummelt, das ist unbestritten. Er beschreibt in seinem
Porträt des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer eine
Modelleisenbahn, die er nicht gesehen hat; er beschreibt sie aber so, als
habe er sie gesehen. Er hat diese Schummelei nicht bemerkt, er hat sie
nicht einmal als solche erkannt - weil sein Tun in vielen Redaktionen als
legitim gilt und beinahe Alltagsgeschäft ist.
Das ist das Hauptargument von Pfisters Verteidigern. Es könnte ebenso gut
der Hauptanklagepunkt sein: In den Redaktionen sogenannter Qualitätsmedien
gilt es als legitim, in Reportagen Modelleisenbahnen so zu beschreiben, als
habe man sie gesehen, auch wenn sie stattdessen nur jemand anders gesehen
hat und davon erzählen kann. Selbst wenn es ihr Besitzer ist.
Die Entscheidung, Pfister den Henri-Nannen-Preis abzuerkennen, war richtig;
das heißt aber nicht, dass es unglücklich war, ihm diesen Preis vorher
zuzusprechen: Sonst herrschte jetzt nicht Kopfschütteln darüber, wie wenig
"die Journalisten" der Sorgfaltspflicht Genüge tun.
Wer eine Reportage liest, darf eine vom Reporter persönlich recherchierte
Beschreibung realer Situationen erwarten - so wie sie sind, nicht wie sie
aller Wahrscheinlichkeit nach sein müssten. Nichts anderes erwarten auch
die Leser, auch jene, für die es noch nie einen Grund gab, anzunehmen, dass
Reportagen anders zustande kommen als durch Vor-Ort-Recherche. Dahinter
steckt weniger Naivität als vielmehr ein gewaltiger Vertrauensvorschuss,
und der verträgt sich nicht mit der Haltung von Journalisten, denen die
Wirkung und Eleganz ihrer Sätze wichtiger sind als deren Wahrhaftigkeit.
"Vorspiegelung falscher Tatsachen" ist ein Begriff aus dem Strafgesetzbuch;
im Journalismus steht darauf die Höchststrafe: lebenslanger
Vertrauensentzug.
Beherzigt man das alles, muss auch der erste Satz dieses Textes anders
lauten: René Pfister hat geschummelt, aber es hat lange keiner gemerkt,
auch er selbst nicht, denn weder seine Kollegen noch er finden an dieser
Art von Schummelei etwas auszusetzen. Das klingt natürlich nicht schön.
Aber es ist die Wahrheit.
FLORIAN ZINNECKER
18 May 2011
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