# taz.de -- Berichterstattung zum Henri-Nannen-Preis: Die Arroganz der Vierten … | |
> Die Aberkennung des Nannen-Preises wird folgenlos bleiben - leider. Vom | |
> "Spiegel" und dem Rest des Elitejournalismuszirkels ist keine | |
> Selbstkritik zu erwarten. | |
Bild: Hinterfragen sich zu wenig selbst: Journalisten bei der Vergabe des Henri… | |
BERLIN taz |Und schon wieder vergeigt der deutsche Journalismus eine | |
Chance, sich kritisch mit den Standards für das eigene Tun und Lassen | |
auseinanderzusetzen. Zumindest sieht es derzeit eher nicht danach aus, dass | |
der Fall René Pfister irgendwelche Konsequenzen hat - außer der Aberkennung | |
des Henri-Nannen-Preises für das Horst-Seehofer-Porträt des | |
Spiegel-Redakteurs. | |
Stattdessen fordert Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung: "Die Jury | |
des Henri-Nannen-Preises muss zurücktreten." Und zwar, "weil sie zunächst | |
eine falsche Entscheidung getroffen und dann den von ihr verliehenen Preis | |
in eine Bestrafung des von ihr Ausgezeichneten verwandelt hat". Diese | |
falsche Entscheidung, so Leyendecker, sei gewesen, ein politisches Porträt | |
als Reportage auszuzeichnen. Und wohlerzogen, wie er nun mal ist, fügt | |
Leyendecker an, dass ihm diese Forderung noch leichter falle, "weil die | |
Jury es nicht mal für nötig hielt, den Betroffenen anzuhören, und weil die | |
berufliche Exekution durch eine Art Schnellgericht vollzogen wurde." | |
Das ist wortmächtig formuliert, nur leider führt Leyendecker in seinem Text | |
ein merkwürdiges Scheingefecht. Denn in der Ausschreibung des | |
Henri-Nannen-Preises ist glasklar definiert, dass in der Kategorie | |
"Reportage" (Egon-Erwin-Kisch-Preis) "auch journalistische Porträts | |
ausgewählt werden" können. Das mag Leyendecker nicht passen - bloß: Warum | |
sollte die Jury zurücktreten, nur weil sie gemäß Statuten entscheidet, die | |
Hans Leyendecker nicht passen? | |
Die auch von Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo in der SZ befeuerte Kritik | |
daran, dass die Jury sich die Frage nach René Pfisters Gegenwart im Keller | |
nicht früher gestellt hat und der Autor nicht angehört wurde, ist | |
berechtigt. Das ist schlechter Stil. Doch hätte Pfisters Aussage nichts | |
daran geändert, dass er nie in Seehofers Ferienhauskeller war und nie | |
dessen Modelleisenbahn gesehen hat, die ihm als Leitmotiv für sein Porträt | |
"Am Stellpult" (Spiegel 33/2010) dient. | |
Mascolo indes dient die Empörung vor allem als Nebelkerze, um von einer | |
überfälligen Diskussion abzulenken: Wie manipulativ dürfen Journalisten mit | |
Wirklichkeit umgehen? Laien würden sagen: Überhaupt nicht - wo kämen wir | |
denn da hin?! Dass der Spiegel-Chef einräumt, "es hätte dem Text nicht | |
geschadet", wenn Pfister seine Nichtanwesenheit kenntlich gemacht hätte, | |
nur um gleich nachzulegen, "aber sicher ist es kein Grund für die | |
Aberkennung des Preises", zeigt, dass vom Spiegel auch künftig keine | |
Selbstkritik zu erwarten ist. | |
Unfehlbarkeit gehört offenbar zu den unumstößlichen publizistischen | |
Grundsätzen des Nachrichtenmagazins, das vom "Sturmgeschütz der Demokratie" | |
(Rudolf Augstein) immer mehr zu einem Elfenbeinturm der Selbstgefälligkeit | |
geworden ist. Sollte der Spiegel tatsächlich aus der Jury des allen | |
Diskussionen zum Trotz wichtigsten deutschen Journalistenpreises | |
aussteigen, wie spekuliert wird, wäre er endgültig, wofür er sich längst | |
hält: eine Klasse für sich. Die journalistische Elite Deutschlands | |
repräsentiert damit ziemlich genau das, was sie in ihrer nur zu gern | |
wahrgenommen Funktion als "Vierte Gewalt" den Mächtigen aus Politik und | |
Wirtschaft aufs Butterbrot schmiert: deren Abgehobenheit, Arroganz und | |
Ausweichen vor unangenehmen Debatten. | |
## Ausgerechnet Schirrmacher fällt auf | |
Ausgerechnet der sonst eher als Thesenschleuder bekannte FAZ-Herausgeber | |
Frank Schirrmacher fällt in dieser Debatte durch einen nachdenklichen, ja | |
beinahe selbstkritischen Text auf, in dem er fragt, ob reportagehafte | |
Rekonstruktion aus zuverlässigen Quellen - Kollegen Pfisters hatten | |
Seehofers Schilderungen bestätigt - immer nur dann erlaubt sei, wenn es | |
ausgeschlossen sei, dass der Autor erlebt hat, wovon er schreibt? Als | |
Beispiel für diese Praxis nennt er etwa die 2008 mit dem Nannen-Preis | |
ausgezeichnete Zeit-Reportage "Wie das Böse nach Tessin kam", in der Sabine | |
Rückert einen Mord beschreibt, bei dem sie nicht zugegen war - woraus ihr | |
niemand einen Vorwurf macht. | |
Schirrmacher fragt sich, ob Pfister "zum Sündenbock eines viel | |
allgemeineren Unbehagens wird. Einer medialen Wirklichkeit, die das | |
,Erleben' zur virtuell immer verfügbaren, ständig sich eskalierenden | |
Ressource macht." Es sind nicht mehr als Fragen, die Schirrmacher | |
haufenweise aufwirft - doch mehr erwartet auch niemand von einem | |
Journalismus, dem seine Glaubwürdigkeit was wert ist. | |
Wer allerdings dahinter zurückfällt, durch reflexhafte Abwehr von Kritik | |
etwa, darf sich in einer demokratisierten Medienwelt über Liebesentzug | |
seiner Leser nicht wundern. | |
12 May 2011 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
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Yay! Noch 4.000 Facebook-Freunde, dann wird Cherno Jobatey entthront. | |
Außerdem: Was an der Diskussion um den Henri-Nannen-Preis interessant ist. |