| # taz.de -- 30 Jahre nach den Wackersdorf-Protesten: Triumph der Atomgegner | |
| > Der Bau der WAA-Atomfabrik in Wackersdorf begann 1986. Er stieß auf | |
| > erbitterte Gegenwehr – und wurde drei Jahre später abgebrochen. | |
| Bild: So kannte die Bundesrepublik ihre Bürger noch nicht: Protestierende vor … | |
| Berlin taz | Es war nicht nur eines der teuersten, sondern auch das | |
| gefährlichste Industrieprojekt, das jemals in Deutschland geplant wurde. | |
| Eine Art Plutonium-Supermarkt. Die korrekte Bezeichnung: | |
| Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstoffe, kurz WAA, | |
| üblicherweise als „WAAnsinnsprojekt“ apostrophiert. Vor 30 Jahren, zum | |
| Jahreswechsel 1985/86, gab Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß den | |
| Startschuss für den Bau der Anlage. Mit dem Abrasieren der Bäume am | |
| Standort Taxöldener Forst im oberpfälzischen Wackersdorf und mit der | |
| zweimaligen Räumung des Hüttendorfs der WAA-Gegner, am 16. Dezember und am | |
| 7. Januar, begann die heiße Phase. | |
| Der Name Wackersdorf wurde zum schillernden Code für einen der | |
| verbissensten Kämpfe gegen Atomanlagen. Zwei Menschen starben bei den | |
| Protestaktionen, Tausende verloren den Glauben an den Rechtsstaat. Der | |
| radioaktive Zerfall der Bürgerrechte eskalierte mit Hausdurchsuchungen und | |
| Prügelorgien der Polizei, mit Demonstrationsverboten und österreichischen | |
| Atomgegnern, denen am bayerischen Schlagbaum die Einreise verweigert wurde. | |
| Doch der WAA-Widerstand blieb hartnäckig, Tirolerhütchen und Sturmhauben | |
| verbündeten sich zu einer Ehrfurcht gebietenden Koalition. Brave Hausfrauen | |
| strickten warme Socken für militante Antiatomkämpfer. | |
| Mit dem Super-GAU in Tschernobyl im April 1986 erhielten die Proteste neue | |
| Legitimation und Stimulanz. Harte Sabotageakte, friedliche Aufmärsche und | |
| heitere Kulturfestivals wechselten in bunter Folge. Im April 1989 flüchtete | |
| die Atomwirtschaft fast panisch aus ihrer WAA-Traumwelt – das Projekt war | |
| zu teuer und zu unberechenbar geworden. Für die Antiatombewegung war es ein | |
| Triumph. | |
| Die Gründe, das Projekt aufzugeben, waren vielfältig: Die kalkulierten | |
| Kosten waren von 4,5 Milliarden auf über 10 Milliarden Mark geklettert. | |
| „Und man bekam die Technik nicht in den Griff“, erinnert sich Michael | |
| Sailer, Atomexperte des Öko-Instituts, „da wurde wild rumkonstruiert.“ | |
| Außerdem konnte man in Frankreich in der WAA in La Hague abgebrannte | |
| Brennelemente weit kostengünstiger loswerden. Und: Der glühendste | |
| Befürworter des Projekts lag seit einem halben Jahr auf dem Friedhof. | |
| Strauß war im Oktober 1988 gestorben. | |
| Heute blickt man fassungslos auf die damaligen Pläne. Man stelle sich vor: | |
| Eine Anlage, die nach einigen Jahren Betriebsdauer das radioaktive Inventar | |
| von 5.000 Hiroshima-Bomben beherbergt hätte, stünde mitten in Bayern. | |
| Plutonium, der unheilvolle Bombenstoff, eine der giftigsten Substanzen auf | |
| diesem Planeten, wäre gleich tonnenweise aus abgebrannten Brennelementen | |
| extrahiert worden. Die radioaktiven Emissionen sollten über einen 200 Meter | |
| hohen Schornstein „abgeleitet“ werden. Dazu passt Strauß’ historischer | |
| Satz, die WAA sei „so gefährlich wie eine Fahrradspeichenfabrik“. | |
| ## Bürger auf den Barrikaden | |
| Die WAA war ein Projekt der 1950er und 1960er Jahre. Die Anfänge liegen in | |
| der Gewinnung von Plutonium für die Atombombe. In den 1960er Jahren | |
| entstand eine neue Erlöserutopie: Das Wunder-Duo aus Schnellem Brüter und | |
| WAA sollte die atomare Energieversorgung im nächsten Jahrtausend sichern. | |
| In den 80er Jahren diente die WAA aber vor allem als Entsorgungsnachweis. | |
| Ursprünglich sollte die WAA in Gorleben gebaut werden. Dieser Plan wurde | |
| 1979 vom damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) als „politisch | |
| nicht durchsetzbar“ aufgegeben. Dann begann eine chaotische Standortsuche. | |
| Diemelstadt, Volkmarsen, Dragahn, Hambuch, Cochem, Illerich, Wangershausen: | |
| Immer neue unbekannte Dörfer wurden als potenzieller Standort aus ihrer | |
| Beschaulichkeit gerissen. Die Bürger stiegen überall auf die Barrikaden und | |
| zerlöcherten die Reifen der Infobusse der Atomindustrie. Bis Franz Josef | |
| Strauß 1980 erklärte, in Bayern gebe es stabile politische Verhältnisse und | |
| „eine industriegewohnte Bevölkerung“. Er sollte sich täuschen. | |
| 14 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Kriener | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Franz Josef Strauß | |
| Anti-Atom-Bewegung | |
| Atomenergie | |
| La Hague | |
| Gorleben | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Anti-AKW-Aktivist: Axel Mayer befürwortete Atomkraft, dann stoppte er ein AKW | |
| Als Lehrling war er einer der Besetzer der Baustelle im badischen Wyhl. | |
| Heute ist Axel Mayer 69 Jahre alt und zieht Bilanz, was sich verändert hat. | |
| Interessenkonflikt bei Atom-Institution: Ein Experte für alle Seiten | |
| Michael Sailer berät die Bundesgesellschaft für Endlagerung und deren | |
| Aufsichtsbehörde. Nicht nur diese Doppelrolle des Atomexperten sorgt für | |
| Kritik. | |
| Mangelnde Sicherheit in Atommüllhalde: Explosionsrisiken in La Hague | |
| In der Aufbereitungsanlage La Hague soll es Sicherheitsprobleme bei der | |
| Reinigung von Plutonium geben. Das geht aus Briefen hervor. | |
| Anti-Atom-Ikone Marianne Fritzen ist tot: Die vor der Polizeikette? Das war ich | |
| Seit den 70ern kämpfte die Grünen-Mitbegründerin Marianne Fritzen gegen das | |
| geplante Atomendlager in Gorleben. Nun verstarb sie mit 91 Jahren. | |
| Anti-Atom-Protest der 70er und 80er Jahre: „Harter Kern besteht aus Terrorist… | |
| Die Energiewende verdankt sich auch den lokalen Kämpfen der | |
| Antiatomkraftbewegung der 70er und 80er Jahre. Nun sind zwei Bände zu ihrer | |
| Geschichte erschienen. |