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# taz.de -- Anti-Atom-Protest der 70er und 80er Jahre: „Harter Kern besteht a…
> Die Energiewende verdankt sich auch den lokalen Kämpfen der
> Antiatomkraftbewegung der 70er und 80er Jahre. Nun sind zwei Bände zu
> ihrer Geschichte erschienen.
Bild: Anti-Atom-Romantik in den 70ern am Lagerfeuer in Wyhl.
Als erstes Merkmal geht aus der Analyse der historischen
Antiatomkraftbewegung hervor, dass es sich nicht um eine homogene
Protestbewegung handelte, sondern um eine Vielfalt von Bewegungen. Das
trifft auch auf ihre soziale Zusammensetzung und politische Orientierung
zu.
Der erste Band analysiert den Verlauf der Protestbewegungen gegen den Bau
von Atomkraftwerken in Wyhl, Brokdorf, Kalkar und Grohnde sowie die
Wiederaufbereitungsanlagen in Gorleben und Wackersdorf.
Es gehört zu den Stärken dieser Bewegungen, dass sie ihren Weg in heftigen
inneren Auseinandersetzungen über Ziele und Methoden des Kampfes suchten
und fanden. Am Beginn stand die Opposition gegen den Bau des Atomkraftwerks
Wyhl am Oberrhein. Diese Opposition zeichnet sich – etwa im Unterschied zum
Protest in Brokdorf – durch starke ländliche Zusammensetzung (Bauern,
Winzer, Dorfbewohner) aus, während in Brokdorf die meisten Demonstranten
aus städtischen Gebieten stammten.
Die Protestbewegung am Oberrhein operierte außerdem von Anfang an
grenzüberschreitend mit Gruppen aus dem Elsass und der Nordwestschweiz. Das
elsässische Atomkraftwerk Fessenheim und das im Elsass geplante
Bleichemiewerk Marckolsheim wie das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst in
der Nähe von Basel standen in allen drei Ländern im Zentrum des Protests.
Das intensive Zusammenwirken der drei Regionen, die sprachgeschichtlich die
Region Alemannien ausmachen, führte zu einer Widerentdeckung der
gemeinsamen Sprache und Kultur und zur Entfaltung einer „eigenen
Bewegungskultur“ mit Zeitungen, Protestsongs, Radiosendern.
Dass sich der Protest gegen die Atomkraft am Oberrhein konzentrierte, ist
kein Zufall. Der Landesentwicklungsplan für Baden-Württemberg sah das
Rheintal zwischen Frankfurt und Basel als „Wirtschaftsachse“, entlang der
nur noch Platz blieb für „gewerbliche und industrielle Nutzung“, während
die Bewohner in die „Vorbergzone und Seitentäler des Rheins“ umgesiedelt
werden sollten.
## Über 900 Minuten
Zwischen den ersten Demonstrationen in Fessenheim (April 1971) und der
Bauplatzbesetzung in Wyhl (Februar 1975) wuchs die Protestbewegung zu einer
politischen Kraft, vor der Energiekonzerne und Landesregierung schließlich
kapitulierten. Die Atomkraftwerke Kaiseraugst und Wyhl wurden nicht gebaut,
jenes in Fessenheim läuft allerdings bis heute. Die 21 Bürgerinitiativen
aus Baden und dem Elsass, die sich 1974 zusammenschlossen, arbeiten bis
heute am Umbau der Region zu einer Solarregion.
Nicht alle Kämpfe der Protestbewegung waren so erfolgreich. In den
Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk Brokdorf (1976–1986) wurde die
Bewegung gelähmt durch interne Querelen um die Führungsansprüche von
maoistisch-stalinistischen Studentenparteien, die sich in Scharmützeln mit
der Polizei und gewalttätigen Attacken zu profilieren versuchten und der
Bewegung damit mehr schadeten als nützten.
Viele Kämpfe gegen die Atomkraftpolitik fielen zeitlich fast zusammen mit
den terroristischen Anschlägen der RAF im Jahr 1977. Die zeitliche
Koinzidenz beeinflusste vor allem das Medienecho. Die Springerpresse rückte
den Protest gegen die Atompolitik in einen Zusammenhang mit dem
Terrorismus: „Der harte Kern besteht aus reinen Terroristen, ja sogar aus
Verbrechern“, so die Bild-Zeitung vom 16. 2. 1977. Der zweite Band rückt
dies in den Blick. Er enthält neben einer differenzierten Chronologie eine
umfassende Filmografie und Bibliografie. Auf den 6 DVDs sind über 900
Minuten dokumentarische Filme zu sehen.
Insgesamt bieten die beiden Bände ein ebenso umfassendes wie authentisches
Bild des lokalen, regionalen und nationalen Protests der 70er und 80er
Jahre. Die Dokumentarfilme belegen das Gefälle zwischen den mit primitiven
Mitteln operierenden Demonstranten und der technisch hoch gerüsteten
Polizei, die Demonstranten sogar mit Tränengaspetarden aus Hubschraubern
angriff und dabei militante und friedliche Demonstranten gleichermaßen
traf. Ein wichtiges Stück Zeitgeschichte.
„Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“. Laika Verlag, Hamburg
2011/2012. 2 Bände, 232 S. und 165 S., sowie 6 DVDs, je Band 29,90 Euro.
2 Apr 2012
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
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