| # taz.de -- 1.333 Tage Krieg in der Ukraine: Wenn nachts der Hornhecht ruft | |
| > Angeln im Schwarzen Meer ist gefährlich, wegen der Minen. Aber unser | |
| > Autor kommt aus Odessa – und seine Lust auf frischen Fisch ist stärker | |
| > als die Angst. | |
| Bild: Frischer Fang: Hornhechte sind etwas für Feinschmecker | |
| Jeden Herbst findet sich an den Stränden von Odessa eine stetig wachsende | |
| Zahl von Menschen in Windjacken ein. Sie schwenken ihre Angelruten in der | |
| Hoffnung, in der rauen See etwas zu fangen – die Meeresfischerei hat | |
| Hochsaison. Selbst der Krieg konnte die Leidenschaft der Fischer nicht | |
| dämpfen. | |
| Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist es verboten, mit | |
| Fischerbooten das Schwarze Meer zu befahren. Berufsfischer haben sich in | |
| Flussmündungen und Seen zurückgezogen. Doch selbst im ersten Kriegsherbst | |
| kehrten Hobbyangler trotz Beschuss an ihre vertrauten Küsten zurück. | |
| [1][Die Strände waren vermint] und die Piers geschlossen, doch von einigen | |
| Uferabschnitten aus war das Fischen weiter möglich. 2022 ignorierten die | |
| Patrouillen diese Verrückten und versuchten lediglich, sie von den Piers | |
| fernzuhalten. Jetzt wimmelt es sogar dort von Fischern. | |
| Was gibt es Schöneres als Fischen an einem klaren Herbsttag? Auf der einen | |
| Seite erklingt Musik – das Delphinarium ist geöffnet. Auf der anderen Seite | |
| machen Gesundheitsbegeisterte Yoga. Auch unter ihnen finden sich Fischer. | |
| Sie haben ihre eigenen meditativen Übungen: Auswerfen und Einholen, | |
| Auswerfen und Einholen. | |
| ## Hornhecht, Grundel und Steinbutt | |
| So fangen sie auch Hornhechte – eine Fischsorte, die ortsanssäsige | |
| Feinschmecker wegen ihres köstlichen Geschmacks besonders schätzen. Auch | |
| Meeräschen, Heringe und Grundeln werden hier gefangen. Später am Tag kommen | |
| dann die Stockangler, da die Fische nach Sonnenuntergang am besten | |
| anbeißen. Doch in der zweiten Novemberhälfte, wenn der Wind heult und | |
| Stürme einsetzen, sind die Strände in der Hand von Steinbuttspezialisten. | |
| Ist das gefährlich? Natürlich! In der Ukraine ist jetzt alles gefährlich. | |
| Es ist gefährlich, an unbewachten Stränden zu schwimmen, [2][weil man auf | |
| eine Mine treten könnte]. Es ist gefährlich, draußen unterwegs zu sein und | |
| den Luftalarm zu ignorieren. | |
| Das Leben generell ist gefährlich, denn man könnte sterben. Doch niemand | |
| möchte nur noch innerhalb der engen Grenzen eines Luftschutzbunkers leben. | |
| Man möchte den Sonnenaufgang sehen, Meeresluft atmen und frischen Fisch | |
| genießen. Unter der Bedrohung durch Minen, inmitten des Lärms von | |
| Flugabwehrgeschützen, die Drohnen abschießen, neben patrouillierenden | |
| Marineschiffen, legen Fischer ihre Angelruten aus. Und dort tummeln sich | |
| auch Urlauber und schwimmende Kinder. | |
| [3][Als Kind bin ich auch im Meer geschwommen] und habe über die seltsamen | |
| Leute mit den Angelruten auf den Piers gestaunt. Jetzt stehe ich auf dem | |
| Pier und wundere mich über die seltsamen Leute, die schwimmen gehen. Ich | |
| bin übrigens auch einer dieser Angler. In jeder Herbstnacht kommt es mir so | |
| vor, als würde irgendwo draußen auf dem Meer ein Hornhecht nach mir rufen. | |
| Und ich folge diesem Ruf. Ich wache auf und betrachte die ukrainische | |
| Flagge am benachbarten Hochhaus. Der Wind ist schwach und kommt nicht von | |
| Süden, es ist teilweise bewölkt, gute Bedingungen also. | |
| ## In Maismehl gewendet – und dann ab in die Pfanne | |
| Ich komme am Lansheron-Strand an, begrüße die einheimischen Fischer, werfe | |
| meine Angel einmal aus, zweimal … beim dritten Mal beißt einer an – ein | |
| Hornhecht. Und da kommt auch schon der zweite! Urlauber mit Kindern nähern | |
| sich. Sie erkundigen sich nach dem Fang und bestaunen die exotische | |
| Unterwasserwelt. „So etwas können wir bei uns in Cherson nicht fangen!“, | |
| sagen sie. Ich antworte: „Selbst in Odessa weiß nicht jeder, was hier | |
| gefangen wird.“ | |
| Bis zum Abend werden es fünfzehn oder zwanzig Fische (sie sind klein). Dann | |
| gehe ich nach Hause, säubere die Hornhechte, wende sie vor dem Braten in | |
| Maismehl und schenke mir ein Glas regionalen trockenen Weißweins ein. Und | |
| plötzlich scheint es, als ob es ihn nicht gebe, diesen Krieg … | |
| Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
| 16 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Artem Perfilov | |
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