# taz.de -- 100 Jahre Luxemburg und Liebknecht: Ungemütliches Gedenken | |
> 100 Jahre nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts könnte | |
> die Erinnerung im besten Fall zu unbequemen Einsichten führen. | |
Bild: Tafel an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Lichtenberg | |
Es ist so einfach, sich lustig zu machen über diese Demonstration. Immer am | |
zweiten Sonntag des Jahres, also nah dran am Jahrestag der Ermordung Rosa | |
Luxemburgs und Karl Liebknechts am 15. Januar 1919, zieht die | |
Luxemburg-Liebknecht-Demonstration zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem | |
Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde. Es geht pünktlich los, der | |
Abstand zwischen den einzelnen Blöcken wird penibel eingehalten, politisch | |
völlig irrelevante Splittergruppen haben hier ihren Auftritt des Jahres, | |
ein Mao- oder Stalinbild findet sich auch immer irgendwo. Hipsterberlin ist | |
sehr weit weg. | |
Es ist einfach, sich über dieses jährliche Spektakel mit sinkender | |
Teilnehmerzahl lustig zu machen. Man kann sich aber auch umhören unter | |
denjenigen, die daran teilnehmen. Vielleicht bei denen, die weiter hinten | |
laufen, nicht in einem der organisierten Blöcke. Bei denen, die selber mit | |
einigen der Parolen, die hier gerufen werden, ihre Probleme haben und den | |
Kopf schütteln angesichts so viel Folklore. Und die trotzdem mitgehen an | |
den meist eisigen Sonntagmorgen im Januar, die ehemalige Stalinallee | |
entlang, und am Ende eine Nelke ablegen auf einer der Tafeln in dem Rondell | |
der Gedenkstätte. | |
Wenn man sich also umhört unter diesen Teilnehmern und fragt, warum sie | |
hier sind, dann antworten viele, dass dieses Gedenken an Luxemburg, | |
Liebknecht und die anderen ermordeten Sozialisten ihnen persönlich viel | |
bedeute. Nicht nur wegen der Dinge, die Liebknecht und Luxemburg getan, | |
geschrieben und gesagt haben. | |
Sondern auch, weil dieses Gedenken selbst ein politischer Akt ist: Die | |
Ermordung der beiden marxistischen, antimilitaristischen Politiker wurde | |
jahrelang vertuscht. Noch heute gibt es insbesondere zu der Frage, wer für | |
diese die politische Verantwortung trug, höchst unterschiedliche | |
Auffassungen, insbesondere zur historischen Mitschuld der SPD. Erst vor | |
wenigen Tagen wurde das wieder anschaulich, als die Redaktion der | |
SPD-Zeitung auf Facebook und Twitter schrieb, es sei der Spartakusaufstand | |
selbst gewesen, der zum Tod Luxemburg und Liebknechts geführt habe, während | |
die SPD damals „mit Hilfe des Militärs“ die Demokratie verteidigt habe. | |
Sich an den Tod Luxemburgs und Liebknechts zu erinnern als das, was er war, | |
nämlich ein heimtückischer Mord rechtsradikaler Militärs mit Billigung der | |
politischen Führung, ist also an sich schon ein politischer Akt, weil diese | |
Lesart bis heute gegen eine Geschichtsschreibung der Herrschenden erkämpft | |
werden muss. | |
## Nichts weiter als Revolutionsromantik | |
Und es sind nicht nur offensichtliche politische Entgleisungen wie die der | |
Vorwärts-Redaktion, gegen die dieses Gedenken verteidigt werden muss. Es | |
ist auch eine Form des Erinnerns, die man gerade in den Super-Gedenkjahren | |
2018 und 2019 vielerorts finden kann: Da werden Liebknecht und insbesondere | |
Luxemburg zu Popfiguren, zu Rosa und Karl, die irgendwie toll sind, aber | |
auch für nichts weiter stehen als ein Quäntchen Revolutionsromantik. | |
Die Ereignisse von 1918/1919 werden personalisiert und damit gleichzeitig | |
entpolitisiert: Durch die Verengung auf Luxemburg und Liebknecht bei deren | |
gleichzeitiger Reduzierung auf unterkomplexe Popstars wird etliches | |
unsichtbar. Etwa die politischen Bedingungen des Januaraufstands 1919, der | |
bei Weitem nicht nur ein Werk der Spartakusgruppe war. Unsichtbar werden | |
auch die vielen anderen Ermordeten des Jahres 1919. Unsichtbar wird die | |
Rolle des Militärs, der Regierung, der Justiz, der Presse. | |
Verschwinden diese strukturellen Zusammenhänge aus dem Blick, verschwindet | |
auch, was uns die Geschehnisse von damals heute sagen können. Fern und | |
isoliert erscheinen sie dann, aus einer ganz, ganz anderen Zeit. | |
Doch das ist falsch. | |
Natürlich, 2019 ist beileibe nicht 1919, um das festzustellen reicht der | |
oberflächlichste Blick. Und plumpe, historisch nicht haltbare Vergleiche | |
zwischen damals und heute helfen niemandem weiter. Und doch kann die | |
Vergegenwärtigung der aktuellen politischen Situation einen Resonanzraum | |
bilden, in dem die Ereignisse von damals anders zum Schwingen kommen, als | |
sie es ohne ihn täten, und umgekehrt. | |
## Hassobjekt der völkischen Rechten | |
Auch heute wird insbesondere eine kosmopolitische Linke zum Hassobjekt der | |
völkischen Rechten – ein Bild, das sich dann ergibt, wenn man die | |
Ermordeten des Jahres 1919 in den Blick nimmt, gerade auch über Luxemburg | |
und Liebknecht hinaus. Viele von ihnen sind heute weitgehend in | |
Vergessenheit geraten: Wolfgang Fernbach, bereits am 11. Januar von | |
Regierungstruppen erschossen. Leo Jogiches, langjähriger Lebensgefährte | |
Luxemburgs, im März 1919 im Gefängnis in Moabit ermordet. Eugen Leviné, im | |
Juni im Münchener Gefängnis getötet. Alle drei stammten aus jüdischen | |
Familien. Konterrevolutionäre Flugblätter der damaligen Zeit strotzen vor | |
Antisemitismus. | |
Auch heute richten sich reaktionäre Kräfte gegen die progressiven | |
Errungenschaften der letzten Jahre oder Jahrzehnte, indem diese als extern, | |
als nicht zugehörig markiert werden. Damals versuchte die Rechte, die | |
Errungenschaften von 1918 als von außen kommend zu konstruieren, auch das | |
ein Grund für die starke Verbindung von Konterrevolution und | |
Antisemitismus: Mit dem echten deutschen Volk habe das alles nichts zu tun. | |
Die Verschwörungstheorie vom Juden George Soros, der Massenmigration nach | |
Europa finanziere und auf der ganzen Welt als von außen kommender Störer | |
Gesellschaften durch liberalen Verfall spalten wolle, ist ein aktuelles | |
Beispiel für dieses rechte Denkmuster. | |
Auch heute gibt es Fälle, in denen die Presse zu großen Teilen ungeprüft | |
übernimmt, was die Sicherheitsbehörden verlautbaren, wie sich erst diese | |
Woche wieder beobachten ließ. Am Tag nach der Ermordung Luxemburgs und | |
Liebknechts verbreitete das Wolffsche Telegrafenbüro eine Meldung, die fast | |
wortgleich war mit der Erklärung der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, | |
die die Morde durchgeführt hatte – und die meisten Zeitungen übernahmen | |
diese Agenturmeldung ungeprüft. | |
## Unbequeme Wahrheit | |
Auch heute gibt es rechten Terror. Auch heute gibt es rechten Terror, der | |
von Sicherheitsbehörden mindestens gedeckt, wenn nicht sogar befördert | |
wird, von staatlichen Stellen vertuscht. Und das gilt nicht nur für den | |
NSU. Die, die davon betroffen sind, wissen das. | |
Für viele aber, die von diesem rechten Terror und insbesondere den | |
staatlichen Verstrickungen nicht betroffen sind, sind diese Tatsachen auch | |
heute noch eine unbequeme, eine ungemütliche Wahrheit, so wie es auch | |
unbequem und ungemütlich ist, zu fragen, was uns die Ereignisse von damals | |
über heute sagen und umgekehrt. Ungemütlich ist auch die Beschäftigung mit | |
der Ernsthaftigkeit, der Konsequenz der damaligen Revolutionäre – nicht nur | |
derer, die mit flammenden Reden berühmt geworden sind, sondern auch derer, | |
die in jahrelanger Organisationsarbeit in den Fabriken überhaupt erst die | |
Basis für die massenhaften Streiks und Aufstände geschaffen haben. Denn | |
sich diese Ernsthaftigkeit zu vergegenwärtigen, kann einem auch die eigene | |
Inkonsequenz vor Augen führen. | |
Wie viel bequemer ist es da, sich etwa aus dem Werk Luxemburgs nur dieses | |
eine Zitat herauszunehmen, das davon handelt, dass Freiheit immer die | |
Freiheit der Andersdenkenden sei. Wie viel bequemer, dessen damalige | |
Aussagekraft dann so lange zu verwässern, bis nichts mehr übrig bleibt, als | |
dass man doch irgendwie für alles Toleranz aufbringen müsse, dass das | |
Wichtigste sei, die AfD nur ja nicht von irgendeinem „demokratischen | |
Diskurs“ auszuschließen. Wie viel bequemer, sich darauf zurückzuziehen, | |
dass nichts, aber auch gar nichts von dem, was damals passiert ist, im | |
Heute wiederzufinden sei, schließlich haben wir doch jetzt das Grundgesetz, | |
und dass etwa die Sicherheitsbehörden lügen oder selbst vor Gericht nicht | |
immer Recht gesprochen wird, das gibt es schlicht nicht mehr. | |
Sich der enormen Errungenschaften des Heute bewusst zu sein, zu denen | |
selbstverständlich auch das Grundgesetz zählt, und trotzdem nicht in diese | |
Bequemlichkeit zu verfallen, ja sogar aktiv gegen sie anzukämpfen, kann | |
sehr ermüdend sein. So wie es ermüdend sein kann, das Andenken an Rosa | |
Luxemburg und Karl Liebknecht gegen entpolitisierenden Personenkult und | |
Geschichtsverdrehung zu verteidigen. | |
Aber gleichzeitig kann man aus diesem Gedenken auch Kraft schöpfen für | |
genau diese Kämpfe – und deswegen kann es sich trotz allem auch sehr | |
richtig anfühlen, eine Nelke durch einen kalten Vormittag im Januar zu | |
tragen. | |
Mehr zum 100-jährigen Gedenken an die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl | |
Liebknechts am Samstag in der gedruckten taz.berlin | |
11 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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