| # taz.de -- Globalisierungskritisches Netzwerk Attac: Vom Mainstream eingeholt | |
| > Zeiten der Krise – Attac müsste jetzt eigentlich überall präsent sein. | |
| > Stattdessen hört man von den Finanzmarktkritikern kaum noch etwas. Was | |
| > ist da los? | |
| Bild: Kritik hinter Masken: Attac-Aktivist. | |
| MAINZ taz | Vorne an der Tafel kleben bunte Papierschilder. „WTO und | |
| Welthandel“ steht darauf, „Mitglieder“ oder „Rat“. Damit erklärt Ste… | |
| Handtmann die Organisation, deren Geschäftsführerin sie ist. Sechs Frauen | |
| und sechs Männer sitzen im Stuhlkreis, die jüngsten sind in den Zwanzigern, | |
| die meisten deutlich älter. Der Titel des Workshops im Raum 108 des | |
| Philosophicums der Uni Mainz: „Wie tickt Attac?“ | |
| Am Ende will einer der Zuhörer wissen: Wer spricht eigentlich für die | |
| Organisation? Heiner Geißler? Nein, sagt Stephanie Handtmann. Der bestimmt | |
| nicht, er könne höchstens als einfaches Mitglied etwas sagen. | |
| Der Fragesteller ist Mitte 40, von Beruf Kriminalbeamter. Er ist zum ersten | |
| Mal auf einer Attac-Veranstaltung, in der Hand hält er eine Flasche | |
| Coca-Cola. Vor ein paar Jahren dachte er noch, die bei Attac seien alles | |
| linksradikale Spinner. Dann aber wurde Geißler dort Mitglied, und er begann | |
| sich zu interessieren. Nur eines versteht er nicht: Warum gibt es keine | |
| charismatische Figur, die sich zu aktuellen Themen äußert? | |
| Zum zehnten Mal veranstaltet Attac die Sommerakademie. Am ersten | |
| Augustwochenende sitzen mehr als 600 „Attacies“, wie sie sich selbst | |
| nennen, in schlecht belüfteten Seminarräumen, in Workshops wie „Ökonomische | |
| Theorien“ oder „Geld – wie funktioniert’s?“. Vier Tage lang Bildung, | |
| Vernetzung, Diskussion. Aber warum hört man außerhalb nur noch wenig von | |
| den Globalisierungskritikern, gerade jetzt, in Zeiten der Krise? | |
| ## Basisdemokratisches Netzwerk | |
| Attac ist ein Netzwerk, so basisdemokratisch wie kaum eine andere | |
| Organisation. Mit zahlreichen Positionen. In Mainz sitzen viele im Hörsaal, | |
| die den Kapitalismus sofort abschaffen wollen. Aber das wollen nicht alle. | |
| Es gibt welche, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern, und andere, | |
| die es ablehnen. Und in ökonomischen Detailfragen sind die Meinungen | |
| sowieso ganz unterschiedlich. | |
| Bei der Eröffnungsdiskussion spricht Heiner Flassbeck, einst | |
| Finanzstaatssekretär unter Oskar Lafontaine, heute Chefökonom der | |
| Welthandels- und Entwicklungskonferenz der UNO. Dass er den Keynesianismus | |
| für die einzige makroökonomische Theorie und Wachstum für essenziell hält, | |
| gefällt vielen Attacies nicht. Eine Frau schimpft: Man müsse doch das | |
| Primat der Politik betonen und nicht mit irgendwelchen ökonomischen Details | |
| argumentieren. Eine andere läuft nach Ende der Veranstaltung direkt auf | |
| Flassbeck zu: „Sie sind ein Lichtblick in meinem Leben in den vergangenen | |
| Jahren.“ | |
| „Die Vielfalt macht Attac doch einmalig“, sagt Jutta Sundermann. Die | |
| 41-Jährige hat Attac mitgegründet, sie sitzt im 22-köpfigen | |
| Koordinierungskreis, einer Art Vorstand. Sie ist eines der bekanntesten | |
| Attac-Gesichter, aber es ist auch schon wieder ein paar Monate her, dass | |
| sie das letzte Mal in einer Talkshow saß. | |
| „Am Anfang bekamen wir große Aufmerksamkeit, egal wer was gesagt hat“, sagt | |
| sie. „Heute ist Attac nichts Besonderes mehr.“ Und je komplexer die Themen, | |
| desto schwerer falle es, die richtigen Antworten zu geben. Deshalb, das | |
| vermuten viele Attac-Aktivisten, kommen eher Experten zu Wort, die | |
| pointiertere Aussagen treffen. | |
| Jutta Sundermann trägt eine Papierkrawatte, sie kommt gerade aus dem | |
| Workshop „Bankwechselkampagne“. Die Verbraucher sollen zur | |
| „Krötenwanderung“ motiviert werden, zum Wechsel zu einer sozial und | |
| ökologisch korrekten Bank. Auf solche verbrauchernahe Aktionen setzt sie. | |
| Pragmatismus mit einer Prise Utopie. | |
| ## Nicht mehr radikal genug? | |
| Mit Utopien ist es ja so eine Sache. Was gestern noch unerreichbar schien, | |
| kann heute schon Mainstream sein. Für die Tobin-Steuer, derentwegen Attac | |
| überhaupt gegründet wurde, sind in Form einer Finanztransaktionssteuer | |
| inzwischen auch CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke. Der Mainstream ist an | |
| Attac herangerückt, auch wenn sich die Forderungen im Detail immer noch | |
| unterscheiden. Das ist ein Erfolg der Organisation. Doch sie tut sich | |
| schwer damit. Muss Attac radikalere Forderungen aufstellen, um überhaupt | |
| noch eine Daseinsberechtigung zu haben? | |
| Nein, sagt Jutta Sundermann. Nein, sagt auch Werner Rätz, 60, weißer | |
| Rauschebart, Pferdeschwanz. Er ist ebenfalls Mitbegründer von Attac, war | |
| lange im Koordinierungskreis und sitzt jetzt im Attac-Rat. Er gehört zur | |
| radikaleren Fraktion, eigentlich. | |
| „Ich glaube nicht, dass die Frage der Radikalität entscheidend ist“, sagt | |
| Werner Rätz. Er sieht zwei Gründe, warum Attac beim Thema Krise bislang | |
| nicht lautstark in Erscheinung tritt. Das Thema sei zu abstrakt und für die | |
| Menschen vor allem zu stark mit existenziellen Sorgen behaftet. „Deshalb | |
| kann man da nicht mobilisieren.“ | |
| ## Keine Schwerpunkte mehr | |
| Seine Strategie: Anstatt plakativ im großen Diskurs teilzuhaben, sollte man | |
| besser Wissen vermitteln. Auch wenn zu einem Vortrag nur 30 oder 40 Leute | |
| kommen. Rätz übt auch Selbstkritik: „Es gibt keine Schwerpunkte mehr bei | |
| Attac.“ Zwar sei die Themenpalette von Anfang an breit gewesen, von | |
| sozialer Gerechtigkeit über Finanzen bis zur Ökologie. „Aber es fehlt heute | |
| eine Zuspitzung auf ein, zwei Hauptthemen.“ | |
| Diese Zuspitzung versucht Attac jetzt: Den Reichen soll es an den | |
| Geldbeutel gehen. Zusammen mit zwei Dutzend anderen Organisationen, von | |
| Gewerkschaften bis Sozialverbänden, planen sie einen bundesweiten | |
| [1][Aktionstag]. Sie fordern eine Vermögensteuer und eine einmalige | |
| Vermögensabgabe. Aber auch hierin gibt es bei Attac keine Einigkeit. | |
| Ein Mann spricht Jutta Sundermann an: „Was soll denn die | |
| 1-Million-Euro-Grenze? Wer einen Porsche Cayenne fährt, ein Haus hat und | |
| eine Ferienwohnung, der gehört zu den Armen oder wie?“ Jutta Sundermann | |
| entgegnet, sie persönlich würde die Grenze auch lieber bei 500.000 Euro | |
| ziehen. „Indem wir uns auf das reichste 1 Prozent konzentrieren, gibt es | |
| eine höhere Akzeptanz der Mittelschicht“, sagt Bruno Marcon, der sich in | |
| der Attac-AG Umverteilen engagiert. | |
| Wer verscherzt es sich schon gern mit Teilen der eigenen Klientel? Dann | |
| lieber klare Konfliktlinien: Die Reichen tragen Anzug, trinken Champagner | |
| und protestieren mit dem Slogan: „Golfspielen ist ein Menschenrecht!“ Dann | |
| werden sie von Robin Hoods in Attac-Shirts umzingelt. Zumindest in der | |
| Straßenprotestszene, die Aktivisten auf der Sommerakademie aufführen, ist | |
| alles so schön einfach. | |
| 10 Aug 2012 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.umfairteilen.de | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Erb | |
| ## TAGS | |
| Steuer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| „Tobin Tax light“: Grünes Licht für Finanzsteuer | |
| Elf EU-Staaten brechen die britische Blockade und wollen den Börsenhandel | |
| besteuern. Ein Teil der Erlöse soll in die Entwicklungshilfe fließen. | |
| Elf Länder stimmen zu: Finanztransaktionssteuer kommt | |
| Elf EU-Staaten stimmen nun einer Finanztransaktionssteuer zu. Damit ist | |
| eine wesentliche Hürde genommen. Über die Ausgestaltung und Verwendung | |
| herrscht jedoch Uneinigkeit. | |
| Bedingungsloses Grundeinkommen: Solidarität gegen die Eurokrise | |
| Beim 14. BIEN-Kongress diskutieren die Anhänger des bedingungslosen | |
| Grundeinkommens europäische und weltweite Lösungsansätze. | |
| Linksbündnis fordert Reichensteuer: Eine angereicherte Steuerdebatte | |
| FDP und Steuerzahlerbund sind ganz aufgeregt, weil ein linkes Bündnis um | |
| Attac höhere Steuern für Reiche fordert. SPD und Grüne finden das erstmal | |
| ganz gut. | |
| Breites Bündnis fordert höhere Abgaben: „Umfairteilen“ will Reichensteuer | |
| Sozialverbände, Gewerkschaften und NGOs haben sich zusammengetan. Unter dem | |
| Namen „Umfairteilen“ wollen sie den Reichen ans Geld. | |
| Debatte Vermögensabgabe: Es hängt an der Mittelschicht | |
| Bei den Reichen soll mehr Geld abgezwackt werden? Dann muss aber auch die | |
| bürgerliche Mitte ihr allzu positives Verhältnis zum Besitz überdenken. | |
| Debatte Vermögensabgabe: Geld ist genug da! | |
| Mehr als drei Millionen Millionäre leben in Europa. Sie gehören zum Abbau | |
| von Staatsschulden herangezogen – die Schulden sind das Ergebnis einer | |
| schamlosen Reichenpflege. | |
| Einigung bei Finanztransaktionssteuer naht: „Attac wird trotzdem noch gebrauc… | |
| Attac-Gründer Peter Wahl über die Annäherung von Regierung und Opposition | |
| bei der Finanztransaktionssteuer, angedeutete Ausnahmen und taktische | |
| Schlaumschlägereien. |