# taz.de -- Debatte Vermögensabgabe: Es hängt an der Mittelschicht | |
> Bei den Reichen soll mehr Geld abgezwackt werden? Dann muss aber auch die | |
> bürgerliche Mitte ihr allzu positives Verhältnis zum Besitz überdenken. | |
Bild: Entweder, oder – Das Schreckensbild der Mittelschicht ist nicht unbedin… | |
Frankreich ist ein gutes Beispiel. Der neue sozialistische Staatschef in | |
Frankreich, François Hollande, will Supereinkommen von über einer Million | |
Euro im Jahr mit einem Grenzsteuersatz von 75 Prozent belasten und die | |
bereits existierende Vermögenssteuer verschärfen. Eine Million Euro | |
Einkommen! Da dürfte die bürgerliche Mitte in Frankreich weiter ruhig | |
schlafen, weil sie nicht betroffen ist. | |
Nicht nur in Frankreich werden die Verteilungsfragen oftmals in ferne | |
Reichenmilieus verschoben, auch hierzulande drücken sich die Parteien aus | |
dem linken Spektrum gern um die Konfrontation mit der Mittelschicht. Es | |
dominiert eine Umverteilungsrhetorik, die fordert, einfach nur den | |
Superreichen Geld wegzunehmen. Die Dinge liegen aber komplizierter. | |
Ein mulmiges Gefühl stellt sich schon ein angesichts der Vorschläge, | |
zeitlich befristete Abgaben oder Zwangsanleihen zu erheben, um damit einer | |
besonderen Notlage in den Einzelstaaten und in Europa zu begegnen. Auch der | |
Wirtschaftspolitikexperte der Gewerkschaft Ver.di, Dierk Hirschel, | |
[1][forderte in der taz] eine einmalige Vermögensabgabe, deren historisches | |
Vorbild der „Lastenausgleich“ sein könne, ein Sonderbeitrag der | |
Wohlhabenden in der deutschen Nachkriegszeit. | |
Die Notlagen-Rhetorik soll die zeitlich befristeten Zwangsabgaben | |
legitimieren auch vor einer Verfassung, die das Recht auf Eigentum schützt. | |
Diese Rhetorik erzeugt aber ein Unbehagen, denn wir haben nun mal keine | |
Nachkriegszeit, auch wenn die EU-Staaten hoch verschuldet sind. | |
Die Akzeptanz für eine Umverteilung steigt zudem nicht gerade, wenn das | |
abgeschöpfte private Geld vor allem Schulden aufgrund der Bankenrettung | |
begleichen soll oder gar in ärmere EU-Gefilde abwandern könnte. | |
## Deutsche Ausreden | |
Sinnvoll wäre es, über unbefristete Umverteilungsstrukturen zu reden. Die | |
Vermögenskonzentration hat zugenommen, und der internationale Blick liefert | |
manche Erkenntnis, was an Abgaben so möglich ist. Frankreich zum Beispiel | |
hat schon seit Längerem eine Vermögenssteuer, die sogar progressiv | |
ansteigt. | |
Großbritannien und die USA erheben hohe Grundsteuern, da schert man sich | |
wenig um die Problematik, dass dies eine „Substanzbesteuerung“ sein könnte. | |
Die deutschen Ausreden gegen eine höhere Belastung von Vermögen halten dem | |
internationalen Vergleich also nicht stand. Die heikle Frage allerdings | |
lautet: Ab wann fängt der Reichtum an? | |
Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schlägt | |
für die Euroländer eine Zwangsanleihe oder Zwangsabgabe bei den | |
Wohlhabenden vor, um die Staatshaushalte zu sanieren. In Deutschland soll | |
diese Anleihe für die 8 Prozent gelten, die mehr besitzen als 250.000 Euro | |
(Ehepaare: 500.000 Euro), Immobilien mit eingerechnet. Von ihrem Besitz, | |
der diese Grenze übersteigt, müssten die Reichen dann 10 Prozent abgeben | |
oder zwangsverleihen, so die Idee. | |
## Wer ist wirklich reich? | |
Michael Sommer, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), befürwortete | |
die „Zwangsanleihe“. Nachdem FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle ätzte, dass | |
dann ja wohl auch die Eigenheime von Facharbeitern mit Zwangsanleihen | |
belegt würden, stellte der DGB-Chef im Spiegel klar: Die Zwangsanleihen, | |
von ihm vorsichtshalber in „Pflichtanleihen“ umgetauft, sollten nur | |
Vermögensanteile betreffen, die über einer Freigrenze von mehr als eine | |
Million Euro pro Ehepaar liegen und davon auch nur 3 Prozent betragen. | |
Es ist ein Eiertanz, das Ausloten der Grenzen zwischen Mittelschicht und | |
den „wirklich Reichen“, bei dem auch die Parteien aus dem linken Spektrum | |
keinen Fehler machen wollen, um nicht Millionen von Wählerstimmen zu | |
verlieren, die um ihr Eigenheim fürchten. | |
Den Stimmenverlust kann man schätzen: Nach Zahlen des DIW wären etwa bei | |
einem persönlichen Freibetrag von 500.000 Euro rund 1,1 Millionen Leute von | |
einer Vermögenssteuer betroffen. Wächst der Freibetrag auf eine Million | |
Euro pro Person, müssen nur 330.000 Leute zahlen. Man kann sich vorstellen, | |
wie bei den Parteien die Köpfe heiß laufen, wenn sie überlegen, die | |
exotischen „Reichen“ von der Mittelschichtklientel abzugrenzen. Bei den | |
Sozialdemokraten gibt es Vorschläge für eine einprozentige Vermögenssteuer | |
mit einem Freibetrag von einer Million Euro pro Haushalt. | |
## Kapriolen von Rot-Grün | |
Es bleibt ein merkwürdiger Beigeschmack, schließlich senkte die rot-grüne | |
Regierung vor zwölf Jahren die Steuern, um den Vermögensaufbau und die | |
Investitionen zu fördern. Jetzt wollen die gleichen Parteien, derzeit in | |
der Opposition, die Spielregeln wieder ändern, um privat angesammeltes Geld | |
nachträglich abzuschöpfen. | |
Eine glaubwürdige Verteilungspolitik sollte daher eine Paketlösung sein, | |
die nicht nur den Besitz, sondern schon den Aufbau von Vermögen stärker | |
besteuert, etwa durch einen höheren Spitzensteuersatz auf Einkommen und | |
niedrigere Freibeträge bei Erbschaften. Damit wagte sich die Politik ans | |
Allerheiligste: Besitz anzusammeln und an die nächste Generation | |
weitergeben zu können, das ist das zentrale Aufstiegsversprechen im | |
Kapitalismus auch für die Mittelschicht, die Besitz ganz toll findet, | |
solange andere nicht zu viel davon haben. | |
In einem Umverteilungspaket sollte also drinstecken: eine Vermögenssteuer, | |
die wie in Frankreich mit 0,5 Prozent anfängt und dann auf 1 Prozent | |
steigt, bei Freibeträgen von 250.000 Euro pro Person, Immobilien | |
eingerechnet. Dann ein höherer Spitzensteuersatz von 49 Prozent ab 80.000 | |
Euro Jahreseinkommen, wie ihn auch die Grünen fordern. Vor allem aber | |
müssen die Freigrenzen bei Erbschaften sinken. Heute kann ein Kind ein | |
Vermögen von insgesamt 800.000 Euro von beiden Elternteilen steuerfrei | |
erben, das ist nicht okay. | |
Ein solches Paket würde eine ehrliche Debatte anstoßen jenseits der | |
Dämonisierung der Superreichen. Ein System, das es vielen BürgerInnen | |
ermöglicht, Besitz anzusammeln, darf davon auch bei vielen rechtzeitig | |
etwas abschöpfen. Im kommenden Wahlkampf könnte man auch in Deutschland | |
über neue Spielregeln dafür streiten. | |
1 Aug 2012 | |
## LINKS | |
[1] /!98322/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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