| # taz.de -- Deutsche Kinogeschichte: Wünsche und Widersprüche | |
| > Das Oberhausener Manifest feierte in München seinen 50. Geburtstag. | |
| > Christian Ude laudiert und Alexander Kluge ist gerührt. | |
| Bild: Von Oberhausen zur Berlinale - Alexander Kluge winkt. | |
| Selten hat man Alexander Kluge so gerührt gesehen. Zusammen mit fast allen | |
| noch lebenden zehn Unterzeichnern des Oberhausener Manifests steht der | |
| gerade 80 Jahre alt gewordene Literat und Filmemacher auf der Bühne des | |
| familiären Münchner Filmmuseums. Alte Kämpen, brüderlich vereint. Für ein | |
| Gruppenfoto anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Unterzeichnung eines | |
| wichtigen Dokuments der bundesrepublikanischen Filmgeschichte. Eines für | |
| sich genommen gleichermaßen kraftstrotzenden wie blassen Papiers mit | |
| enormen Folgewirkungen. | |
| Hier stehen die neun anwesenden Unterzeichner im Mittelpunkt und dürfen | |
| ihre Geschichten erzählen. Geschichten einer längst vergangenen Zeit? Der | |
| Münchner Oberbürgermeister Christian Ude liefert in seiner Rede die | |
| historische Verortung der Gruppe in die vorrevolutionäre Szene Schwabings | |
| des Jahres 1962. Von den folgenreichen Krawallen im Sommer desselben Jahres | |
| schweigt er. | |
| Zwei Tage nach der Ehrung durch die Stadt München kamen die Unterzeichner | |
| am Dienstagabend noch einmal zu einem offiziellen Festakt der | |
| Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zusammen, und zwar in der 1966 | |
| gegründeten und gerade neu eröffneten Münchner Hochschule für Fernsehen und | |
| Film, die gewissermaßen auch ein Sprössling der Oberhausener ist. Die HFF | |
| war allerdings nur Hausherr ohne Redezeit – auch ihre Studenten waren | |
| lediglich als Wasserträger und Fotografen involviert. Gerade mit ihnen | |
| hätte man reden müssen. | |
| ## Ideal der Unabhängigkeit | |
| Die Staatsminister aus dem Bund und aus Bayern versuchten in ihren | |
| Grußworten, ihre Filmförderungsanstrengungen in eine Linie mit dem | |
| Oberhausener Manifest zu bringen – was scheitern muss, denn die | |
| „Oberhausener“ wollten Mittel ohne kommerzielle Sachzwänge und ohne die | |
| Routinen einer auch wirtschaftlich orientierten Filmförderung. Wollten die | |
| Unterzeichner zu viel? Denn schon damals war es ein gewisses Paradox, | |
| größtmögliche Freiheiten zu suchen und zugleich Förderung durch Staat und | |
| Länder zu fordern. Insgesamt zeigt die Geschichte jedoch, wie wichtig | |
| allein der revolutionäre Impuls einer Gruppe werden kann, die sich | |
| selbstbewusst als neue Generation gegen das Alte erhebt. | |
| Auf die Reden der Politiker folgte eine Podiumsrunde mit Edgar Reitz als | |
| Vertreter der Gruppe. Schnell wurde deutlich, dass es heute im eigentlichen | |
| Sinn keine Erben gibt: Wenn beispielsweise Romuald Karmakar, der seit | |
| geraumer Zeit seine Filme ohne den Filmförderungsapparat produziert, | |
| einräumen musste, dass er sich erst spät mit dem Manifest beschäftigt hat | |
| und es für ihn heute eigentlich keinen handlungsleitenden Ausgangspunkt | |
| bildet, kommt man ins Grübeln. | |
| Ist die Zeit über die Forderungen der Unterzeichner hinweggegangen – | |
| vielleicht auch deshalb, weil ihre Arbeiten vergessen worden sind? Gerade | |
| Karmakar will aber das Ideal der Unabhängigkeit wahren und prangerte an, | |
| dass den Regisseuren oft der Endschnitt ihrer Filme insbesondere von | |
| Fernsehredaktionen aus der Hand genommen werde. Ein bisschen Oberhausen | |
| steckt also doch in ihm. | |
| Dann schwenkte die Diskussion endlich zum Nachwuchs. Edgar Reitz beklagte | |
| die Schwierigkeit des „zweiten Films“: Während seine Generation darum | |
| kämpfen musste, überhaupt zum Erstling zu gelangen, hätten die Studenten | |
| der großen Hochschulen in Deutschland das fundamentale Problem, nach ihrem | |
| Abschluss ihren Weg weiterzugehen. „Produzieren“ die Filmhochschulen zu | |
| viel Nachwuchs? Elitär argumentierte die Regisseurin Jutta Brückner: Junge | |
| Menschen seien noch nicht reif für das große, tiefe Spielfilmformat und | |
| hätten noch nicht viel zu erzählen. | |
| Heutzutage – das ergab sich in der leicht hitzigen Diskussion während des | |
| Festakts – darf man nicht mehr nur über das Kino reden, sondern über ein | |
| Filmemachen unter den Bedingungen einer völlig umgestürzten Medienwelt. Im | |
| digitalen Zeitalter hat fast jeder Zugang zu Produktionsmitteln und | |
| Vertriebskanälen. Unabhängige Filme entstehen heute an vielen Orten. Was | |
| das dann noch mit dem klassischen Autorenkino zu tun hat, darüber müsste | |
| man weiter streiten. | |
| Wären die „Oberhausener“ heute nur eine Facebook-Gruppe mit eigenem | |
| YouTube-Kanal? Damals, so Reitz und Kluge heute, hätte man einen | |
| „Rütli-Schwur“ geleistet, dessen Kern die „Unverkäuflichkeit“ der | |
| Filmemacher und ihrer Ideen gewesen sei. Vereinnahmen lassen wollen sie | |
| sich auch heute nicht – weder von Filmförderungspolitiken noch von schönen | |
| Reden. | |
| 29 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| K. Erik Franzen | |
| ## TAGS | |
| 80. Geburtstag | |
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| Edgar Reitz | |
| Kurzfilm | |
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