# taz.de -- Handy-Datenaffäre: Die Dresden-Mafia | |
> Das sächsische LKA hat einen schweren Auftrag: Es soll eine Mafia finden, | |
> die es nicht gibt. Inzwischen suchen die Ermittler unter 40.000 Menschen | |
> – und niemand stoppt sie. | |
Bild: 19. Februar in Dresden. | |
BERLIN taz | Die Polizisten vom sächsischen LandeskriminaIamt (LKA) sind | |
die Beamten für die harten Jungs und Mädchen. Sie suchen diejenignen, die | |
nicht nur Kaugummis im Supermarkt klauen. Sie suchen diejenigen, die | |
anderen richtig auf die Fresse geben. Und das am liebsten ganz organisiert. | |
Derzeit ermitteln die Beamten des sächsischen LKA in einer großen Sache. Es | |
geht um die Bildung einer kriminellen Vereinigung, es geht um gewaltbereite | |
Linke, die auch mit Eisenstangen und Pflastersteinen auf rechte Geschäfte | |
losgehen - und die auch mal einen Baseballschläger dabei haben sollen, wenn | |
sie nachts im Dunkeln Neonazis angreifen und einschüchtern. | |
Dafür zumindest gibt es stichhaltige Hinweise, sagt das LKA. Und weil die | |
Beamten nicht sehr viel mehr wissen, wird die Sache, in der sie ermitteln, | |
immer größer: 40.732 Personendaten, das bestätigt die Dresdner | |
Staatsanwaltschaft auf Anfrage der taz, liegen der Behörde inzwischen vor – | |
und dies allein durch eine Datenabfrage von Personen, die in Dresden am 13. | |
und 19. Februar telefoniert haben als gerade tausende von Gewerkschaftern, | |
Parteimitgliedern, Kulturschaffenden und ganz normalen Demonstranten | |
friedlich gegen rechte Neonazis demonstrierten. | |
40.732 Personen, das sind 10.000 mehr als das Fußballstadion des VfL | |
Wolfsburg Sitzplätze hat. 40.732 mal Namen, Adressen, Telefonnummern – wie | |
groß muss die kriminelle Gruppe sein, gegen die das sächsische LKA da | |
ermittelt? | |
Bislang, das geht aus Dokumenten, die der taz vorliegen, hervor, sind | |
mindestens 22 Menschen im Visier der Fahner, darunter 20 Männer und zwei | |
Frauen. Sie werden überwacht und observiert, ihre Telefone abgehört, ihr | |
Privatleben durchleuchtet. Sie alle stehen im Verdacht, eine kriminelle | |
Vereinigung gegründet zu haben, die sich durch eines auszeichnet: Schnell | |
und organisiert, so vermerken es die Ermittler, sollen sie gezielt gegen | |
Neonazis vorgehen und dabei auch Gewalt nicht scheuen. Und einige von | |
ihnen, das weiß das LKA, waren im Februar auch in Dresden unterwegs, als | |
dort zehntausende von Menschen gegen Neonazis demonstrierten. | |
Dresden, das war im Februar so eine Art Protestlabor, weil Menschen aus | |
ganz Deutschland dorthin kamen, um gegen Rechts zu demonstrieren. Und wer | |
Rückschlüsse über die Struktur linken Protestes ziehen wollte, der musste | |
nur analysieren, wer am 13. und 19. Februar mit wem telefonierte. Das tat | |
die Polizei: Über eine Million Verbindungsdaten – also Telefonnummern, | |
Verbindungsdauer und Ortsangaben – ließen sich die Behörden von | |
Telekommunikationsunternehmen liefern. Und dann werteten sie in Ruhe aus, | |
wer wann mit wem telefonierte. Doch es reichte nicht. | |
## "Strukturen krimineller Gruppen" aufklären | |
Denn allein die Daten, die sie hatten, gaben noch keinen Aufschluss über | |
die Handynutzer selbst. Also mussten Personendaten her. Und so forderten | |
die Behörden die Namen und Adressen von zunächst 460 Menschen an. | |
CDU-Innenminister Markus Ulbig, zu diesem Zeitpunkt selbst aufgrund der | |
Datenaffäre stark in der Kritik, verkündete im Juni noch stolz, wie wenig | |
Daten das doch eigentlich seien. Tatsächlich: Vor dem Hintergrund teils | |
massiver Auschreitungen, die es am 19. Februar schließlich auch gegeben | |
hatte, war das nicht vielleicht sogar nachvollziehbar? Vielleicht. | |
"Um Strukturen größerer krimineller Gruppen aufklären zu können, sind | |
umfrangreiche Ermittlungen notwendig", sagt der Sprecher der Dresdner | |
Staatsanwaltschaft, Lorenz Haase, am Montag gegenüber taz.de. "Vor diesem | |
Hintergrund halten wir die Maßnahme nach wie vor für gedeckt." | |
Strukturen größerer krimineller Gruppen? Wie groß soll eine kriminelle | |
Gruppe sein, die es rechtfertigt, 40.000 Personendaten zu erheben? Hat - | |
nennen wir sie - Frau Müller aus Babelhausen damit zu tun? Weil sie am 19. | |
Februar 2010 ein Telefongespräch mit ihrer Tochter führte, die gerade mit | |
einer bunten Fahne auf einer friedlichen Demonstration in Dresden war? | |
Oder, sagen wir, Herr Schmidt, der am 19. Februar seinen Bruder in Dresden | |
anrief, der wohnt dort in der Innenstadt? Ist jetzt auch der Bofrost-Mann | |
ins Visier der Ermittler geraten, der seine Tiefkühl-Lieferung am 19. | |
Februar absagen musste? Weil er an diesem Tag in Dresden nicht durchkam. | |
Die Straßen waren gesperrt. | |
Wenn Lorenz Haase, Staatsanwaltschaft Dresden, ein Mann mit freundlicher, | |
ruhiger Stimme, von den Ermittlungen gegen diese kriminelle Vereinigung | |
spricht, dann redet er von Palermo und dann redet er von der Mafia. Dann | |
sagt Lorenz Haase: "Wenn man in Palermo mafiöse Strukturen durchleuchten | |
will, dann muss man in die Breite ermitteln." | |
Und das ist vielleicht der Kern dieses Missverständnisses: Glauben die | |
sächsischen Behörden tatsächlich, sie hätten es mit der Mafia zu tun? | |
"Wir gehen davon aus, dass es eine Gruppierung gibt, die gemeinschaftlich | |
organisiert ist. Und es geht darum zu ermitteln, wie diese kriminelle | |
Vereinigung organisiert ist, wie und wodurch sie gelenkt wird." Dass die | |
Behörden Gründe haben zu ermitteln, das ist nachvollziehbar: Am 24. Mai | |
2009 kam es auf der Brühlschen Terrasse in Dresden zu einem Angriff auf | |
Angehörige der rechten Szene. Am 18. Oktober 2009 wurden drei bekannte | |
Rechtsextreme in der Dresdner Ringstraße von mutmaßlich Vermummten | |
attackiert. Am 26. Mai 2010 dann eine gefährliche Körperverletzung, Opfer | |
ist wieder ein Rechter. Und am 17. Juni wird mit Eisenstangen und | |
Pflastersteinen, so zumindest schildert es die Staatsanwaltschaft, ein | |
rechter Szeneladen am Ferdinandplatz angegriffen. | |
## Das Gegenteil von Linksmilitanz | |
Landfriedensbruch, Körperverletzung, alles harte Nummern. Und es gibt noch | |
einige weitere Fälle von ähnlichem Kaliber, wegen denen das LKA ermittelt. | |
Doch die Frage bleibt: Nur weil sich in einigen Fällen linker Gewalt keine | |
Ermittlungserfolge einstellen – rechtfertigt das eine Massenausspähung von | |
Zehntausenden? Und rechtfertigt es, anzunehmen, dass sämtliche Übergriffe | |
auf rechte Personen in Dresden von einer großen, kriminellen Vereinigung | |
organisiert sein sollen? | |
Wer sich mit der linksmilitanten Szene beschäftigt, weiß: Sie ist, | |
bisweilen, klandestin strukturiert. Aber sie ist vor allem eins: dezentral. | |
Führungskader sind ein Fremdwort, und Organisationen sind so etwas wie das | |
natürliche Gegenteil von Linksmilitanz. Die Dresdner Behörden meinen | |
dennoch, eine große Organisation aufspüren zu können, eine überlagernde | |
Struktur, einen, der sagt, wo es langgeht. Und das müssen sie auch, denn | |
genau dies ist die Voraussetzung für ein Ermittlungsverfahren, dass tiefste | |
Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen gewährleistet. | |
Niemand kann sagen, was mit den Personendaten passiert, die das sächsische | |
LKA sammelt, in welchen Datenbanken sie landen. Denn wer fragt, bekommt | |
eine einfache Antwort: "Es handelt sich um ein laufendes | |
Ermittlungsverfahren. Dazu werden keine Angaben gemacht." | |
Bislang ist kein Ende in Sicht. Zwar heißt es bei der Dresdner | |
Staatsanwaltschaft, im Moment würden keine weiteren Bestandsdaten erhoben. | |
Doch das muss zunächst noch nichts heißen. Demnächst vielleicht wieder. | |
Oder doch zuerst mal die bisherigen auswerten. | |
Die eine Million Telefondaten, die 40.000 Personendaten, sie sind bei | |
weitem nicht die einzigen sächsischen Ermittlungsmaßnahmen, die Maßstäbe | |
setzen: Derzeit hat das Dresdner Amtsgericht zu befinden, ob eine | |
Durchsuchung am 19. Februar, am Abend der Demonstrationen, rechtswidrig | |
war. Wieder war es an diesem Abend das sächsische LKA, diesmal ein | |
Sondereinsatzkommando (SEK), das den Auftrag hatte, einen Jugendclub zu | |
stürmen. Der Club, genannt "Roter Baum", liegt zufällig im gleichen Haus | |
mit der Parteizentrale der Dresdner Linkspartei. Auch ein Anwalt hat dort | |
sein Büro. | |
Das SEK stürmte gleich alle Räume, sägte mit einer Säge die Türen zu den | |
Partei- und Anwaltsräumen auf - obwohl völlig klar war, dass es sich dabei | |
nicht um den Jugendclub handelte. Das Dresdner Landgericht beschäftigte | |
sich inhaltlich bereits mit der Beschwerde, verwies den Fall dann aber aus | |
formellen Gründen ans Amtsgericht zurück. Doch das inhaltliche Resumee des | |
Landgerichts lautet übersetzt etwa: Die Vermutung liegt fern, dass die | |
Erstürmung der Anwalts- und Parteiräume nicht rechtswidrig gewesen sein | |
könnte. | |
Die sächsische Landesregierung hält das gesamte Verfahren für problemlos. | |
Zwar hat FDP-Justizminister Jürgen Martens eine Bundesratsinitiative auf | |
den Weg gebracht, die die Gesetzeslage präzisieren soll. Aber danach wird | |
beispielsweise auch weiterhin möglich sein, dass die Polizei sich ohne | |
irgendeine weitere richterliche Erlaubnis auch die Personendaten von all | |
denjenigen besorgt, die sie bislang noch nicht angefordert hat. | |
Denn die derzeitige Rechtslage gibt beispielsweise her, dass das sächsische | |
LKA sich auch von den weiteren 290.000 Personen, deren Telefonnummern sie | |
ebenfalls im Februar schon gesammelt hat, die Namen, Adressen, | |
Telefonnummern liefern lassen dürfte – ohne dass irgendein Richter dem noch | |
einmal zustimmen müsste. Das heißt übersetzt: Eine Datenmenge, die den | |
persönlichen Daten der Einwohnerzahl Islands entspricht, steht dem | |
sächsischen LKA völlig offen. Diese Daten dürften nach Belieben angefordert | |
werden, ob sie vom Bofrost-Mann sind oder von Mama Müller in Babelhausen. | |
Das ist, sagen sie, legal. | |
## Es geht weiter | |
Natürlich: Die Opposition gibt sich fassungslos. Und die Betroffenen | |
schreien. Nachdem nun also wieder Neues bekannt geworden ist, fordert das | |
"Bündnis Dresden Nazifrei" einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. | |
Die zuständigen Minister hätten ihre Behörden nicht mehr unter Kontrolle, | |
sagt Franziska Radtke. | |
Sie spricht für das Bündnis aus Gewerkschaftsgruppen, Parteivertretern und | |
antifaschistischen Initiativen, das seit Jahren schon immer im Februar zu | |
den Protesten gegen die Rechtsextremen ruft. "Es liegt offenbar nicht im | |
Interesse der Verantwortlichen, diesen Skandal umfassend aufzuklären. | |
Deshalb ist der Einsatz einer unabhängigen Untersuchungskommission zwingend | |
notwendig", sagt Radtke. | |
Doch auch die Oppositionfraktionen im Landtag - bestehend aus | |
Linksfraktion, SPD und Grünen -, die einen parlamentarischen | |
Untersuchungsausschuss einberufen könnten, sträuben sich noch. Die | |
Parlamentarier fürchten, dass sie sich ohnehin nur wieder einen Satz | |
anhören müssten, den sie mitterweile schon bestens kennen: "Keine Auskunft, | |
laufende Ermittlungen." | |
Und so ermitteln die Beamten vom sächsischen LKA, und sie ermitteln weiter. | |
Bis sie sie irgendwann gefunden haben, die ganze große Vereinigung, die | |
linksextreme Mammut-Organisation, die 40.732 potenziellen Tatverdächtigen. | |
Bis sie irgendwann, eines Tages vielleicht, erfolgreich waren im Kampf | |
gegen die Mafia. | |
26 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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