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# taz.de -- Syriens Präsident Al-Assad im Porträt: Der schüchterne Diktator
> Internet und Satellitenfernsehen: Zu Beginn seiner Amtszeit öffnete
> al-Assad sein Land. Politische Veränderungen gab es hingegen kaum. Er ist
> ein Modernisierer, kein Reformer.
Bild: Bashar Al Assad: Syriens Machthaber und schüchterner Autokrat.
BERLIN taz | Bashar al-Assad ist kein Typ für die erste Reihe, kein Mann
der vordersten Front. Im Vergleich zu ehemaligen Amtskollegen wirkt sein
Auftreten zurückhaltend, fast schüchtern und unsicher. Die selbstgefällige
Geste eines Hosny Mubarak ist ihm ebenso fremd wie die inszenierte
Selbstverherrlichung eines Muammar Gaddafi oder das diktatorische Gepolter
eines Saddam Hussein.
Nein, Bashar ist nicht als Machtmensch geboren, er musste in die Rolle des
Staatspräsidenten erst hineinwachsen. Dabei erwiesen sich die Fußstapfen,
die sein Vater Hafiz al-Assad ihm hinterließ, als zu groß, Bashar erfüllt
die Rolle des Autokraten mehr schlecht als recht. Für das syrische Volk
brachte diese präsidiale Fehlbesetzung zunächst Hoffnung, dann
Enttäuschung, jetzt bringt sie vor allem Leid.
Als Bashar al-Assad, der Augenarzt, der in Damaskus studiert und einen Teil
seiner beruflichen Ausbildung in London absolviert hat, im Sommer 2000 die
Macht in Syrien übernimmt, ist er gerade mal 34 Jahre alt. Nach dem Tod
seines als Nachfolger vorgesehenen älteren Bruders Basil absolviert Bashar
ab 1994 eine Militärkarriere im Schnelldurchlauf und wird von seinem Vater
auf das Präsidentenamt vorbereitet. Sein eigentliches Interesse aber gilt
Computer und Internet. 1989 zählt er zu den Mitbegründern der Syrian
Computer Society, die sich für die Verbreitung von Informationstechnik
einsetzt und sich später zur Kaderschmiede für ambitionierte
Nachwuchspolitiker entwickelt.
Der Anfang ist schwer. Im Jahr 2000 wirkt Syrien wie ein Relikt aus dem
Kalten Krieg: nach außen abgeschottet, in arabisch-nationalistischen
Parolen gefangen, von sozialistisch-planwirtschaftlichen Strukturen
gelähmt. Das Land droht den Anschluss an die Moderne zu verpassen, deshalb
setzt Bashar auf technologischen Fortschritt, wirtschaftliche Öffnung,
Erneuerung der Infrastruktur.
## Geld auf Banken statt unter die Matratze
Er macht das World Wide Web für die breite Bevölkerung zugänglich,
Internetcafés boomen, Satellitenfernsehen wird offiziell erlaubt, neue
Zeitungen entstehen. Tiefgreifende politische Veränderungen stehen dagegen
nicht auf Assads Agenda - er versteht sich als Modernisierer, nicht als
Reformer. Die Syrer sollen lernen, ihr Geld auf Banken statt unter der
Matratze zu lagern, eine Wartenummer zu ziehen statt sich vor dem Schalter
zu drängeln, sicher Rolltreppe zu fahren und Geldautomaten zu bedienen. Die
Vorherrschaft der Baathpartei in Frage zu stellen oder die Macht der Assads
anzuzweifeln, bleiben jedoch Tabus.
So gesehen beruht der "Damaszener Frühling", eine Phase der öffentlichen
Debatten und des politischen Erwachens im Jahr 2001, auf einem
Missverständnis. Bashar al-Assad ermutigt die Syrer zwar in seiner
Antrittsrede, sich aktiv an einer Neugestaltung Syriens zu beteiligen,
vergisst dabei aber, die roten Linien zu umreißen. Als sich die
Intellektuellen des Landes dann in geräumigen Privatwohnungen treffen, um
über die Zukunft zu diskutieren, müssen sie selbst die Grenzen der neuen
Redefreiheit austesten.
Während manchmal mehr als 100 Leute leidenschaftlich über Korruption,
Demokratie und Pluralismus streiten, sitzen die Jungs vom mukhabarat, dem
syrischen Geheimdienst, in ihren schwarzen Lederjacken dabei und schreiben
Berichte. Doch irgendwann lässt sich niemand mehr von ihnen stören - das
ist der Moment, in dem es für die Machthaber gefährlich wird. Bevor der
Damaszener Frühling richtig aufblühen kann, wird er im Keim erstickt. Die
führenden Köpfe jener Zeit landen im Gefängnis, die Debattierclubs werden
verboten, die Geheimdienste bringen das öffentliche Leben wieder unter ihre
Kontrolle. Bashar al-Assad entscheidet sich zum ersten Mal gegen einen
politischen Neubeginn und für den persönlichen Machterhalt.
## Guter Bulle, böser Bulle
Rückblickend werden im Winter 2001/2002 die Weichen für den Umgang mit der
aktuellen Krise gelegt. Denn schon damals überlässt es Bashar dem
Sicherheitsapparat, mit der Bedrohung fertig zu werden. Die Arbeitsteilung
innerhalb der familiären Führungsriege - der Präsident als freundliches
Gesicht nach außen, sein Bruder Maher und sein Schwager Asef Schaukat als
Verantwortliche für Stabilität im Inneren und Cousin Rami Makhlouf als
Garant für die finanzielle Absicherung des Clans - erweist sich über Jahre
als effizient. Bashar spricht von Reformen, Bruder und Schwager sperren
Regimegegner weg, Cousin Rami kontrolliert die Wirtschaftselite - die
Rollen sind perfekt verteilt.
Das Argument, Assad habe anfangs unter dem Einfluss langjähriger mächtiger
Weggefährten seines Vaters, der so genannten "alten Garde" gestanden, und
nicht anders handeln können, stimmt nur zum Teil. Denn auch nachdem er
diese im Laufe der ersten Jahre abgeschüttelt und durch gleichgesinnte
loyale Technokraten ersetzt hat, bleibt die ersehnte politische Öffnung des
Landes aus. Kann oder will Bashar al-Assad nicht, wird unter Syrien-Kennern
zur meist diskutierten Frage.
Inzwischen fällt die Antwort leichter: Hätte Bashar wirklich gewollt, hätte
er theoretisch gekonnt. Praktisch steht ihm sein Charakter im Weg. Denn für
echte Veränderungen müsste er den Einfluss des Militärs und der
Geheimdienste beschneiden, die jedoch in dem von seinem Vater angelegten
System die Stützen seiner eigenen Macht und zugleich seine einzige
Legitimation sind. Er hätte sich beizeiten vom Volk legitimieren lassen
müssen, um dann seine Familie und sonstige Profiteure des Systems
konfrontieren zu können. Ein Weg, den Bashar womöglich politisch nicht
überlebt hätte, und der deshalb auch noch die Bereitschaft zum persönlichen
Machtverlust erforderlich machte. Kurzum: Für einen geordneten, unblutigen
Übergang zur Demokratie in Syrien hätte es den Mut, die Weitsicht und die
persönliche Größe eines Gorbatschow gebraucht - Eigenschaften, über die
Bashar al-Assad nicht verfügt.
Verschiedene Chancen, das Blatt zu wenden, verstreichen deshalb ungenutzt.
Fünfmal bietet sich Bashar die Möglichkeit zum Kurswechsel. Das erste Mal
im Rahmen des erwähnten Damaszener Frühlings, wobei die Aussicht auf eine
politische Neuordnung im Jahr 2001 wegen Bashars Unerfahrenheit und seiner
geringen Machtbasis denkbar schlecht ist. Hätte er die politischen
Diskussionen in der Gesellschaft damals weiterlaufen lassen, wäre der
Sicherheitsapparat wahrscheinlich von alleine eingeschritten und hätte
Bashar kurzerhand durch eine "zuverlässigere" Figur ersetzt.
## Reformprojekte verlaufen im Sand
Vier Jahre später sieht die Lage anders aus. Bashar al-Assad hat die
Spitzen in Militär und Geheimdienst mit eigenen Leuten besetzt und bringt
nun, im Juni 2005, auch die Führung der Baathpartei hinter sich. Ihr erster
Kongress unter Bashar endet mit der vagen Aussicht auf politische Öffnung,
dem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und einer Kampfansage an die
Korruption. Die Macht der Geheimdienste wird erstmals eingeschränkt, Syrer
brauchen zur Eröffnung von Restaurants, Reisebüros oder Läden keine
Genehmigung des Sicherheitsapparates mehr. Aus einem angekündigten neuen
Parteiengesetz und der Einbürgerung staatenloser Kurden wird jedoch nichts,
Reformprojekte verlaufen im Sand und schnell wird klar, dass die
Mini-Veränderungen nur dem Machterhalt und dem politischen Überleben der
Baathpartei dienen. Die zweite Chance ist verpasst.
2007 dann stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an und Syrien
verfällt in einen nationalen Taumel. Bashar-Bilder verdecken ganze
Gebäudefassaden, "Wir lieben dich"- Plakate zieren Bushaltestellen,
Lobeshymnen auf Assad dröhnen aus dem Radio. Die Syrer feiern ihren
Präsidenten so als wollten sie dem Ausland etwas beweisen.
Die Entwicklungen in der Region - amerikanische Truppen und Bürgerkrieg im
Irak, der Rückzug der syrischen Armee aus dem Libanon 2005, die
Anschuldigungen gegen Syrien im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Libanons
Ex-Premier Hariri und die israelischen Angriffe auf den Libanon im Sommer
2006 - schweißen die Syrer zusammen. Erst recht angesichts der Drohgebärden
aus Washington und der Isolationspolitik der Europäer.
## Vorkämpfer arabischer Interessen
Nie zuvor und nie wieder danach stehen die Syrer so geeint hinter ihrem
Präsidenten. Bashar ist über die Grenzen Syriens hinaus zu einem Vorkämpfer
arabischer Interessen aufgestiegen, der Israel und dem Westen als einer von
wenigen noch Paroli bietet. Er hat die Herzen der arabischen Massen
gewonnen. Der perfekte Moment, um sich in freien Wahlen demokratisch
legitimieren zu lassen. Doch wieder fehlt Bashar der Mut. Seine zweite
Amtszeit beginnt im Juli 2007 wie die erste, mit einem Referendum ohne
Gegenkandidaten. Dritte Chance verpasst.
Ein Jahr später ist Bashar al-Assad zurück auf dem westlichen Parkett.
Frankreichs Präsident Sarkozy holt ihn im Juli 2008 zur Konferenz der
Mittelmeerunion nach Paris, damit wird Assad für die EU von der persona non
grata zum gefragten Gesprächspartner. Europäische Regierungschefs und
Außenminister geben sich in Damaskus die Klinke in die Hand in der
Überzeugung, Syrien in die Lösung der Konflikte im Nahen Osten mit
einbeziehen zu müssen. Das Argument, Druck von außen verhindere Reformen im
Innern, ist damit hinfällig geworden. International gefestigt könnte Bashar
Al Assad zuhause nun endlich mehr Demokratie wagen, doch auch diese vierte
Chance nimmt er nicht wahr.
Über seine fünfte und letzte Chance ist viel geschrieben worden. Bashar
hätte den aktuellen Protesten von Anfang an mit durchgreifenden Reformen
den Wind aus den Segeln nehmen können. Er hätte sich an die Spitze eines
demokratischen Wandels stellen und frühzeitig das Gespräch mit den
Demonstranten suchen können statt auf sie schießen zu lassen. Doch wie
schon beim ersten Damaszener Frühling entscheidet er sich auch bei diesem
zweiten gesamtsyrischen Frühling für die brutale Niederschlagung der
Demokratiebewegung. Damit hat Assad im Laufe von elf Jahren fünf Chancen
verspielt. Mindestens eine zu viel, um jetzt glaubhaft für Dialog werben zu
können.
8 Jul 2011
## AUTOREN
Kristin Helberg
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