# taz.de -- Kommentar zur Lage in Syrien: Auf der falschen Achse | |
> Die Chancen des Westens, Einfluss auf Syrien zu nehmen, sind nicht sehr | |
> groß. Die weltpolitische Konstellation macht die Situation nicht gerade | |
> einfacher. | |
Gestützt auf eigene Recherchen, wirft Amnesty International dem Regime von | |
Syriens Machthaber Bashir Assad jetzt "Verbrechen gegen die Menschheit" | |
vor. Es ist kaum zu erwarten, dass dieser Vorwurf das Regime zu einem | |
Kurswechsel veranlassen wird. Auch eine Anklage vor dem Internationalen | |
Strafgerichtshof in Den Haag, das für solche Verbrechen zuständig ist, | |
dürfte Assad ebensowenig beeindrucken wie zuvor den libyschen Diktator | |
Gaddafi. | |
Und selbst eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates, die das Assad-Regime | |
für sein brutales Vorgehen verurteilt, wie sie Bundesaußenminister | |
Westerwelle noch in diesem Monat unter dem deutschen Ratsvorsitz anstrebt, | |
hätte kaum Auswirkungen auf das weitere Geschehen in Syrien. | |
Wie aber lässt sich die drohende Eskalation der Gewalt in Syrien überhaupt | |
noch verhindern? Eine Chance gibt es nur, wenn die "unabhängigen | |
Regimegegner", die sich erstmals Ende Juni mit Duldung des Regimes in einem | |
Hotel in Damaskus trafen, die Möglichkeit erhalten, unter den von ihnen | |
geforderten Vorbedingungen in einen "nationalen Dialog" über politische | |
Reformen in Syrien zu treten. | |
Zu diesen Bedingungen gehört, dass Assad seine "Sicherheitskräfte" | |
zurückzieht, alle politischen Gefangenen frei lässt und eine Amnestie | |
erwirkt. Wann Assad zurücktreten muß, ob er vor ein Gericht gestellt wird | |
oder ins Exil gehen kann - all diese Fragen zu klären sollten den Syrern | |
selbst überlassen bleiben. Forderungen westlicher Regierungen an die | |
Diktatoren in Tripolis und Damaskus, doch bitte zurück zu treten, waren und | |
sind eher kontraproduktiv. | |
## Hinter der Einmischung des Westens stecken Eigeninteressen | |
Die westlichen Regierungen sind überdies wenig glaubwürdig, wenn sie in | |
Libyen und Syrien auf mehr Demokratie pochen. Denn die gleichen Regierungen | |
in London, Paris, Washington und Berlin setzen weiterhin auf die nicht | |
minder despotischen Regimes in Riad, Bahrein und anderen Staaten der Region | |
- und rüsten diese Regimes, wie etwa Deutschland mit seinen geplanten | |
Panzerlieferungen an Saudi-Arabien, sogar weiter auf. | |
Hinter dieser zynischen als "Stabilitätspolitik" bezeichneten Strategie des | |
Westens im Nahen und Mittleren Osten stecken in erster Linie die | |
unmittelbaren Eigeninteressen in den ölreichen Ländern der Region. Nicht | |
erst seit die Bush-Regierung Anfang 2001 ihr Amt antrat, sondern bereits | |
seit Ende der Neunzigerjahre wird diese Politik nicht nur in Washington | |
zunehmend mit der Gefahr gerechtfertigt, die von einer "schiitischen Achse | |
der Bösen" - bestehend aus der Vormacht Iran sowie Syrien, der Hamas und | |
der Hisbollah ausgehe. Dagegen gelte es, aus den "gemäßigten" sunitischen | |
arabischen Staaten Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und den Golfemiraten | |
sowie Israel und den USA eine "Achse der Guten" zu formieren. | |
In Reaktion auf diese Politik setzte Rußland wieder zunehmend auf Syrien, | |
das schon zu Zeiten des Kalten Krieges sein engster Verbündeter in der | |
Region gewesen war. Moskaus Hinwendung zu Syrien verstärkte sich nach | |
Israels jüngsten Kriegen im Libanon und im Gazastreifen sowie nach Israels | |
anfänglichen israelischen Unterstützung für Tiflis im georgisch-russischen | |
Konflikt 2006. Derzeit plant Rußland, seine Marinestreitkräfte an der | |
syrischen Mittelmeerküste zu stationieren. Das - sowie die nicht nur aus | |
russischer Sicht missbräuchliche Umsetzung der Resolution des | |
UN-Sicherheitsrats zu Libyen - erklärt, warum Moskau gegen einen Beschluss | |
des Rates zu Syrien so entschieden Widerstand leistet. | |
Diese weltpolitische Konstellation, die seit Ende der 90er Jahre besteht, | |
bot denkbar schlechte Rahmenbedingungen für jene Politik vorsichtiger | |
innenpolitischer Öffnung und Reformen, die Bashar Assad nach seinem | |
Amtsantritt im Jahr 2000 einleitete. Und je länger der Westen und Rußland | |
Syrien in erster Linie als ein Mitglied einer von Teheran geführten "Achse" | |
- und daher als Feind beziehungsweise als Verbündeten in der Region - | |
wahrnehmen und behandeln, desto geringere Chancen haben die Bestrebungen | |
der Menschen in Syrien nach Freiheit, Demokratie und auf Verwirklichung | |
ihrer Menschenrechte. | |
Umso größer wird auch die Gefahr eines Bürgerkrieges, der nicht nur zu | |
einem Zerfall Syriens führen, sondern möglicherweise auch auf den | |
benachbarten Libanon übergreifen und den sunitisch-schiitischen Konflikt in | |
der gesamten Region anheizen könnte. | |
7 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Zumach | |
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