| # taz.de -- Wolfram Weimer und Gott: Wenn der fromme Wunsch zum „Fakt“ wird | |
| > Kulturstaatsminister Weimer hat ein gottesfürchtiges Buch geschrieben. | |
| > Darin offenbart er sowohl Missionswillen als auch eine besondere | |
| > Schlichtheit. | |
| Bild: Weimers Sehnsucht nach dem Vater, der von dannen ging, ist so groß, dass… | |
| Weihnachtsmärkte sind spirituelle Orte. Oder sollen es sein. „Sie schaffen | |
| Bewusstsein für eine heilige Zeit. Sie schaffen Türen in eine andere Welt | |
| und weiten den Horizont unseres Seins.“ So befand es [1][Wolfram Weimer, | |
| der oberste Kulturträger Deutschlands]. Also begab ich mich auf die Suche. | |
| Doch alles, was ich auf dem Markt auf dem Berliner Alexanderplatz vorfand, | |
| waren Würste, Schmalzgebackenes, Glühwein – eingeklemmt dazwischen zwei | |
| frierende Frauen, die Herrnhuter Sterne anboten. Aber keine Tür, kein | |
| Türchen, keine andere Welt. Da war nur ein großer Mann mit dunkler Haut | |
| unter dem Turban, neben dem Abgang in die U-Bahn-Welt, der „Quizas, quizas, | |
| quisaz“ sang. Sanft wie Nat King Cole. Ihm gegenüber stand ein kleinerer | |
| Mann mit einem Bauchladen voller Devotionalien des untergegangenen | |
| Kommunismus. Der lauschte, als ich kam, und lauschte noch, als ich ging. | |
| Und beide lächelten, obwohl ein kalter Wind über den Platz fegte. | |
| Ich suchte weiter. Im letzten Buch von Wolfram Weimer, „Sehnsucht nach | |
| Gott“ – erschienen im Bonifatius Verlag in Paderborn, tief in der | |
| katholischen Diaspora –, heißt es, Gott kehre gerade wieder zurück „wie e… | |
| lange verschollener Vater“. Der Glaube an ihn werde Deutschland und Europa | |
| wieder in Ordnung bringen. Gegen die äußeren Feinde, vorzüglich den | |
| aggressiven Islam, und gegen die inneren Feinde. Was die angeht, macht | |
| [2][Weimer kein großes Federlesen]: Hegel, Bentham, Kant, Habermas, | |
| Derrida, Nietzsche, Feyerabend und die 68er. Sie werden in großen Töpfen | |
| mit den Etiketten Relativisten, Kulturmasochisten oder | |
| Religionszerschmetterer verrührt. Sie alle haben Europas „kulturelle | |
| Selbstschwächung“ befördert. Und damit die Staatlichkeit unterminiert und | |
| die Familie, die Keimzelle der Gesellschaft, die Ehrfurcht vor Größe, die | |
| Verwurzelung in unserer „Herkunft“, die tief in die Zeit vor 1933 reiche, | |
| und die „natürliche Aufeinander-Bezogenheit von Mann und Frau“. Ohne | |
| Christentum kein Staat, keine Grundrechte, keine Kinder – der rote Faden | |
| führt vom Verlust des Glaubens geradezu in die Zeugungsverweigerung. Der | |
| Unglaube lässt die Bürokratie wachsen, denn wo kein Gott die Tugend | |
| kontrolliert, braucht es kleinliche Kontrolle. Und wo die fromme | |
| Selbstverpflichtung schrumpft, „raubt uns (der Steuerstaat) unser Geld“. | |
| Anschlussfähig zur Mitte ist das nicht gerade. | |
| Weimers Sehnsucht nach dem Vater, der von dannen ging, ist so groß, dass | |
| sie sogar Fakten überwältigen kann. Dass Menschen wieder dem Glauben | |
| zuströmen, die Kirchen füllen, dass die Zahl der kirchlichen Trauungen | |
| zunimmt – hier wird der fromme Wunsch zum Fakt. Und auch die Logik weicht | |
| gelegentlich dem Missionswillen. So lautet der [3][Weimersche | |
| Gottesbeweis,] ein Gläubiger sei ein „glaubwürdigerer Zeuge“ der Gegenwart | |
| Gottes als ein Atheist. „Denn Ersterer bezeugt etwas Manifestes. Letzterer | |
| behauptet etwas über jemanden, dessen Existenz er abstreitet. Das Sehen des | |
| Zeugen wiegt doch eigentlich schwerer als das Nicht-Sehen der | |
| Gegen-Zeugen.“ | |
| Das letzte Mal habe ich so was von zwei jungen Herren in schwarzen Anzügen | |
| gehört, die alle Jahre wieder an meiner Haustür klingeln. Und auch, dass | |
| die Evolutionstheorie letztlich ein Glaube sei. Und wo eine Grenze der | |
| Erkenntnis sei, da müsse es doch „etwas“ hinter der Grenze geben. Auch | |
| diese jungen Herren aus Amerika hatten dieses erleuchtete Lächeln, diese | |
| Unberührbarkeit durch Fragen, Ablehnung, Beleidigungen, Kritik. | |
| Die FAZ nennt Weimer einen „Windbeutel“, die Süddeutsche Zeitung sein | |
| Medienimperiumchen ein „potemkinsches Dorf“, Söder gar findet es | |
| unappetitlich, Blaulicht und Gelderwerb zu verquicken. Und so möchte man | |
| einen Klingelbeutel verwetten, wenn man wüsste, warum Merz ihn ausgesucht | |
| hat. Mit unterkomplexer Schlichtheit und sauerländischem Katholizismus kann | |
| man es nicht allein erklären. Tiefer Glaube oder flaches Kalkül? Was auch | |
| immer, in jedem Fall bedient der neue Drang zum alten Jenseits die | |
| Ratlosigkeit einer kleinbürgerlichen Schicht, die im kalten Wind des | |
| „Fortschritts“ steht, sich fragt, warum das alles so ist, und etwas oder | |
| jemanden herbeisehnt, der einen Schutzwall baut – gegen den Tsunami der | |
| Veränderungen, der ihre Mittelstandswelten, Familienverbände, Einkaufszonen | |
| bedroht. Nichts Neues unter dem Himmel. Wenn der Glaube an diesseitige | |
| Gerechtigkeit und kleines Glück porös wird, war das Versprechen einer | |
| „anderen Welt“ im Jenseits, mit ein bisschen Lichterglanz, schon immer die | |
| Strategie der besitzenden Eliten. | |
| Aber auch wenn wir den Himmel den Engeln und den Spatzen überlassen haben – | |
| natürlich ist auf Erden eine andere Welt möglich. Sogar mit Gott. In meiner | |
| Kirche der Wahl singt der Chor in diesem Jahr nicht nur das | |
| Weihnachtsoratorium, sondern auch das Magnifikat, Marias Gebet, als sie | |
| erfährt, dass sie schwanger ist. Das ist nicht nur eine Freude über ein | |
| neues Lebewesen, also die Möglichkeit von etwas Neuem, sondern auch ein | |
| Mission Statement: „Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die | |
| hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und | |
| erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die | |
| Reichen leer ausgehen.“ Das Magnifikat ist, so predigte es einst Dietrich | |
| Bonhoeffer, „das leidenschaftlichste, wildeste … revolutionärste | |
| Adventslied“. Die christliche Marseillaise hat man es genannt, gelegentlich | |
| gar ein „bolschewistisches Machwerk“. Gott „mischt immer wieder unsere | |
| Karten neu“, so deutete Papst Franziskus das Magnifikat, „auch dort, wo die | |
| Marktwirtschaft, das Finanzwesen und die Geschäfte der Mächtigen den Gang | |
| der Dinge bestimmen“. | |
| Gott kommt wieder? „Gott ist der leere Raum, den wir mit unseren Taten | |
| füllen“ schreibt die Philosophin Iris Murdoch. Und so gesehen wäre die | |
| Rückkehr Gottes kein Sedativum und keine reine Freude, sondern für uns | |
| normal Sterbliche eine starke Überforderung. Der Blick von Maria und dem | |
| Jesuskind in die Welt auf dem Dresdner Gemälde der Sixtinischen Madonna | |
| zeigt das: Beklommenheit angesichts der Trümmerhaufen. Und also: Es gibt | |
| viel zu tun. Quizas, quizas, quizas. | |
| 10 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mathias Greffrath | |
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