| # taz.de -- Rechte Schwedendemokraten: Nichts bleibt von der Brandmauer | |
| > In Schweden kommt Premier Kristersson zum Parteitag der | |
| > Schwedendemokraten und signalisiert Einigkeit. Deren Pläne werden als | |
| > rassistisch kritisiert. | |
| Bild: SD-Vorsitzender Jimmie Åkesson bei einer Rede 2022 | |
| Ein Ministerpräsident zu Gast beim Parteitag der Schwedendemokraten (SD): | |
| Das war neu. Aber da stand Ulf Kristersson Ende November auf einer Bühne in | |
| Örebro, zwischen rotem Mini-Schwedenhaus, blauen Leberblümchen und einem | |
| stilisierten Atomkraftwerk als Rednerpult. [1][Doppelte Premiere] – vor ihm | |
| war auch kein Chef der liberalkonservativen Moderaten zu der rechten Partei | |
| gepilgert. | |
| Es war ein neues Niveau der Verbundenheitsdemonstration, mit herzlichem | |
| Dank für die gute Zusammenarbeit. „Wir haben gerade erst angefangen“, | |
| versprach Kristersson den „Schwedenfreunden“, wie die SD sich selbst | |
| nennen. SD-Chef Jimmie Åkesson bedankte sich seinerseits und nannte die | |
| beiden Parteien den Kern der nächsten Regierung. | |
| Schweden wählt erst im September 2026 wieder, aber der Wahlkampf hat | |
| offenbar schon begonnen. Seit drei Jahren sitzen die SD praktisch mit in | |
| der Regierung – in einem Konstrukt, das die einst geltende Brandbauer | |
| äußerlich noch ein bisschen aufrechterhalten sollte: Sie haben keine | |
| Ministerposten. Aber ohne sie geht in der Minderheitsregierung aus | |
| Moderaten, Christdemokraten und Liberalen nichts. | |
| Die SD waren an dem beteiligt, was normalerweise ein Koalitionsvertrag | |
| wäre: Die sogenannte Tidö-Absprache von 2022 enthält bereits viel | |
| SD-Politik, vor allem in den Bereichen Migration und Kriminalität. | |
| ## SD will Ministerposten | |
| Jetzt aber will die Partei sich damit nicht mehr zufriedengeben: „Die | |
| Tidö-Absprache ist nur eine vorübergehende Lösung, das habe ich immer schon | |
| gesagt“, betonte Åkesson auf dem Parteitag. Die Unterstützung der SD | |
| bekommt Kristersson nach der kommenden Wahl nur im Gegenzug für eine | |
| formelle Regierungsbeteiligung, und zwar bitte mit Justiz- und | |
| Migrationsministerium. | |
| Umfragen zufolge liegt das linke Parteienspektrum derzeit vorn, mit den | |
| Sozialdemokraten als stärkste Partei bei gut 36 Prozent. Die SD sind | |
| zweitstärkste Kraft mit gut 20 Prozent. Kristerssons Moderate mit gerade | |
| mal 18 Prozent wären ohne sie machtlos – die Christdemokraten liegen bei | |
| gut 5 Prozent und die Liberalen müssen gar um den Wiedereinzug bangen. Dann | |
| könnte sich auch der Liberalen-Beschluss, weiterhin keine SD-Minister | |
| zulassen zu wollen, als unbedeutend erweisen. Dass sie im Ernstfall dabei | |
| bleiben würden, gilt sowieso als zweifelhaft. | |
| Die mäßigen Umfragen kümmern Åkesson jedoch wenig: „Das können wir noch | |
| wenden“, sagte er in Örebro. | |
| Sonst fielen vor allem drei Worte: sicher, frei und schwedisch, das | |
| Wahlmotto der Partei. Ein schwedisches Schweden wollen sie. Der Parteichef | |
| beschrieb es als den Ort, „wo wir als Schweden unsere ganz gewöhnlichen | |
| schwedischen Leben leben, hier, an dem einzigen Ort der Welt, wo es unser | |
| exklusives Recht ist, genau das zu tun“. | |
| ## Ausweisung wegen „mangelhaftem Lebenswandel“ | |
| Was es heißt, schwedisch zu sein, das zu wissen, beansprucht die Partei für | |
| sich. Wer die Tür nach Schweden wählt, müsse auch Gesetze und Regeln | |
| befolgen, die nicht im Gesetzbuch stünden, Sprache, Geschichte und soziale | |
| Codes lernen. Wer sich nicht anpasse, müsse gehen. Ein Beschluss des | |
| Parteitags war, ein Kopftuchverbot auch an Gymnasien, nicht nur an Grund- | |
| und Mittelschulen zu fordern. | |
| Ihr Echo in der Politik findet die Anpassungsforderung in einem | |
| Gesetzesvorschlag, der ab Juli kommenden Jahres gelten soll: | |
| Aufenthaltsgenehmigung sollen wegen „mangelhaftem Lebenswandel“ verweigert | |
| oder entzogen werden können. Als Beispiele dafür: Schulden, Nichtbefolgen | |
| behördlicher Anordnungen, kleinere Straftaten. Das Gesetz wird als vage und | |
| voller rassistischer Untertöne kritisiert. | |
| Eine derzeit große Herausforderung Schwedens ist die gewalttätige | |
| Bandenkriminalität. Die jetzige Regierung koppelte das Problem direkt an | |
| Migration und gab sich wenig Mühe, zwischen Kriminellen mit | |
| Migrationshintergrund und der migrantischen Bevölkerung insgesamt zu | |
| unterscheiden. Ihr Lösungsansatz ist Härte auf allen Ebenen – etwa im | |
| Strafrecht, das bald [2][Gefängnisstrafen schon für 13-Jährige] ermöglicht. | |
| Möglichst gar keine Asylbewerber mehr aufzunehmen, ist ein weiteres Ziel. | |
| Wer in Schweden auf Antwort auf sein Asylgesuch wartet, soll nicht mehr in | |
| eigenen Wohnungen leben dürfen, sondern muss in eine Sammelunterkunft | |
| ziehen. Doppelstaatsbürgern will man unter bestimmten Bedingungen den | |
| schwedischen Pass wieder entziehen können. Auch unbefristet erteilte | |
| Aufenthaltsgenehmigungen sollen zurückgenommen werden können, wenn der | |
| ursprüngliche Grund entfallen ist. | |
| ## 30.000 Euro für „freiwillige Rückwanderung“ | |
| Fast täglich berichten Medien von arbeitenden, integrierten Menschen, die | |
| wegen des bereits gestoppten „Spurwechsel“-Gesetzes ausgewiesen werden | |
| sollen. | |
| Zuletzt sorgte die von den SD gepushte Kampagne für „freiwillige | |
| Rückwanderung“ für Aufregung. Eine Expertenkommission hatte die Pläne für | |
| nicht zielführend und schädlich für den Zusammenhalt im Land erklärt. | |
| Dessen ungeachtet sollen nun legal im Land befindliche Ausländer mit einer | |
| Prämie von umgerechnet mehr als 30.000 Euro dazu bewegt werden, | |
| auszureisen. Zahlreiche Kommunen [3][protestierten mit offenen Briefen]. | |
| Bei den SD wird immer wieder deutlich, dass sie Muslime generell ablehnen: | |
| Gebetsrufe und Rücksicht auf Speise- und Kleidervorschriften an | |
| öffentlichen Orten gehen ihnen gegen den Werte-Strich. „Der Islam hat | |
| keinen Platz in Schweden“, sagte Denice Westerberg von der | |
| SD-Jugendorganisation in ihrer Rede auf dem Parteitag sehr direkt. | |
| Welche Werte man ganz rechts für schwedisch hält, lässt sich auch aus einem | |
| Ideenprogramm mit dem Namen „Tidö 2.0“ erkennen, das ein SD-naher und ein | |
| marktliberaler Thinktank im September gemeinsam veröffentlichten. Die | |
| Vorschläge richten sich unter anderem gegen öffentlich-rechtliche Medien, | |
| Vereinsleben, Erwachsenenbildung, Kulturförderung und Kunstfreiheit – | |
| traditionell in Schweden eigentlich besonders starke Bereiche. Propagiert | |
| wurde hingegen die Schwächung von Naturschutz, billiges Benzin und billiger | |
| Snus. | |
| Der Generalverdacht gegen sie sorgt in Schweden derweil nicht nur bei | |
| migrantischen Menschen für Sorge. Gegner der SD setzen darauf, die | |
| Regierung im kommenden Jahr abzuwählen und dem rechten Spuk ein Ende zu | |
| setzen. Bis dahin hat Åkessons Partei den Diskurs und die Politik anderer | |
| Parteien jedoch längst erfolgreich in die gewünschte Richtung verschoben. | |
| 5 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anne Diekhoff | |
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