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# taz.de -- Netanjahus Überlebenstechniken: Der Staat bin ich
> Netanjahu beantragt Begnadigung durch Präsident Herzog im
> Korruptionsprozess. Der Schritt wäre der endgültige Untergang der
> Rechtsstaatlichkeit Israels.
Bild: Der israelische Ministerpräsident Netanjahu sagt in seinem Korruptionspr…
Netanjahus [1][Antrag auf Begnadigung durch Präsident Herzog] ist der
nächste Schritt im Kampf der israelischen Regierung gegen
Rechenschaftspflicht und Rechtsstaatlichkeit. Der Antrag, der von den
Ministern der Koalition als „notwendig für die öffentliche Ordnung“
unterstützt wird, wurde von US-Präsident Donald Trump bereits im Vorfeld
mehrfach lautstark unterstützt.
Im Juni bezeichnete Trump das juristische Vorgehen gegen Netanjahu als
„Hexenjagd“. In seiner Rede vor der Knesset im Oktober forderte er Herzog
auf: „Komm schon, begnadige ihn.“ Trump wies die schweren
Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu zurück – „Wen interessiert das schon?…
– und schickte im November sogar einen Brief an Herzog, in dem er ihn
offiziell um die Begnadigung Netanjahus bat.
Der israelische Präsident hat zwar die Befugnis, Personen zu begnadigen,
die eines Verbrechens angeklagt oder verurteilt wurden; doch in der
Geschichte Israels gab es bislang nur wenige solcher Begnadigungen. Die
vielleicht berühmteste Begnadigung war die von Schin-Bet-Beamten, die wegen
Vertuschung des Mordes an zwei Palästinensern vor Gericht standen, die nach
der Entführung eines Linienbusses in Tel Aviv belangt worden waren. Als
Bedingung gaben die Beamten ihre Schuld zu, traten zurück und wurden
anschließend von der Ausübung öffentlicher Ämter ausgeschlossen.
Es gab aber noch nie Begnadigungen wegen Korruption. Im Jahr 2008 trat der
Likud-Premierminister Ehud Olmert zurück, weil er wegen Korruption
angeklagt war, wofür er [2][später eine Gefängnisstrafe verbüßte]. Er war
der ranghöchste ehemalige israelische Politiker, der zu einer
Gefängnisstrafe verurteilt wurde, was damals als Sieg der israelischen
Rechtsstaatlichkeit galt. Als das Urteil im März 2014 verkündet wurde,
sagte der vorsitzende Richter David Rozen: „Ein Beamter, der
Bestechungsgelder annimmt, ist einem Verräter gleichzusetzen.“ Olmerts
Nachfolger wurde 2009 Netanjahu, der zehn Jahre später wegen Bestechung,
Betrug und Untreue angeklagt wurde.
## Aus Gründen
Nach dreijährigen Ermittlungen wurde Netanjahu 2019 angeklagt, der Prozess
begann offiziell im Mai 2020. Im Dezember 2024 sagte Netanjahu zum ersten
Mal aus und war damit der erste amtierende israelische Ministerpräsident,
der während seiner Amtszeit vor Gericht stand. Sechs Monate später begann
das Kreuzverhör vor dem Bezirksgericht Tel Aviv. Netanjahu hat jedoch
wiederholt beantragt, die Anhörungen zu verschieben oder zu verkürzen – aus
Gründen, die von Unwohlsein über diplomatische Treffen bis hin zu
„Sicherheitsfragen“ reichen – Anträge, denen die vorsitzenden Richter
merkwürdigerweise weiterhin stattgeben. Es wurden bislang noch keine Zeugen
vernommen.
Netanjahu beharrt darauf, dass eine Begnadigung ihm eine bessere
Regierungsführung ermöglichen würde. Er erwähnt weder ein
Schuldeingeständnis noch seinen Rücktritt aus dem öffentlichen Amt, was
beispiellos ist. Mittlerweile kann sein Antrag fast als Gnadentod für das
quälend langsame Tempo seines Strafprozesses angesehen werden. Die
Zurückhaltung der zuständigen Richter, Netanjahu zur Aussage zu zwingen,
könnte damit erklärt werden, dass sie nicht offenbaren wollen, wie machtlos
sie sind. Was würde das Gericht tun, wenn Netanjahu ihre Anordnung einfach
ignorieren würde?
Es scheint, dass die Mitglieder der israelischen Justiz entweder mit
Netanjahu und seiner Koalition zusammenarbeiten oder Angst vor ihnen haben,
ebenso wie vor der „Giftmaschine“ – einer Armee von Trollen, Demonstranten
und professionellen Agitatoren –, die gegen jeden eingesetzt werden kann,
den sie als Feind identifizieren. Zu den jüngsten Opfern dieser
Giftmaschine gehört die ehemalige Militärstaatsanwältin Yifat
Tomer-Yerushalmi, die Berichten zufolge wegen der unerbittlichen Schikanen
gegen sie über Selbstmord nachgedacht hat.
Fakt ist, dass der Oberste Gerichtshof Entscheidungen trifft, die seine
eigene Autorität aktiv untergraben. Kürzlich entschied er, Justizminister
Levin zu gestatten, den vorsitzenden Richter für den Prozess gegen
Tomer-Yerushalmi zu bestimmen. Levin verachtet den Obersten Gerichtshof
offen: Im Februar erklärte er, dass er den Präsidenten des Obersten
Gerichtshofs, Isaac Amit, „nicht anerkennt“ und initiierte einen „Boykott…
gegen ihn. Levin ignorierte auch das Urteil des Obersten Gerichtshofs, das
besagte, dass er und seine Koalition nicht befugt sind, die
Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara zu entlassen, und erklärte, er
werde auch sie „boykottieren“.
## Ausschreitungen im Gerichtssaal
Ende November [3][stürmten rechtsgerichtete Demonstranten] eine Anhörung
vor dem Obersten Gerichtshof und beschimpften die Richter, die daraufhin
die Anhörung unterbrachen und den Saal räumen ließen. Der Präsident des
Obersten Gerichtshofs, Amit, sagte, er kenne „kein demokratisches Land, in
dem es zu solchen Ausschreitungen im Obersten Gerichtshof kommt“. Manchmal
werden Gerichtsverhandlungen [4][sogar von rechtsgerichteten
Knesset-Ministern unterbrochen], die dann aus dem Saal verwiesen werden
müssen.
Nachdem Anfang Oktober das Waffenstillstandsabkommen für Gaza verkündet
worden war, traf Netanjahu die Entscheidung, den Krieg zwischen Israel und
der Hamas in „Krieg der Wiederbelebung“ (milchemet tkuma) umzubenennen. Ein
Krieg, der das Land verwüstet, Gaza zerstört, die IDF erschöpft und Israel
zu einem internationalen Paria gemacht hat, wurde für Netanjahu und seine
Koalition tatsächlich eine „Wiederbelebung“. Abgesehen davon, dass sie
keine Verantwortung für die Tragödie vom 7. Oktober übernahmen, bot ihnen
der Krieg die Gelegenheit, ihre innenpolitische Agenda umzusetzen.
Militärbeamte, die zum Israel vor der „Wiederbelebung“ gehörten, sind
zurückgetreten oder wurden im Rahmen der von IDF-Stabschef Eyal Zamir – der
im Februar persönlich von Netanjahu eingesetzt wurde – durchgeführten
Säuberungsaktion entlassen. Ronen Bar, der ehemalige Chef des
Geheimdienstes Schin Bet, wurde im März durch Netanjahus Vertrauten David
Zini ersetzt, der seine Unterstützung für den Gesetzentwurf zur Todesstrafe
bekundete und sich damit über die traditionelle Ablehnung der Todesstrafe
seitens des Schin Bet hinwegsetzte.
## Rücktritt wäre Wunder
Der ehemalige Premierminister Naftali Bennett, der mit einer eigenen
rechten Partei für die Wahlen 2026 kandidiert, sagt, er unterstütze eine
Begnadigung, wenn Netanjahu von seinem Amt zurücktrete. Netanjahus
Rücktritt wäre allerdings ein Wunder – nachdem er Israel nach seinen
Vorstellungen umgestaltet hat, ist es unwahrscheinlich, dass er jemals
freiwillig gehen wird.
Eine Begnadigung von Premierminister Netanjahu würde das untergraben, was
von der Rechtsstaatlichkeit in Israel noch übrig ist. Netanjahu und seine
Koalition haben den Staat Israel und seine Institutionen zerstört. Selbst
wenn „Bibi“ irgendwann aus dem Amt scheidet, wird es lange dauern, den
Schaden zu beheben, den er und seine Koalition der Polizei, der Justiz und
der Einstellung der israelischen Gesellschaft zur Rechtsstaatlichkeit
zugefügt haben.
7 Dec 2025
## LINKS
[1] /Angeklagt-wegen-Korruption/!6133635
[2] https://www.haaretz.com/2014-05-13/ty-article/olmert-gets-6-years-in-prison…
[3] https://www.haaretz.co.il/news/law/2025-11-27/ty-article-live/0000019a-c3cf…
[4] https://www.haaretz.com/israel-news/2025-04-08/ty-article/.premium/high-cou…
## AUTOREN
Tamar Ziff
## TAGS
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