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# taz.de -- An der Welt zweifeln: Zwei Geschichten vom Menschen
> Optimismus ist schwer. Aber immer, wenn unsere Kolumnistin den Glauben an
> die Menschheit beinahe verliert, passiert doch wieder etwas ganz
> Wunderbares.
Bild: Wer jemanden im Bus anruft, hat möglicherweise mehr Publikum als er oder…
Das ist meine letzte Kolumne in diesem Jahr und mir fällt es schwer,
optimistisch zu bleiben. Aus persönlichen Gründen, aber auch aus
gesellschaftlichen Gründen. Menschen sind so schwierig. So anstrengend, so
böse. Aber auch so liebevoll und gut.
Zwei Geschichten, die ich in der letzten Zeit erlebt habe, [1][Geschichten
aus der Großstadt]: Ich sitze morgens im Bus, neben mir sitzt eine junge
Frau. Sie telefoniert, die Freundin ist auf ihrem riesigen Handydisplay zu
sehen und vor allem zu hören. Ich sehe weg, zur Seite, aber weghören kann
ich nicht, ich sitze neben ihr.
Die Freundin erzählt, wie sehr sie gekotzt hat. So voll im Strahl hat sie
gekotzt, das kam so richtig rausgespritzt. Ich will das nicht noch mehr
ausführen, aber sie hat das getan, sie hat das ausgeführt, sie geht richtig
ins Detail, lange, viel zu lange spricht sie darüber, ausführlich,
ausdauernd.
Der ganze Bus ist gezwungen mitzuhören, denn das Handy ist auf lauteste
Lautstärke gestellt und ich überlege, ob ich ihr jetzt sage, dass ich von
dieser Sache nichts wissen will. Dass alle Menschen hier in diesem Bus ihre
eigenen Probleme haben und dieses Telefonat eine Belästigung darstellt.
## Es ist nicht lustig
Ich überlege mir aber auch andere, witzige Sätze, infolgedessen ich mich
frage, ob diese Sache nicht eine lustige Sache ist, eine Anekdote, die ich
erzählen kann, was ich hier ja gerade tue. Aber auch jetzt, da ich das
schreibe, denke ich, nein, es ist nicht lustig. Ich denke, dass Menschen
noch aus ganz anderen Gründen kotzen müssen und dass sie nicht daran
erinnert werden wollen, wenn sie im vollen Bus stehend zur Arbeit fahren.
„Fährst du zur Arbeit?“, fragt schließlich die Freundin auf dem
Handydisplay.
„Ne, keine Lust, hab mich krankgemeldet, ist mir zu kalt“, antwortete die
junge Frau und da werfe ich einen kurzen Blick auf sie und sie sieht so
aus, wie viele junge Frauen aussehen. Lange glatte Haare, zu viel Make-up.
Und ich kriege ein sehr negatives Gefühl für diese Frau, die uns alle
belästigt hat und die jetzt nicht arbeiten will, weil es ihr zu kalt ist.
Und ich denke, „Stopp!“ Denn ich will nicht so denken, nicht so empfinden,
nicht, wenn es um solche Belanglosigkeiten geht. Ich weiß nichts über sie,
weiß nichts über ihre Arbeit. Vielleicht arbeitet sie draußen, wo es
wirklich kalt ist, wird ausgebeutet, ich weiß es nicht.
Andere Geschichte: Samstags stehen hier auf dem Platz [2][ein Arztmobil]
und eine Suppenküche für die Obdachlosen. Sie werden medizinisch versorgt
und können Suppe essen. Vor ein paar Wochen gab es Kohlsuppe, der ganze
Platz roch danach. Eine Frau steht an der Ecke unter dem Vorsprung eines
Ladens, denn es regnet. Vor ihr steht ein Mann.
## Die Frau löffelt Kohlsuppe
Die Frau löffelt die Kohlsuppe aus einem Plastikschälchen, und gerade als
ich an ihr vorbeigehe, sagt sie mit einer solchen ernsthaften Überzeugung
zu dem Mann, „Du weißt gar nicht, was du verpasst“, dass mir Tränen in die
Augen schießen. Auf so etwas ist man einfach nicht vorbereitet, dass einen
solche Gefühle treffen, während man auf der Stresemannstraße zum Rewe
läuft.
Da steht diese Frau, einen Meter von mir entfernt, während es regnet,
während es kalt ist, löffelt im Stehen Kohlsuppe aus einer kleinen
Plastikschüssel und scheint so dankbar, geradezu glücklich zu sein,
jedenfalls für diesen Moment. Du weißt gar nicht, was du verpasst. Das ist
der Satz, der mir geblieben ist. Den ich die ganze Zeit denke. Ich will es
wissen.
14 Dec 2025
## LINKS
[1] /Nachdenken-im-Herbst/!6114885
[2] https://www.arztmobilhamburg.org/
## AUTOREN
Katrin Seddig
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