| # taz.de -- Abgeordnetenhauswahl 2026: Irgendwo zwischen CDU und Linkspartei | |
| > Die Grünen geben sich bei ihrem Parteitag selbstbewusst – aber sie gehen | |
| > mit einem Spitzenkandidaten in die Wahl, den 5 von 6 Berlinern nicht | |
| > kennen. | |
| Bild: Umarmung für den Fraktionsvorsitzenden Werner Graf, Bündnis 90/Die Grü… | |
| „Ein schönes Leben für alle.“ Der Schluss seiner Rede ist zugleich das | |
| zentrale Wahlversprechen von Werner Graf, seit Samstag auch offiziell | |
| Spitzenkandidat der Berliner Grünen für die Abgeordnetenhauswahl im | |
| September. Ein Versprechen, das deutlich mehr Wähler hinter die Grünen | |
| bringen soll als bisher in den Umfragen. In der Woche, an deren Ende Graf | |
| bei einem Landesparteitag in einem Neuköllner Hotel gewählt wird, [1][liegt | |
| seine Partei mit 16 Prozent nur auf Platz 3], deutlich hinter CDU und | |
| Linkspartei. Und eine weitere Befragung ergab: Graf selbst [2][ist der | |
| unbekannteste aller Spitzenkandidaten], 5 von 6 Berlinern kennen ihn nicht. | |
| Im Estrel-Hotel bestimmen die Grünen ihr Spitzenpersonal und wählen dabei | |
| fast schon en passant ihre beiden Landesvorsitzenden Philmon Ghirmai und | |
| Nina Stahr wieder. Für Ghirmai könnte es eine verkürzte letzte Amtszeit | |
| werden: Er will im nächsten Herbst ins Abgeordnetenhaus einziehen und | |
| müsste dann – weil die Satzung des Landesverbands beides zusammen nicht | |
| zulässt – den Parteivorsitz aufgeben. | |
| All das geschieht vor und auf einer Bühne, hinter der der Schriftzug | |
| „Wahlkampf um die Zukunft“ prangt. Das Wort Wahlkampf ist dabei längs | |
| durchschnitten und etwas versetzt wieder zusammengefügt. Ein | |
| unterschwelliger Hinweis auf Risse in der Partei? Natürlich nicht, | |
| versichert der taz vor Parteitagsbeginn Bettina Jarasch, das solle vielmehr | |
| für Dynamik stehen. Spaltung und Risse wird sie später in ihrer Rede | |
| mehrmals in der Stadt sehen – und die CDU als führende Regierungspartei | |
| dafür verantwortlich machen. | |
| Jarasch, Exsenatorin und Spitzenkandidatin der Wahl 2021 sowie ihrer | |
| Wiederholung 2023, ist dieses Mal die Nummer 2. Graf und sie bilden zwar | |
| offiziell eine Doppelspitze, genau wie in der | |
| Grünen-Abgeordnetenhausfraktion. Doch sollte es an den Grünen liegen, | |
| CDU-Mann Kai Wegner als Regierungschef abzulösen, würde nicht sie, sondern | |
| Graf den Posten übernehmen. | |
| ## Keine einhellige Unterstützung für Spitzenduo | |
| Wo aber die Wähler herholen, die das ermöglichen sollen? Selbst in den | |
| eigenen Reihen beim Neuköllner Parteitag gibt es keine durchgängige | |
| Unterstützung. 81,7 Prozent von 180 Delegierten stimmen für die beiden – | |
| was heißt: Knapp ein Fünftel tut es nicht. Weiterhin ist nicht abschließend | |
| in der Partei geklärt, ob neue Wähler in der Mitte abzugreifen sind oder im | |
| linken Spektrum. Dass die Grünen trotz guter Ausgangslage bei den vorigen | |
| Wahlen nicht besser abschnitten, wird weiterhin völlig gegensätzlich | |
| interpretiert: Den einen war der Wahlkampf zu links, den anderen nicht | |
| links genug. | |
| Das Problem mit „links“ ist bloß: Die Partei, die diesen Begriff in ihrem | |
| Namen führt, liegt in Umfragen seit dem Sommer vor den Grünen. Schon bei | |
| der Bundestagswahl hatte die Linkspartei im absoluten grünen Kernland große | |
| Gewinne erzielt und den seit 2002 von den Grünen dominierten Wahlkreis | |
| Friedrichshain-Kreuzberg gewonnen. Was für die Grünen noch bedrohlicher | |
| wirken muss: Sie verloren, obwohl sie dort mit Katrin Schmidberger | |
| antraten, ihrer fähigsten Frau in Sachen Mieten- und Wohnungspolitik. | |
| Denn dieses Feld, das ist unstrittig von CDU bis Linkspartei, wird 2026 das | |
| zentrale Wahlkampfthema sein. Dort trotz erwiesener Expertise offenbar nur | |
| zweite Wahl zu sein, dürfte ein Problem für die Grünen darstellen. Umso | |
| mehr, weil die Linkspartei klar verspricht, den inzwischen über vier Jahren | |
| alten Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ vom Roten Rathaus | |
| aus sofort umzusetzen. | |
| Bei den Grünen klingt das weit weniger radikal, Graf setzt auf den von | |
| seiner Fraktion erarbeiten Entwurf zu einem Bezahlbare-Mieten-Gesetz. Wo | |
| Linken-Spitzenkandidatin Elif Eralp vor einer Woche noch klar Enteignung | |
| ankündigte, bleibt Graf bildhaft und formuliert: „Wer denkt, in Berlin | |
| Monopoly spielen zu können, der muss eben damit rechnen, dass wir die | |
| Ereigniskarte ziehen – und auf der steht dann: Vergesellschaftung.“ Zu | |
| vermuten ist: Wer kompromisslos Enteignung will, wird eher Linkspartei | |
| wählen. | |
| ## Keine Koalitionsaussage | |
| Eine Koalitionsaussage gibt es vor den Delegierten im Estrel-Hotel | |
| erwartbarerweise nicht, und auch nicht den Ausschluss eines Bündnisses mit | |
| der CDU. Schwarz und Grün hätten nach einer aktuellen Umfrage keine | |
| Mehrheit, CDU und die auf 13 Prozent abgesackte SPD noch weniger. Auch ein | |
| Linksbündnis mit Eralp als Regierungschefin bringt zwar aktuell keine | |
| Mehrheit der Wähler hinter sich, hätte aber immerhin eine Mehrheit im | |
| Parlament. | |
| Wie sollen sie sich also positionieren in einem möglichen Lagerwahlkampf | |
| zwischen einer boomenden Linkspartei einerseits und einer CDU, die als | |
| Kämpferin auch gegen linken Extremismus auftreten wird? Einer CDU, die jene | |
| bürgerlichen Grünen abgreifen könnte, für die eine Regierungschefin von der | |
| Linkspartei ein Graus und Kai Wegner das kleinere Übel wäre? | |
| Abzuwarten bleibt, ob die Grünen 2026 nicht doch noch auf das Thema der | |
| autofreien Innenstadt aufspringen und den angestrebten Volksentscheid dazu | |
| bewerben – im Januar soll die Unterschriftensammlung dafür beginnen, | |
| abgestimmt würde parallel zur Wahl am 20. September. [3][Jüngst im | |
| Abgeordnetenhaus] vermieden die Grünen als einzige der 5 Fraktionen eine | |
| Festlegung auf „Nein“. Daraus bei öffentlichem Rückhalt für das Autoverb… | |
| ein Ja zu machen, gäbe ihnen ein Alleinstellungsmerkmal. | |
| Angst, als Verbotspartei abgetan zu werden, dürfte sie davon nicht | |
| abhalten. Beim Parteitag ging Graf offensiv mit diesem gegenüber den Grünen | |
| oft geäußerten Vorwurf um und drehte ihn ins Positive: „Ja, ich will | |
| verbieten“, sagte er, „ich will das Totrasen auf unseren Straßen verbieten, | |
| ich will das Böllern verbieten und ja, ich will die AfD verbieten.“ | |
| 23 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/berlin.htm | |
| [2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/nicht-mal-jeder-dritte-berliner-kennt-we… | |
| [3] /Kein-Autoverbot-im-Abgeordnetenhaus/!6123104 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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