| # taz.de -- Finanzminister in China: Der Rollenspieler | |
| > Finanzminister Lars Klingbeil spricht in China über schwierige Themen und | |
| > sogar mit der Zivilgesellschaft. Doch eine große Frage bleibt | |
| > unbeantwortet. | |
| Bild: Finanzminister Lars Klingbeil bei einem Treffen mit Politbüro-Mitglied W… | |
| „Bitte jetzt mal einen warmen Applaus für den deutschen Vizekanzler! Sie | |
| sind die Stimme der Vernunft in der deutschen Chinapolitik“, lobt der | |
| Vizepräsident der Pekinger Universität, Prof. Fang Fang, den Gast. Es ist | |
| Dienstag, Lars Klingbeil, Vizekanzler und Finanzminister, ist den zweiten | |
| Tag auf Chinareise. Er sitzt in der ersten Reihe vor einer Bühne, über | |
| deren ganze Breite ein rotes Banner mit weißer Schrift seinen Auftritt | |
| ankündigt. Hinter ihm sitzen gut 100 Studierende und applaudieren höflich. | |
| Die künftige Elite des Landes. | |
| Wer hier an der Pekinger Universität aufgenommen wird, hat sich gegen | |
| Millionen Mitbewerber:innen durchgesetzt. Klingbeil sagt, wie | |
| beeindruckt er vom Renommee der Uni sei, er freue sich, hier zu sein, und | |
| er beantwortet Fragen zum Einsatz der KI im Finanzministerium oder zur | |
| außenpolitischen Rolle Deutschlands und gibt freimütig zu, dass er wohl | |
| besser Chinesisch statt Latein in der Schule hätte lernen sollen. Und dann | |
| nach gut dreißig Minuten rückt er gerade: „Übrigens, ich bin nicht die | |
| einzige Stimme der Vernunft“, seine Reise sei eng mit dem Kanzler und mit | |
| den europäischen Partnern abgestimmt. Ha, gerade noch mal gut gegangen. | |
| [1][Der Versuch der chinesischen Führung, die deutsche Regierung zu | |
| spalten], ist ins Leere gelaufen. | |
| Der offizielle Grund von Klingbeils Reise ist der deutsch-chinesische | |
| Finanzdialog, ein lange geplantes Arbeitstreffen zu technischen Themen wie | |
| Refinanzierung und Panda-Bonds, das alle zwei Jahre stattfindet. Wichtig, | |
| aber nicht spektakulär. Doch seitdem der deutsche Außenminister Johann | |
| Wadephul (CDU) seinen Antrittsbesuch aus Mangel an Gesprächspartnern | |
| absagte, was einem diplomatischen Eklat gleichkam, [2][ist Klingbeil nun | |
| der erste Minister der Merz-Regierung, der nach Peking zur Staatsführung | |
| reist.] | |
| Und sein Auftritt in Peking stand unter besonderer Beobachtung. Kann er die | |
| Wogen glätten, die Misstöne bereinigen oder schlägt er gar einen anderen, | |
| unterwürfigeren Ton an als Wadephul, der zuvor Chinas aggressives Auftreten | |
| in der Straße von Taiwan kritisiert hatte? Kann er zugeschlagene Türen | |
| öffnen oder gerät er auf dem glatten diplomatischen Parkett des | |
| chinesischen Staatsgästehauses ins Straucheln? Die Vorsitzende der Grünen, | |
| Franziska Brantner, kritisiert die Chinapolitik der Bundesregierung als | |
| planlos und widersprüchlich. | |
| Tatsächlich hat Klingbeil ziemlich viel richtig gemacht. Er hat die saubere | |
| Luft in Peking gelobt, aber auch die chinesische Stahlschwemme kritisiert, | |
| er hat China aufgefordert, Putin in der Ukraine zu stoppen, und er hat auch | |
| – gleichlautend zu Wadephul – mehrfach öffentlich erklärt, wie besorgt man | |
| über eine mögliche militärische Eskalation in Taiwan sei. Er hat die Liste | |
| abgearbeitet und jedes schwierige Thema gegenüber der chinesischen Partei- | |
| und Staatsführung angesprochen. Außer der Rente. Trotzdem ist der Erfolg | |
| seiner Reise überschaubar. Weder hat China ein einziges Zugeständnis | |
| gemacht, Putin Einhalt zu gebieten, noch zugesagt, seine marktverzerrende | |
| Subventionspolitik zu ändern, und zu Taiwan verbittet man sich sowieso jede | |
| Einmischung. Aber dass Klingbeil einen einzigen dieser Knoten durchschlagen | |
| würde, hatte wohl auch niemand erwartet. | |
| ## Klingbeil hat ziemlich viel richtig gemacht | |
| Es geht dem Finanzminister in China vor allem darum, die richtigen Signale | |
| zu senden. An die Chinesen, denen man die eine Hand ausstreckt, während man | |
| mit der anderen auf den Tisch haut. An die US-Amerikaner, die ruhig | |
| mitkriegen können, dass Deutschland und China gemeinsam Klimapolitik machen | |
| und internationale Formate wie die WTO oder die G20 stärken wollen – Foren, | |
| aus denen sich die USA zurückgezogen haben. | |
| Und ein bisschen auch an die eigenen Leute daheim: Während sich der Kanzler | |
| daheim im Rentenstreit verzettelt und man sich fragt, ob Merz die CDU noch | |
| im Griff hat oder sie mittlerweile ihn, reist der SPD-Vizekanzler durch die | |
| Welt und sorgt dafür, dass Deutschlands Wirtschaft wieder florieren kann. | |
| Einer muss ja den Überblick behalten. Aber die Frage bleibt, welches | |
| eigentlich der richtige Umgang mit China ist, ein schwieriger, ja was | |
| eigentlich: Partner? Rivale? Wettbewerber? Die noch von der Ampel | |
| verabschiedete Chinastrategie sagt: alles gleichzeitig. | |
| Eine Weltmacht, die mit der Armee protzt und Trump die Stirn bietet. Eine | |
| Diktatur, die das westliche Credo, dass Demokratie und Marktwirtschaft ein | |
| unschlagbares Double ist, mit einem aggressiven Staatskapitalismus infrage | |
| stellt. Ein Überwachungsstaat, der alles über seine Bürger wissen will, | |
| Minderheiten brutal unterdrückt und jeden Winkel der Gesellschaft | |
| kontrollieren will. Das bekommen auch die mitgereisten Medien und der | |
| Minister mit. Ein Journalist, der sich zu später Stunde mit Kamera auf der | |
| Straße vor dem Hotel postiert und in die Redaktion schaltet, wird fast eine | |
| Stunde von Polizisten festgehalten und befragt. Den verschiedenen | |
| Gesichtern Chinas versucht Klingbeil zu begegnen, indem er wie ein | |
| Rollenspieler jeden Tag einen anderen Hut aufsetzt. | |
| Am Montag ist er Finanzminister, der deutschen Banken mehr Zugang zum | |
| chinesischen Markt verschafft, am Dienstag ist er SPD-Parteivorsitzender, | |
| der sich mit Xi Jinpings Chefideologen Wang Huning zum Parteiendialog in | |
| der Großen Halle des Volkes trifft und ihm ein Bild von Helmut Schmidt und | |
| Deng Xiaoping überreicht. Kleiner Wink: Lief doch mal richtig gut mit der | |
| Entspannungspolitik. Am Mittwoch ist er der Vizekanzler, der mit deutschen | |
| Unternehmen in Shanghai über den Huangpu-Fluss schippert und sich deren | |
| Wünsche notiert. Auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft, der Musik- und | |
| Theaterszene, trifft er sich – allerdings sehr, sehr diskret. Details | |
| verrät er erst danach. „Es ging darum, wie offen kann hier kommuniziert | |
| werden.“ | |
| Der Hauptwunsch war aber die Unterstützung über die Goethe-Institute | |
| sicherzustellen. Arthur Tarnowski, der die Grünen-nahe Böll-Stiftung in | |
| Peking leitet, hat Verständnis für die Diskretion. Die Stiftung | |
| konzentriert sich unter anderem auf die Zusammenarbeit mit der chinesischen | |
| Zivilgesellschaft zu Klima- und Umweltschutzthemen – und damit dort, wo der | |
| Staat noch Spielräume zulässt. „Wir bewegen uns in einem eng begrenzten | |
| Raum“, sagt Tarnowski und wägt seine Worte ab wie ein Tänzer auf einem | |
| Seil. „Diese Personen müssen nicht für eine deutsche Öffentlichkeit | |
| exponiert werden.“ | |
| Dennoch findet er es wichtig, dass solche Treffen stattfinden. „Sie sind | |
| auch Signal dafür, dass wir das anerkennen und uns bei China nicht nur auf | |
| Regierungshandeln beziehen oder als monolithischen Block wahrnehmen.“ Die | |
| zurückhaltende Kommunikation des Vizekanzlers über sein Treffen mit der | |
| Kulturszene zeigt aber auch: Die Zeiten sind vorbei, in denen deutsche | |
| Politiker nach China reisten und der Parteiführung auf offener Bühne die | |
| Leviten lasen. Man brauchen keine Lehrmeister aus dem Westen, hatte der | |
| chinesische Außenminister seiner Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) vor | |
| zwei Jahren beschieden. Klingbeil sagt vor den Studierenden, er merke bei | |
| seinen Besuchen, dass Chinas Selbstbewusstsein gestiegen sei. Das ist wohl | |
| eine krasse Untertreibung. Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft | |
| der Welt, China die zweitgrößte. Die Nummer zwei lässt sich von der Nummer | |
| drei nichts mehr sagen. Punkt. | |
| Auch Tarnowski nimmt diese Machtverschiebung wahr. China werde ungeduldiger | |
| gegenüber Deutschland, erwarte mehr Verständnis für die eigenen Belange. | |
| Hinter der deutschen Chinastrategie vermutete man in Peking vor allem die | |
| Grünen. „Eine Fehlwahrnehmung“, meint Tarnowski. Umso überraschter war man | |
| wohl, als Außenminister Wadephul China kritisierte. „Chinesische Analysten | |
| hatten vor der Bundestagswahl auf Merz als Wirtschaftskanzler gehofft, der | |
| deutlich mildere Töne gegenüber China anschlagen würde. Das ist nicht | |
| eingetreten.“ Tarnowski sieht ein Jahr nach dem Bruch der Ampel keinen klar | |
| erkennbaren Bruch in der deutschen Chinapolitik. Zumindest für die | |
| Germanistik-Studierenden in der Pekinger Uni ist Deutschland nach wie vor | |
| das Land der Dichter, Denker und Ingenieure. | |
| Er studiere Germanistik, sagt ein junger Mann auf Englisch, weil er die | |
| deutschen Philosophen liebe. „Hegel. Und natürlich“ – er strahlt – „… | |
| Marx.“ Sie liebe Thomas Mann und habe den „Zauberberg“ gelesen, sagt eine | |
| junge Frau. „Auf Chinesisch.“ Lien, Doktorand der Wirtschaftswissenschaft, | |
| ist kritischer. Er wünsche sich mehr Selbstbewusstsein von Deutschland. | |
| „Merkel – sie war meine Lieblingspolitikerin.“ Deutschland müsse in Euro… | |
| wieder Führung zeigen – bei der derzeitigen deutschen Regierung vermisse er | |
| das. Auch bei diesem – er schaut zum Banner hinter der leeren Bühne | |
| „Klingbeil.“ Der zieht zum Abschluss seiner Chinareise das Fazit: „Wir | |
| müssen unsere Hausaufgaben machen, resilienter werden und gucken, dass das | |
| wirtschaftliche Wachstum nach Deutschland zurückkommt.“ Dann könne man auch | |
| wieder stärker gegenüber China auftreten. | |
| 19 Nov 2025 | |
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