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# taz.de -- Die Wahrheit: Entschuldigung für alles
> Es folgt hier eine gut abgehangene Ego-Beichte von jemandem, der doch
> glatt die Größe hat, sich zu entschuldigen. Doch für was bloß?
Achtzig Prozent der Menschen können nicht um Entschuldigung bitten“, steht
in einer dieser Zeitungen, die offenbar nichts anderes zu tun haben, als
ihre Leser schlechtzumachen. Da sind sie bei mir aber an der falschen
Adresse. Denn im Gegensatz zur großen, grauen Masse der Charakterschweine
könnte ich jederzeit um Entschuldigung bitten, sofort und für alles, nichts
leichter als das. Was müssen das für „Menschen“ sein, die das nicht könn…
denke ich verblüfft. Wo ist das Problem? Die sind ja wohl nicht ganz
richtig im Kopf.
Die Sache hat nur einen Haken: Bei mir gibt es nie einen Grund,
irgendjemanden wegen irgendetwas um Entschuldigung zu bitten. Denn ich
mache selbstverständlich immer alles richtig. Ich sehe keinerlei Sinn
darin, warum ich oder überhaupt irgendjemand das anders handhaben sollte?
In diesem Punkt trennen mich und den Rest der Menschheit Welten.
Doch es gibt Momente, da zwickt mich der exotische Wunsch, wenigstens ein
einziges Mal zu erfahren, wie es sich anfühlen würde, um Entschuldigung zu
bitten; umso mehr, da ich, im Gegensatz zur Mehrheit, dazu auch in der Lage
wäre. Dafür müsste ich jedoch erst mutwillig eine Entschuldigungssituation
herbeiführen, indem ich einen menschlichen Fauxpas begehe. Das ist
schließlich die Grundvoraussetzung.
So könnte ich die Frage eines Passanten nach der Uhrzeit falsch
beantworten. Wenn es eins ist, sage ich halb eins. Oder wenn es zwölf ist,
sage ich halb zwölf. Oder umgekehrt. Prinzip ist klar, nicht wahr? Ich gebe
also bewusst eine falsche Antwort. Ich lüge.
## Eine Auge zuckt verräterisch
Dabei zittere ich vor Kühnheit, ein Auge zuckt verräterisch, womöglich habe
ich unkontrolliertes Nasenbluten. Die schwarze Kulturtechnik der Lüge muss
jemand wie ich sich ja erst gegen größte innere Widerstände aneignen. Umso
mehr erregt mich der bloße Gedanke daran.
So ein Zivilisationsbruch hat schon was. Man beginnt zu verstehen, warum
das Verbrechen so viele anzieht. Ein Uhr. Bämm! Obwohl es erst halb eins
ist. Oder, noch krasser, zwölf. Bämm, bämm! Oder, absolut shocking: halb
zwölf! Und die Leute nehmen es mir ab, weil sie es müssen, weil sonst
niemand da ist, weil sie mir absolut vertrauen. Wie einem Piloten oder
einem Arzt, der sie operiert und der sie aber in Wahrheit töten will. Was
für eine famose, neue Grenzerfahrung.
Da kündigt sich doch fast eine kleine Erektion an. Das hatte ich ja schon
lang nicht mehr. Was für eine dunkle Macht ich besitze. Welche Konsequenzen
das für die Leute haben kann. Sie kommen zu spät zum Onkologen oder nehmen
ihre Medikamente zum falschen Zeitpunkt ein. Das kann ihr ganzes Leben
beeinflussen, ach was, Leben. Sie könnten sterben. Ich bin wie ein böser
kleiner Gott.
Und wenn es so weit ist, sage ich: Sorry. Sorry, Leute, ich bitte um
Entschuldigung. Weil ich es kann, da ich zu den zwanzig Prozent gehöre, die
die Größe dazu haben.
27 Nov 2025
## AUTOREN
Uli Hannemann
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