| # taz.de -- Streeck will bei Älteren sparen: Die kalte Logik der Bilanzen | |
| > CDU-Politiker Hendrik Streeck überlegt öffentlich, ob alte Menschen noch | |
| > teure Medikamente bekommen sollen. An Menschenwürde denkt er dabei nicht. | |
| Bild: Ab welchem Alter werden wir wertlos? | |
| Der Sozialdarwinismus neoliberaler Prägung hat die eigentümliche | |
| Eigenschaft, sich oft ein Gewand der Menschlichkeit überzuwerfen. Nur das | |
| Beste wollend, fordert er die Aufgabe des ersten aller humanistischen | |
| Grundsätze. Elias Canetti formulierte ihn einst so: „Jeden Tod hassen, als | |
| wäre es der eigene.“ | |
| Unter dem Druck einer sich verschlechternden Finanzlage breitet sich der | |
| Terror der Bilanzen aus. Ob diese humanistische Grundhaltung überhaupt noch | |
| vernünftig sei, ist der Einwand, der immer vorgibt, nur ein Denkanstoß sein | |
| zu wollen. | |
| Aktuell exerziert [1][das Hendrik Streeck durch, Virologe, CDU-Politiker | |
| und Drogenbeauftragter der Bundesregierung]. [2][In gespielter Unschuld | |
| fragte er in einer Talkshow auf Welt TV], ob es überhaupt sinnvoll sei, | |
| 100-Jährigen teure Medikamente zu geben. Der zugehörige Welt-Artikel sprang | |
| ihm mit dem passenden Framing zur Seite: Die Gesundheitsausgaben würden | |
| 2024 laut Schätzung des Statistischen Bundesamts rund 538 Milliarden Euro | |
| betragen. Das ist ein Anstieg um 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, auch | |
| 2025 würde mit steigenden Gesundheitsausgaben gerechnet. Die gesetzlichen | |
| Krankenkassen beklagten eine „ungebrochene Ausgabendynamik“. | |
| ## Sparen oder Ersparen | |
| Wahr ist, dass die letzten sechs Monate eines Menschenlebens statistisch | |
| die teuersten sind. Auch wahr ist, dass die Gesundheitsausgaben insgesamt | |
| steigen, durch bessere Löhne im Gesundheitsbereich, wachsende Kosten für | |
| Medikamente und Sachkosten. Das liegt teilweise am demografischen Wandel, | |
| aber auch an der massiven Zunahme chronischer Erkrankungen. Die sind im | |
| Übrigen auch Folge einer Pandemie, [3][die durchlaufen zu lassen Hendrik | |
| Streeck auch dann für den richtigen Weg hielt, als er dutzendfach des | |
| Irrtums überführt wurde]. | |
| Der Widerspruch gegen Streecks Vorstoß kam prompt und heftig, selbst die | |
| Bundesregierung distanzierte sich. | |
| Das muss auch Streeck aufgefallen sein, der sich zu einem Gastbeitrag im | |
| Bonner General Anzeiger genötigt sah: Es gehe nicht ums Sparen, sondern | |
| darum, Menschen etwas zu ersparen. Warum er zuvor von „teuren“ Medikamenten | |
| sprach, von „lukrativen“ Eingriffen, insgesamt ständig auf die Kosten | |
| hinwies – das weiß der Teufel. Die entscheidende Frage sei für ihn: | |
| „Verbessert es das Leben? Oder verlängert es das Leiden?“ Man könnte hier | |
| von einem instrumentellen Humanismus sprechen: Selbst bei dieser | |
| entscheidenden Frage kommt Hendrik Streeck nicht über die kalte Logik der | |
| Bilanzen hinaus. | |
| ## Im Sinne von Staatskasse und Volkswohl | |
| Es ist freilich nicht das erste Mal, dass Hendrik Streeck an der | |
| Gesundheitsversorgung sägt. [4][Erst im September 2025 sprach er sich für | |
| eine Selbstbeteiligung von Patient*innen bei Behandlungskosten] aus. | |
| Auch damals war es eine eigenartige Mischung von Dukatenzählerei und | |
| vorgeschobenem Gemeinsinn, die seine Argumentation stützte, als er sagte: | |
| „Wir müssen uns von einer unsolidarischen Vollkaskomentalität | |
| verabschieden. Gesundheit ist keine All-inclusive-Dienstleistung des | |
| Staates.“ | |
| Was Hendrik Streeck zu begreifen nicht in der Lage zu sein scheint: Es | |
| obliegt den Patient*innen, zu entscheiden, ob sie Hilfe annehmen oder | |
| ablehnen. Ihnen diese Freiheit zu geben, heißt, ihre Würde zu bewahren. Es | |
| heißt nicht, sie unter Druck zu setzen, sich im Sinne der Staatskasse und | |
| des Volkswohls zu opfern. | |
| Wenn die Politik eine Grenze zieht, wann wem unter welchen Umständen zu | |
| helfen ist, und diese Grenze nicht der Tod ist, wird sie beliebig. | |
| Besonders fatal ist dabei, dass Streeck nicht nur als Politiker auftritt, | |
| sondern auch als Arzt: Sollten Ärzt*innen nicht die Fürsprecher*innen | |
| der Patient*innen sein? Wäre das im öffentlichen Diskurs nicht die | |
| Rolle, die sie auszufüllen hätten? Gerade für jene Patient*innen, die, weil | |
| sie zu krank oder zu eingeschränkt sind, öffentlich nicht mehr sprechen | |
| können? | |
| Und auch ein Politiker, der im Gesundheitssystem falsche Anreize sieht, | |
| würde die Patient*innenrechte stärken. Denn falsche Anreize werden | |
| nicht von Menschen geschaffen, die leben wollen – so unvernünftig das | |
| Streeck auch scheinen mag. Sondern [5][von der Profitorientierung im | |
| Gesundheitssystem,] die die Union federführend mit zu verantworten hat. | |
| 16 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Virologe-Hendrick-Streeck-ist-zurueck/!6087219 | |
| [2] https://www.welt.de/politik/deutschland/video6914b1300407e2fef73ca91c/welt-… | |
| [3] https://www.riffreporter.de/de/wissen/corona-streeck-fehler-talkshows-ueber… | |
| [4] https://www.aerzteblatt.de/news/streeck-pladiert-fur-selbstbeteiligung-von-… | |
| [5] /Gesundheitsversorgung-in-Deutschland/!5791046 | |
| ## AUTOREN | |
| Frédéric Valin | |
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