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# taz.de -- Geschichte des linken Internationalismus: Schafft ein, zwei, drei, …
> Jens Kastner hat eine kleine Geschichte des linken Internationalismus
> geschrieben. Dem schmalen Band gelingt es, Traditionslinien sichtbar zu
> machen.
Bild: Viel hat sich getan seit 1919 die Kommunistische Internationale gegründe…
Man kann von einem Ackergaul nicht enttäuscht sein, wenn er langsam ist.
Man kann von einem 100 Seiten langen Buch nicht verlangen, dass es die
Komplexität einer facettenreichen, gut 150 Jahre alten Bewegung auffächert,
die vom Leninismus bis zu Black Lives Matter reicht. Jens Kastners
„Internationalismus“ hat den bescheiden wirkenden Untertitel „Kleine
Geschichte einer großen Idee“.
Aber das Unterfangen hat zwangsläufig etwas Kühnes. Hier saust einer mit
Siebenmeilenstiefeln durch die Weltgeschichte, von Kautskys
Imperialismustheorie zu Che Guevara, von der historischen Frauenbewegung zu
Toni Negris Multitude. Das funktioniert als skizzenhafter
ideengeschichtlicher Überblick. Jens Kastner präsentiert das Material klar
strukturiert, in abwägendem Tonfall und ist klug genug, weitgehend auf
Wertungen zu verzichten.
Leider nur weitgehend: Immer mal wieder tauchen die Themen Israel und
Antisemitismus als eine Art Sündenfall des Internationalismus auf. Der
Internationalismus sei am Ende, [1][weil er sich mit dem „antisemitischen,
homofeindlichen, patriarchalen und autoritären Islamismus“ verbunden] habe.
Da rückt dann Judith Butler in die Nähe des iranischen Regimes. Das sind
mehr Behauptungen als Analysen, eher Gesinnungsduftmarken.
## Kastner hofft auf einen „Internationalismus von unten“
Der Wert dieses Abrisses ist es, Traditionslinien sichtbar zu machen. Der
Internationalismus war historisch mit der sozialistischen
Imperialismustheorie verkoppelt, die in leninistischer Lesart nach 1917 im
sowjetischen Einflussgebiet zur Herrschaftsideologie wurde. Im Kalten Krieg
erlebte der Internationalismus eine Renaissance als antikolonialer Aufstand
des Globalen Südens gegen den Norden – vor allem die USA: [2][„Schafft ein,
zwei, drei, viele Vietnams!“] Die dritte Phase kann man als vielgestaltige
Multitude bezeichnen, die von der Antiglobalisierungsbewegung über
Flüchtlingsrettung bis zu bäuerlicher Selbstorganisation reicht.
Kastner hofft für die Zukunft auf einen „Internationalismus von unten“. Das
ist sympathisch, beantwortet aber nicht all die sprudelnden Fragen, die
sich stellen, wenn man das Büchlein zugeklappt hat. Gehört die Kritik des
westlichen Imperialismus, die zu einem Rhetorikbaustein von Putin und
anderen Despoten verkommen ist, auf den Müllhaufen der Geschichte? Oder ist
eine dialektische Aufhebung der Imperialismustheorie denkbar?
Was bleibt von linker Globalisierungskritik, wenn die globale Rechte sich
als Avantgarde der Antiglobalisten inszeniert? Bisher waren
internationalistische Ideen immer an eine Kritik westlicher Dominanz
gebunden. Was, wenn die Zitadellen der Macht anderswo stehen? Ist das
Konzept Internationalismus also noch brauchbar für die postwestliche
Weltordnung, die ja keine Zukunft, sondern Gegenwart ist?
Linke Theorien haben, folgt man diesem Text, darauf bisher keine
brauchbaren Antworten. Das ist auch schon mal eine Erkenntnis.
24 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Sozialismus
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