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# taz.de -- Film über Fotograf Peter Hujar: Vom Vergeuden eines verschwendeten…
> In „Peter Hujar’s Day“ will Regisseur Ira Sachs einen Tag im Leben des
> Fotografen einfangen. Ein nostalgischer Blick auf die New Yorker Bohème
> der 1970er.
Bild: New York im Rücken: Linda Rosenkrantz (Rebecca Hall) und Peter Hujar (Be…
Schlierige Staubkörner und Flusen huschen über 16-mm-Kodakmaterial. Ein
mattes Grün, ein senfartiges Gelb, fahle Haut, das Blau so verwaschen. Die
Farben sind gedämpft wie die Farben der Erinnerung. Verblassen sie mit der
Zeit im Kopf oder haben wir, deren eigene Jugend noch auf körnigen
Kleinbildfotos festgehalten wurde, nur gelernt, dass die Vergangenheit
nicht leuchtet? Denken wir Zeit automatisch in ihrem prägenden Medium?
Ira Sachs tut es. [1][In dem neuesten Film des US-amerikanischen
Filmregisseurs, „Peter Hujar Day]“, verdichtet er die Zeit gleich auf
mehreren Ebenen. Die Synopsis ist simpel: Der Fotograf Peter Hujar (Ben
Whishaw) besucht die befreundete Autorin Linda Rosenkrantz (Rebecca Hall)
in ihrem Apartment auf der 94th Straße in New York City.
Anlass ist die Teilnahme an einem Buchprojekt, das untersuchen soll, wie
Menschen ihren Alltag gestalten. Dafür bat Linda Rosenkrantz verschiedene
Personen, sich einen bestimmten Tag auszusuchen, ihn genau zu
protokollieren und ihr am nächsten Tag in einem Gespräch, das sie auf
Tonband aufnahm, davon zu erzählen.
Zu ihren Gesprächspartner:innen gehören ihre Mutter, ihre Schwester,
ihre Haushälterin, ihr vierzehnjähriger Cousin, der Künstler Chuck Close
und eben auch Hujar. Die Kamera zeigt Fahrstuhl, Tonband, erst klickt die
Aufnahmetaste, dann das Feuerzeug an der Zigarette: Peter Hujar beginnt zu
sprechen.
## Rauchen, rauchen, rauchen
Während sich Hujar und Linda Rosenkrantz durch die Wohnung bewegen, Kaffee
trinken, kleine Speisen essen, rauchen, rauchen, rauchen, auf Bett und Sofa
liegen oder auf der Dachterrasse über New York dem schwindenden Tageslicht
nachschauen, berichtet der Fotograf chronologisch von seinem Tag, dem 18.
Dezember 1974, den er selbst als wasted – verschwendet – bezeichnet.
Personen, Handlung und Dialoge basieren fast wörtlich auf einer wahren
Begebenheit. Rosenkrantz und Hujar waren tatsächlich befreundet, das
Projekt existierte, wenngleich es nie fertig gestellt wurde, die
Tonbandaufnahme galt als verschollen. Hujar starb 1987 viel zu früh an
Aids, wie viele seiner Generation.
Rosenkrantz zog nach Kalifornien und nahm ihre Unterlagen mit, darunter
auch das Transkript des Gesprächs, das unbemerkt in ihren Papieren blieb.
Erst 2018, als die Morgan Library & Museum in New York eine große
Ausstellung zu Hujars Werk vorbereitete, entschloss Linda Rosenkrantz sich,
das Transkript der Sammlung zu übergeben. 2021 wurde es dort von
Studierenden entdeckt und erstmals als Buch mit dem Titel „Peter Hujar’s
Day“ veröffentlicht. Regisseur Sachs entdeckte es in einer queeren
Buchhandlung in Paris, las es und beschloss, daraus einen Film zu machen.
Die Anziehungskraft des schmalen Büchleins und des in ihm festgehaltenen
Moments im Leben einer der Schlüsselfiguren der avantgardistischen
Gegenkultur des New Yorker East Village ist unbestritten groß. Hujar wurde
für seine eindringlichen Porträts von Freunden und Zeitgenossen berühmt,
darunter prägende Persönlichkeiten wie [2][Lebens-, Kunst- und Weggefährten
David Wojnarowicz], der Regisseur John Waters, [3][Tänzer und Choreograf
Merce Cunningham], die Schauspielerin Lauren Hutton, der Kurator Vince
Aletti und [4][Theaterregisseur Robert Wilson]. Am bekanntesten ist wohl
sein Porträt der großen Autorin und Bildtheoretikerin Susan Sontag – mit
der Hujar natürlich ausgerechnet am von ihm beschriebenen 18. Dezember
telefoniert.
## Die unverstellte Ehrlichkeit
Liest man das Transkript, das Sachs’ Film zugrunde liegt ist es die
unverstellte Ehrlichkeit, die Direktheit des Selbstzweifels und der
unprätentiöse Umgang mit dem eigenen Leben, die bestechen: „Read it and
weep if you didn’t know him. Or read it and weep if you did that we lost
him“ (Lies es und weine, wenn du ihn nicht kanntest. Oder lies es und
beweine, wenn du ihn kanntest, dass wir ihn verloren haben), wie es die
Fotografin Nan Goldin, mit der Hujar in enger Freundschaft verbunden war,
auf dem Buchumschlag formuliert.
In der Tat kann einen der Text zu Tränen rühren. Die Freundschaft der
beiden Menschen, ihre Nähe, die beiläufige Selbstverständlichkeit des
Lebens, der man beim Lesen fast voyeuristisch beiwohnt, wenn Hujar von
seinen kleinen Schummeleien berichtet, um ein Telefonat zu beenden, von der
Beobachtung eines Mannes im Chinaimbiss, von den technischen Details seiner
Arbeit oder erotischen Gedanken.
Von den Gefühlen gegenüber dem schlecht gelaunten Allen Ginsberg, den er
für einen ersten Auftrag für die New York Times fotografieren geht, vom
Abendessen mit Vince Aletti, überhaupt von all den Menschen, deren Namen
durch ihren hohen kulturellen Output bekannt sind – und die für Hujar
einfach nur die Menschen seines Umfelds waren. Das eigene Leben ist halt
stets das eigene Leben – mit all seiner Langeweile.
Doch wie lässt sich dieses unbestreitbar interessante Material in einen
Film übersetzen? [5][Sachs entschied sich für einen Langfilm], der mit 76
Minuten diese Dimension nur knapp erreicht. Statt das Transkript, das ihn
sicherlich tragen könnte, als Grundlage für einen Spielfilm zu nehmen,
besinnt er sich auf die originale Anordnung des „Experiments“ – sogar
Elemente der Wohnung Linda Rosenkrantz’ sollen für den Film unter Anweisung
der heute 81-Jährigen nachgebaut worden sein. Das Projekt wird zum
Reenactment. Es erhält somit durchaus auch einen dokumentarischen Aspekt.
Dies zu betrachten ist unterhaltsam und entbehrt nicht einer gewissen
Schönheit. Sowohl Hall als auch Whishaw sind begnadete Darstellende. Blickt
man auf das Polaroid vom echten Hujar und der echten Rosenkrantz im Buch,
zeigt sich, wie stark versucht wurde, den Cast an die realen
Persönlichkeiten anzulehnen. Und doch hat man zumindest im Falle des von
Ben Whishaw gespielten Hujar seine Zweifel, ob es charakterlich gelingt.
Während im Transkript von Hujars Tags eine gewisse Scheu anklingt, spielt
Whishaw den Fotografen vorwärtsgerichtet und selbstbewusst.
## Warum nicht die realistische Umsetzung?
Auch wenn durch die vielen Bewegungen der beiden Personen, durch Kaffees,
Speisen, Zigaretten, durch all diese ihre Aktivitäten im Apartment
Rosenkrantz’ die Aufmerksamkeit der Betrachtenden stimuliert wird, ist die
Entscheidung gegen eine realistischere Umsetzung der Vorlage, die
künstlerisch um einiges radikaler sein könnte, eine verpasste Chance. Statt
sich im Kammerspiel auf das Gegenüber zu konzentrieren, wirkt die
Choreografie beliebig und zersetzt leider die Direktheit des Textes: Wohl
kaum würden in einem 76-minütigen Interview so oft Orte, Aktivitäten und
Haltungen gewechselt werden.
Durch die vermehrte Bewegung scheint es, als würde mehr Zeit vergehen, der
Text somit verkürzt werden, während er doch eigentlich gleichzeitig in
voller Länge ausgespielt wird. Statt die Konsequenz des zugrundeliegenden
Projekts zu Ende zu denken, hat Sachs ein nostalgisch-gefälliges Werk
vorgelegt, das Verherrlichung und Vorurteil gegenüber der [6][New Yorker
Downtown-Szene] gleichermaßen nährt. Dabei läge der eigentliche Gewinn des
Films – statt in einer weiteren Fütterung des Mythos – in der schlichten
Erkenntnis, dass man selbst stets der Mittelpunkt des eigenen,
selbstverständlichen und sehr endlichen Seins ist.
[7][Susan Sontag schrieb über Hujars Werke]: „Peter Hujar weiß, dass
Porträts im Leben immer auch Porträts im Tod sind.“ Hätte Ira Sachs sich
das nur zu Herzen genommen!
5 Nov 2025
## LINKS
[1] /Peter-Hujars-Day-von-Ira-Sachs/!6068181
[2] /Todestag-von-New-York-Ikone-Wojnarowicz/!5865776
[3] /Freunde-in-der-Kunst-und-im-Leben/!6116542
[4] /Nachruf-Robert-Wilson/!6104410
[5] /Berlinale-Film-Passages/!5914002
[6] /Performancekuenstler-John-Giorno/!6077784
[7] /Bonner-Schau-zu-Susan-Sontag/!6104588
## AUTOREN
Hilka Dirks
## TAGS
Rezension
New York
Avantgarde
Fotografie
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