| # taz.de -- Jan Böhmermann im HKW: Bis keiner mehr übrigbleibt | |
| > Der Shitstorm gegen Jan Böhmermann zeigt, wie eng die Grenzen linker | |
| > Moral geworden sind. Dabei gäbe es dringendere Gegner als uns selbst. | |
| Bild: Jan Böhmermann: Stoisch im Shitstorm | |
| Berlin taz | „Böhmermann: check“, schrieb eine Freundin, als sich der | |
| [1][Shitstorm gegen den Satiriker] abzeichnete. Angehängt war ein | |
| Screenshot ihrer „Shitstorm Liste 2025“ mit Menschen, die sie in diesem | |
| Jahr noch gecancelt glaubt: Rapper Ski Aggu (auch check), Podcaster Tommi | |
| Schmitt, Moderator Joko Winterscheidt und Rapper Zartmann stehen noch | |
| drauf. Mal schauen, wer bis Ende des Jahres noch steht. | |
| Der Shitstorm gegen Böhmermann ist völlig überzogen. Die ersten werden hier | |
| aufhören zu lesen – und genau da liegt das Problem. In linken Kreisen | |
| herrscht nämlich derzeit die moralische Einheitsmeinung: Böhmermann ist | |
| scheiße. Aber wer nimmt sich überhaupt noch die Zeit (und hat die Energie), | |
| Dinge einzuordnen? | |
| Dafür schwemmen zu viele Empörungswellen die Feeds: Rapperin Zsá Zsá, | |
| [2][Autorin Caroline Wahl,] Moderation Dunja Hayali – alle in den letzten | |
| paar Wochen gecancelt. Die Gemeinsamkeit: alles Linke. Haben wir nicht | |
| andere Feinde? Der Shitstorm gegen Böhmermann zeigt: offenbar nicht. | |
| Die Kurzfassung: Böhmermann hatte den Rapper Chefket eingeladen, bei der | |
| von ihm kuratierten Veranstaltungsreihe „Die Möglichkeit der Unvernunft“ am | |
| 7. Oktober im Haus der Kulturen der Welt (HKW) aufzutreten. | |
| Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) wertete ein Shirt von | |
| Chefket als antisemitisch und forderte Böhmermann daraufhin auf, ihn wieder | |
| auszuladen. [3][Böhmermann sagte das Konzert für den 7. Oktober ab], der | |
| Shitstorm brach über ihn herein. | |
| Im HKW sagte Böhmermann Anfang der Woche dann jedoch: „Es wurde keiner | |
| ausgeladen.“ Und weiter: „Alle reden miteinander.“ Umso bizarrer sei es, … | |
| sehen, was in den Medien passiert, wenn man wisse, was eigentlich passiert | |
| ist. Was der Staatsminister sagt, sei für seine Bewertung der Sachlage | |
| „komplett irrelevant“, so Böhmermann. Er habe selbstkritisch erkannt, dass | |
| es nicht richtig sei, die jüdische Perspektive am Jahrestag des Übergriffs | |
| der Hamas nicht zu berücksichtigen. | |
| ## Mangelndes Interesse an anderen Sichtweisen | |
| Die Erklärung stößt jedoch auf taube Ohren, der Shitstorm brodelt bereits, | |
| Böhmermann gilt als gecancelt. Wie gering das Interesse ist, andere | |
| Sichtweisen auszuhalten, zeigte sich dann auch bei einer Veranstaltung im | |
| HKW am Montagabend, bei der [4][Böhmermann und der Medienanwalt Christian | |
| Schertz für größere Debattenräume plädierten.] | |
| Schertz vertritt Promis wie Günther Jauch, Jan Böhmermann und | |
| Rammstein-Sänger Till Lindemann – aber auch MeToo-Betroffene oder die | |
| Berliner Polizistin Judy S., die Ziel einer Hetzkampagne der Bild-Zeitung | |
| wurde. Sein Anspruch: „Ich versuche immer, auf der richtigen Seite zu | |
| stehen.“ | |
| Die Aussage sorgt im Saal für Aufruhr. Eine empörte Zuschauerin wirft | |
| Schertz vor, es sei „verlogen“, Männer wie Lindemann zu verteidigen und | |
| sich zugleich als „MeToo-Vorreiter“ zu geben. Schertz kontert nüchtern: | |
| „Ich habe Lindemann verteidigt, weil es unzulässige | |
| Verdachtsberichterstattung war.“ Seine Kanzlei war gegen den Spiegel | |
| vorgegangen, der Lindemann ohne Beweise unterstellt hatte, Frauen mit | |
| K.O.-Tropfen betäubt zu haben. | |
| ## Moralische Grenzen sind nicht einheitlich | |
| Schertz’ Anspruch „immer auf der richtigen Seite“ zu stehen, ist kein | |
| moralischer, es ist ein rechtlicher. Das kann man kritisieren – oder | |
| akzeptieren. Seine moralische Grenze zieht er woanders als andere. Für ihn | |
| steht etwa fest: „Ich verteidige keine Nazis.“ Anfragen von | |
| AfD-Abgeordneten lehne er strikt ab. Sein Hauptgegner bleibt die | |
| Bild-Zeitung. | |
| Böhmermann und Schertz wollen dem Rechtsruck etwas entgegensetzen, die | |
| Ausstellung im HKW soll „die Korridore des Sagbaren“ weiten. Das Publikum | |
| jedoch will nicht weiten, sondern werten. Immer wieder wird Schertz | |
| unterbrochen, fast alle Fragen – vielmehr Anklagen – drehen sich um Till | |
| Lindemann. Sein Appell, man solle mehr Gnade walten lassen, verhallt | |
| ungehört. | |
| Was das heißt, erfährt auch Böhmermann derzeit, der den über ihn | |
| hereinbrechenden Shitstorm jedoch stoisch erträgt. „Mein Name hat schon | |
| eine Menge überstanden“, sagt er süffisant. „Ich bin die laufende | |
| Projektionsfläche.“ Das Dilemma: Inzwischen sind alle, die sich öffentlich | |
| äußern und sich dabei nicht exakt an die rigiden Vorgaben linker | |
| Moralvorstellungen halten, laufende Projektionsflächen einer dauerempörten | |
| Bubble. Nur: Wem ist damit geholfen? | |
| 11 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Boehmermanns-Pleite-im-Berliner-HKW/!6117007 | |
| [2] /Shitstorm-um-Autorin-Caroline-Wahl/!6109228 | |
| [3] /Konzert-Absage-Jan-Boehmermann-knickt-vor-Wolfram-Weimer-ein/!6112772 | |
| [4] /Boehmermann-und-Schertz-im-HKW/!6118405 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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