| # taz.de -- Kongress zu kritischer Männlichkeit: Das Private ist politisch –… | |
| > Bei einem Kongress am Wochenende in Berlin haben sich Männer mit | |
| > Feminismus befasst. Wie wichtig das ist, zeigt das Verhalten der | |
| > Veranstalter selbst. | |
| Bild: Neue Männlichkeit ist nicht immer lecker | |
| Berlin taz | Vom Berliner Senat ist derzeit genauso wenig feministischer | |
| Fortschritt zu erwarten wie von der Bundesregierung. Umso schöner, dass | |
| sich in Berlin einige Männer von ihrer sexistischen Zurichtung befreien und | |
| etwas für den Feminismus tun wollen. Zu diesem Zweck wurde am Wochenende im | |
| Kreuzberger Mehringhof ein „Profeministischer Kongress“ organisiert. Ihre | |
| Namen nennen die Veranstalter, laut Website unter anderem vom | |
| Boykott-Magazin, nicht. Die taz war vor Ort, um zu berichten, wie so ein | |
| Kongress abläuft. Doch die Organisatoren haben versucht, das zu verhindern. | |
| Wieso? | |
| Die Antworten darauf lieferte der Kongress teils selbst. Sie werden hier – | |
| entgegen dem Wunsch der Veranstalter – wiedergegeben. Denn erstens herrscht | |
| in Deutschland Pressefreiheit. Zweitens hat die taz-Reporterin sich noch | |
| nie von Männern sagen lassen, was sie zu tun hat, auch nicht von linken. | |
| Und drittens waren [1][Programm und Inhalte des Kongresses] einfach zu gut, | |
| um nicht darüber zu berichten. | |
| Wer am Samstagfrüh im Mehringhof ankommt, wird freundlich begrüßt. Männer | |
| lächeln und verkaufen selbstgebackenen Kuchen. Die Stimmung ist deutlich | |
| offener als bei anderen linken Veranstaltungen. | |
| Im ersten Stock startet ein Crashkurs zu Männlichkeitskritik. „Das Ganze | |
| kommt natürlich aus dem Feminismus und sollte auch immer daran | |
| rückgekoppelt sein“, erklärt gleich zu Beginn die Seminarleitung Profx. Dr. | |
| Mart Busche von der Berliner Alice-Salomon-Hochschule. [2][Das „x“ am Titel | |
| soll anzeigen], dass Busche nichtbinär ist. | |
| Zu Beginn stellen sich erst eine taz-Reporterin und dann eine Person vom | |
| Missy Magazine vor. Verpflichtet sind Journalist*innen dazu nicht. Wer | |
| investigativ recherchiert, etwa über Vergewaltiger in der linken Szene, | |
| würde sich eher nicht als Journalist*in zu erkennen geben. Im Workshop | |
| wird kurz darum gebeten, dass Zitate autorisiert werden – und los geht’s. | |
| Profx. Dr. Busche erklärt, warum kritische Männergruppen in den 1970er | |
| Jahren entstanden sind: Zum einen hätten Frauen keinen Bock mehr gehabt, | |
| die feministische Arbeit allein zu machen. Zum anderen hätten Männer | |
| erkannt, dass das Patriarchat auch ihnen nicht nur guttut. Was unter | |
| Männlichkeit verstanden wird, hat sich im Laufe der Zeit verändert. „Neben | |
| traditionellen, lauten und aggressiven Männlichkeiten erlangen zunehmend | |
| auch regulierende, fürsorgliche und progressive Aufmerksamkeit“, sagt | |
| Busche. | |
| Praktisch heißt das: Wenn Männer mehr Care-Arbeit leisten, was | |
| Feminist*innen begrüßen, beendet das nicht automatisch das Patriarchat. | |
| „Männer übernehmen teils weibliche Praktiken, werten diese auf und nutzen | |
| sie, um damit wiederum Dominanz herzustellen“, so Busche. Da hört man dann | |
| Sätze wie: „Wenn ich Vater werde, dann mache ich das aber richtig.“ Und wer | |
| kennt sie nicht, die sogenannten „[3][performative males]“, die | |
| feministische Texte lesen, sich die Nägel lackieren oder Perlenschmuck | |
| tragen – aber nicht, weil sie queer sind oder Geschlechternormen sprengen | |
| wollen, sondern, weil sie hoffen, dadurch mehr Anerkennung oder [4][Sex] zu | |
| bekommen. | |
| Ein 44-jähriger Mann, dem Gleichberechtigung wichtig ist, der sich bisher | |
| aber kaum theoretisch damit befasst hat, sagt zur taz über den Workshop: | |
| „Ich finde, Mart Busche hat die Kritik auf sehr angenehme Art vermittelt, | |
| das konnte ich gut annehmen.“ Ihm sei aufgefallen, dass viele Fachbegriffe | |
| verwendet wurden – von „[5][intersektional]“ über „[6][eurozentristisc… | |
| bis „[7][ableistisch]“. Zwar hätte er sich durch die Seminarleitung | |
| ermutigt gefühlt, jederzeit Nachfragen zu stellen – getan habe er das aber | |
| nicht, weil er den Eindruck hatte, alle anderen im Raum kannten die | |
| Begriffe. „Hier hat ja fast jeder irgendwas Lilanes an“, sagt er und lacht. | |
| Besonders interessant fand der Teilnehmer, [8][dass Busche erforscht hat, | |
| unter welchen Bedingungen Jungen nicht gewalttätig werden]. In diesem Sinne | |
| würde er sich wünschen, dass es noch mehr darum geht, „welche männlichen | |
| Eigenschaften eigentlich gut und erhaltenswert sind, zum Beispiel Mut oder | |
| Entscheidungsfreudigkeit.“ Nicht die Eigenschaften seien schließlich das | |
| Problem, sondern der Druck, dass jeder Mann diese permanent erfüllen müsse, | |
| und die Tatsache, dass man sie von Frauen weniger erwarte. | |
| Wie ein kritischer Mann sein soll, wird hier nicht gesagt. „Darauf gibt es | |
| keine einfache Antwort, das ist klar“, sagt eine 35-Jährige. „Die Arbeit, | |
| sich neu zu erfinden, müssen Männer schon selbst machen. Aber ich habe | |
| festgestellt, dass praktische feministische Tipps den Motivierten helfen | |
| können – gerade bei den ersten Schritten.“ | |
| ## Der männliche Wunsch nach Kontrolle | |
| Im Workshop geht es auch um die weltweiten [9][Versuche der | |
| „Resouveränisierung“ von Männern], die Macht und Kontrolle wollen. Männer | |
| tun alles Mögliche, um ihre Vormachtstellung zu verteidigen oder | |
| zurückzuerobern, wo der Feminismus sie ihnen abspenstig gemacht hat. Viele | |
| denken da gleich an Monster wie Trump. | |
| Wichtig ist aber: Diese Kämpfe führen alle möglichen Männer, unabhängig von | |
| Parteibuch oder Milieu. Wissenschaft und Feminist*innen warnen deshalb | |
| schon lange, dass „Antifeminismus eine Brückenideologie“ ist. Eine | |
| Teilnehmerin erklärt das ihrem Freund in der Pause so: „Wenn Männer | |
| gemeinsam Gleichstellung bekämpfen, schadet das nicht nur Frauen und | |
| Queers, es verbindet gleichzeitig neue Akteure miteinander und stärkt so | |
| autoritäre Allianzen – unter denen am Ende alle leiden.“ | |
| Autoritär war leider auch, wie die Organisatoren der Männerkonferenz mit | |
| der taz-Reporterin umgesprungen sind. Diese hatte sich im Voraus per E-Mail | |
| angekündigt. Nach dem Workshop unterhält sie sich mit einer Teilnehmerin. | |
| Als die Frau schildert, dass sie wegen „linken Mackern“ aus einem | |
| Wohnprojekt ausgezogen ist, unterbricht ein Mann aus dem Orga-Team die | |
| beiden Frauen und verbietet das Interview. | |
| Was soll das denn? Fehlt hier Medienkompetenz? Linke Journalist*innen | |
| beklagen immer wieder, dass gerade Linke oft ihre Allies nicht kennen. | |
| Wessen Berichterstattung unterstützt man, wen wiegelt man lieber ab? Um das | |
| herauszufinden, hilft es, ab und zu Zeitung zu lesen. | |
| Aber vielleicht war es auch etwas ganz anderes! Steckt hinter dem Versuch, | |
| die Reporterin zu beschränken, das auf der Konferenz viel besprochene | |
| männliche Bedürfnis nach Kontrolle? Haben die Organisatoren womöglich Angst | |
| vor dem „female gaze“, also aus der Sicht einer Frau dargestellt zu werden? | |
| Die Reporterin geht erst mal einen Kaffee trinken. | |
| ## „Verletzender, wenn die eigenen Leute diskriminieren“ | |
| Am Abend besucht sie dann den Workshop „Ich bin weiter als du! – | |
| Konkurrenzdynamiken unter kritischen Männern“. Auf eine Tafel sind Post-its | |
| mit Stichpunkten gepinnt wie: „nicht typisch handeln“, „das richtige Leben | |
| im Kleinen versus das große Ganze“, „viel verletzender, wenn die ‚eigene… | |
| Leute diskriminieren“, „Übersprungshandlungen“, „Zerwürfnisse“. | |
| Dann verbietet auch hier der männlich zu lesende Seminarleiter der | |
| Reporterin der taz die Berichterstattung. Eine männlich zu lesende Person | |
| wirft ein, sie fühle sich bei dem Thema „vulnerabel“, also verletzlich. Das | |
| stimmt sicher! Wenn Männer Schwäche zeigen, wird das im Patriarchat teils | |
| sanktioniert. | |
| Hier ist das jedoch unwahrscheinlich, die Teilnehmenden haben nicht einmal | |
| ihre vollen Namen genannt. In der Zeitung könnte dann stehen (fiktive | |
| Beispiele): Ein Mann weint, als er zugibt, dass auch er schon sexuell | |
| übergriffig war. Oder: Ein Teilnehmer erzählt zitternd, wie er unter der | |
| Gewalt seines Vaters gelitten hat. All das ist furchtbar und sollte sich | |
| ändern. Dafür muss es öffentlich debattiert werden. Denn „das Private ist | |
| politisch“, wie auf dem Kongress mehrfach betont wird. | |
| „Wenn Presse da ist, verändert das einfach die Stimmung im Raum“, schimpft | |
| die männlich zu lesende Person weiter. Ja, auch das ist richtig und der | |
| Wunsch nach Vertraulichkeit nachvollziehbar. Er wird Männern in dieser Welt | |
| an sehr vielen Orten erfüllt: bei Therapeuten, Priestern, Kumpels, in | |
| Hinterzimmern, Männergruppen und so weiter. Sogar bei Kongressen gibt es | |
| manchmal einzelne Panels, die im Programm markiert sind und bei denen die | |
| Presse gebeten wird, nicht zu berichten. Wünscht Mann sich allerdings reine | |
| Geheimzirkel, sollte Mann vielleicht keinen öffentlich beworbenen Kongress | |
| veranstalten, sondern sich klandestin in Kellerräumen treffen. | |
| Die Reporterin starrt auf ein Post-it. „Scheitern ist vorprogrammiert“ | |
| steht darauf. Sie fühlt sich unwohl und überlegt, was sie nun tun soll. | |
| Dass diese Männer nicht auf ihre Lösungsvorschläge eingehen, überrascht sie | |
| nicht. Weniger „Fokus auf sich“ und die „Bedürfnisse anderer“ ernst zu | |
| nehmen, ist laut einem Post-it schließlich etwas, das die kritischen Männer | |
| hier erst noch besser lernen wollen. Angesichts der feindseligen Stimmung | |
| ihr gegenüber entscheidet sie zu gehen, bevor dieser kleine Männerbund noch | |
| die Mistgabeln auspackt. | |
| ## Teilnehmende empört vom Umgang mit der Presse | |
| Einige Teilnehmende folgen ihr nach draußen – sichtlich empört. „Was war | |
| das denn?“, fragt ein circa Dreißigjähriger. „Ich fände gut, wenn du | |
| darüber schreibst. Ich sehe Berichterstattung als Geschenk, besonders wenn | |
| sie kritisch ist. Nur so können sich Diskurse doch weiterentwickeln“, sagt | |
| er. „Außerdem müssen wir dringend raus aus unserem Elfenbeinturm.“ | |
| Ein Anfang 50-Jähriger entschuldigt sich bei der Reporterin, dass er sich | |
| nicht gleich klar solidarisch verhalten habe. „Ich habe nicht schnell genug | |
| realisiert, dass hier gerade eine Frau in einem männlich dominierten Raum | |
| angegangen wird“. Die einzige weiblich gelesene Person fragt, wie es der | |
| Reporterin gerade geht, was sie jetzt braucht, ob sie ihren Text noch | |
| machen möchte oder gar machen muss, weil sie finanziell von dem Honorar | |
| abhängig ist. | |
| Kurz darauf senden die Kongress-Organisatoren, die sich selbst als | |
| klassenkämpferisch begreifen dürften, eine E-Mail an die | |
| taz-Chefredakteurin, in der sie sich über die Mitarbeiterin beschweren. Sie | |
| behaupten darin, dass sie sich über das Medieninteresse „freuen“ und | |
| schreiben zugleich, sie „verwehren“ sich dagegen, dass „die auf dem | |
| Kongress gesammelten Gesprächsinhalte“ verwendet werden. | |
| Nach dem Kongress wendet sich noch ein anderer Teilnehmer an die | |
| Reporterin: Er möchte bitte zitiert werden. Er sagt: „Dass die Veranstalter | |
| eines Männerkongresses eine feministische Journalistin verjagen, zeigt, wie | |
| viel wir noch zu tun haben.“ Die Aussage kann die taz nur unterschreiben – | |
| und wünscht den Herren dabei von Herzen viel Erfolg! | |
| 30 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://profeministischer-kongress-berlin.org/programm/ | |
| [2] /Die-Streitfrage/!5028403 | |
| [3] /Tiktok-Trends/!6107969 | |
| [4] /Profeministischer-Kongress-in-Berlin/!6117131 | |
| [5] /Intersektionalitaet/!t5298030 | |
| [6] /Eurozentrismus/!t5008104 | |
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| [8] https://www.ash-berlin.eu/hochschule/lehrende/professor-innen/prof-dr-mart-… | |
| [9] /Geschlechterrollen/!6099268 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotte Laloire | |
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