Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Krieg in Nahost: Gedenken nach 732 Tagen
> In Tel Aviv wurde am Abend des 7. Oktober an die Opfer des Hamas-Angriffs
> 2023 erinnert – und an die Geiseln in Gaza. Der Unmut über die
> israelische Regierung ist groß.
Bild: Gedenken in Tel Aviv: Neben den Fotos von am 7. Oktober Getöteten trauer…
Tel Aviv taz | Gil Dickmann hat am zweiten Jahrestag des 7. Oktober seine
letzten Nachrichten an seine Cousine Karmel wieder und wieder gelesen. Sie
wurde bei dem Terrorüberfall der Hamas im Herbst 2023 in Südisrael entführt
und nach 328 Tagen in Geiselhaft ermordet, als israelische Soldaten sich
ihrem Versteck näherten.
„Wir haben unsere Regierung und Benjamin Netanjahu seit Langem gewarnt,
dass die Zeit für die Geiseln abläuft“, sagt Dickmann. Auf seinem T-Shirt
prangt ein Aufkleber mit der Zahl 732 für die Tage, seitdem sich die
[1][verbliebenen 48 Geiseln] bereits in Hamas-Gefangenschaft befinden.
Maximal 20 von ihnen sollen noch am Leben sein.
Er erinnere sich noch genau an jeden Moment des 7. Oktober. Als er morgens
um 6:30 Uhr von Sirenen in Tel Aviv geweckt wurde. Wie er die ersten Bilder
von Hamas-Kämpfern in israelischen Dörfern für Fälschungen hielt. Bis er in
Onlinevideos seine Tante aus der Kibbutz-Siedlung Beeri sah, die kurz
darauf von der Hamas getötet wurde. Rund 1.200 Israelis wurden an diesem
Tag ermordet, 251 in den Gazastreifen verschleppt.
Er und seine Familie beschlossen früh, nicht in der Opferrolle zu
verharren, sagt Dickmann kurz vor dem Beginn der zentralen Gedenkzeremonie
im Tel Aviver Yarkon-Park an diesem Dienstagabend: „Wir können nicht
entscheiden, aber wir können die Realität beeinflussen, uns an US-Präsident
Donald Trump wenden und er hört es.“ Kurz vor dem Jahrestag haben Dickmann
und andere Angehörige von Geiseln ihn deshalb für den Friedensnobelpreis
vorgeschlagen – den Trump mehrfach selbst für sich gefordert hatte. „Wenn
er es schafft, alle Seiten zu einem Abkommen zu zwingen, dann hat er ihn
verdient.“
## „Unschuldige Menschen auf der anderen Seite“
Der [2][sogenannte Friedensplan des US-Präsidenten] lässt zwar viele Fragen
offen. Dennoch ist das Papier, das derzeit zwischen Israel und der Hamas im
ägyptischen Scharm al-Scheich verhandelt wird, der seit Langem
vielversprechendste Anlauf für ein Ende des Krieges im Gazastreifen. Dafür
sorgt vor allem der Druck aus Washington. Netanjahu gab sich in einer
Videoansprache am Abend dazu gewohnt martialisch: Er sprach von
„vernichtenden Schlägen“ gegen Israels Feinde, doch auch von einer
möglichen „historischen Entscheidung“.
Seit dem Hamasüberfall hat Israel mehr als 67.000 Menschen in Gaza getötet
und den Großteil des Gebietes vollkommen zerstört. Mehrere
Menschenrechtsorganisationen, UN-Vertreter und renomierte Genozidforscher
sehen darin mittlerweile einen Völkermord. Anders als viele andere Israelis
spricht Dickmann auch von „den unschuldigen Menschen auf der anderen
Seite“.
„Die meisten Israelis wollen schon lange, dass die Geiseln zurückkommen und
dieser Krieg endet, selbst wenn die Hamas dadurch an der Macht bleibt“,
sagt Dickmann. Stattdessen diene das israelische Vorgehen vor allem zwei
Interessen: „Netanjahus Plan, an der Macht zu bleiben, und dem Plan der
Hamas, Israel in der Welt zu isolieren.“
Auf ein Abkommen hofft auch [3][Louis Har, eine der wenigen Geiseln, die
militärisch befreit wurden]. 129 Tage verbrachte er in Gefangenschaft in
einem Haus im heute zerstörten Rafah. Jetzt arbeitet der 72-Jährige daran,
mit den Folgen umzugehen, den Stressreaktionen, die plötzliche Geräusche
bei ihm auslösen würden. „Dann sage ich mir: Louis, du bist nicht mehr
dort, das ist das Trauma.“ Obwohl er selbst militärisch befreit wurde,
setzt auch er auf die Gespräche in Ägypten.
## Noch immer keine Untersuchungskomission eingerichtet
Langsam füllen sich am späten Dienstagabend die 30.000 Plätze der
Gedenkzeremonie in Tel Aviv. Viele Teilnehmer tragen T-Shirts mit Fotos
ihrer getöteten oder entführten Angehörigen. Auf der gewaltigen Bühne
erinnert ein Autowrack mit Einschusslöchern an den Angriff. Die
Veranstaltung ist von den Familien der Geiselangehörigen organisiert, nicht
von der Regierung.
Die Redner der Veranstaltung vermeiden es, direkten Bezug auf die Regierung
zu nehmen. Im Zentrum stehen die Schicksale der getöteten und überlebenden
Israelis. Doch zwischen den Zeilen finden sich immer wieder deutliche
Botschaften: Der 7. Oktober sei nicht nur ein Gedenken an die Getöteten,
[4][sagt Mitorganisator Jonatan Shamriz, dessen Bruder als Geisel
irrtümlich von israelischen Soldaten erschossen wurde.] „Es ist ein Tag,
der uns an gescheiterte Führung und die Abkehr von Verantwortung erinnert.“
Die Regierung hat bisher die Einrichtung einer staatlichen
Untersuchungskommission für die Versagen um den 7. Oktober verhindert.
[5][Die Zehntausenden palästinensischen Toten finden an diesem Abend keine
Erwähnung]. Viele Israelis haben seit dem 7. Oktober den Glauben an
politische Lösungen aufgegeben, aber längst nicht alle. Galit Dan, deren
13-jährige Tochter Noya und Mutter Carmela im Kibbutz Nir Oz getötet
wurden, sagt: „Unsere Generation wird ihre Uniformen ablegen, die Asche der
verbrannten Häuser von ihren Schultern schütteln und das Scheitern unserer
Vorgänger hinter sich lassen.“ Sie suche keine Rache, sie suche Heilung.
8 Oct 2025
## LINKS
[1] /Zwei-Jahre-Nahost-Krieg/!6114874
[2] /Friedensplan-fuer-Gaza/!6114978
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-geisel-hamas-100.html
[4] /Getoetete-israelische-Geisel/!5980940
[5] /Zwei-Jahre-nach-dem-Hamas-Ueberfall/!6114975
## AUTOREN
Felix Wellisch
## TAGS
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
GNS
Gaza
Bundestag
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
7. Oktober 2023
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gedenken an den 7. Oktober: „Schalom und Salam“
In einer aktuellen Stunde haben die Abgeordneten des Bundestags der Opfer
des 7. Oktober gedacht. Auch der Friedensplan für Gaza prägte die Debatte.
Über die humanitäre Lage im Gazastreifen: „Geld in Gaza fühlt sich an wie …
Die Lage der Menschen in Gaza sei katastrophal, sagt Jouanna Hassoun. Mit
ihrer Organisation Transaidency bringt sie Lebensmittel zu den Menschen.
Aktivist:innen im Nahen Osten: Was von der Global-Sumud-Flotilla bleibt
Israel deportiert die meisten der zuvor festgenommenen Aktivisten des
Schiffskonvois. Ihr Ziel, den Gazastreifen, hatten sie nicht erreicht.
Offizielles Gedenken zum 7. Oktober: Das Leid der anderen
Zum Jahrestag des Terrorangriffs der Hamas wurde offiziell der Opfer in
Israel gedacht. Palästinenserinnen und Palästinenser blieben außen vor.
Warum?
Überlebender des 7. Oktober im Gespräch: „Wir müssen diesen Albtraum beend…
Amir Tibon überlebte den Angriff der Hamas auf seinen Kibbuz nur knapp.
Welche Fehler Israel damals machte und warum er hofft, dass der Krieg
endet.
Krieg im Gazastreifen: Die unerträgliche Bequemlichkeit der einseitigen Solida…
Der Protest gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen wird in
Deutschland immer lauter. Gleichzeitig nehmen antisemitische Übergriffe
massiv zu.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.